Stefan Müller-Ruppert
Stefan Müller-Ruppert (61) ist Schauspieler, Sänger, Sprecher und ein echter Odenwälder. Er war bei Erfolgsmusicals, wie »We Will Rock You«, dabei, spricht nebenbei Werbetexte, synchronisiert Filme und Videospiele und singt aus Leidenschaft. Im Interview mit MORITZ-Redakteurin Sophia Budschewski zeigt er sich freundlich, bodenständig und verrät, dass er am liebsten in seiner Heimat auf der Kleinkunstbühne steht.
MORITZ: Du bist Sprecher, Sänger und Schauspieler. Als was bezeichnest Du Dich am liebsten?
Stefan Müller-Ruppert: Ich bin freiberuflicher Künstler. Man muss sich mehrere Standbeine schaffen. Bei mir sind es drei Tortenstückchen, die mein berufliches Leben ausmachen. Das eine ist die Musik, das Singen, das andere ist das freie Sprechen, also auf Bühnen und Lesungen, und das dritte Tortenstückchen ist das Sprechen, für Funk, Film und Videospiele. Ich mache alle drei Tortenstücke gleich gern. So setzt sich mein Einkommen zusammen.
Wie kommt es, dass Du Figuren in Videospiele sprichst?
Das ist einfach mittlerweile ein riesiger Markt geworden. Ich habe bis jetzt ungefähr schon 90 bis 100 Spiele, in denen ich mitwirke. Dabei sind zum Beispiel bekannte Titel wie »Call of Duty«, »Halo«, »Gears of War« und »World of Warcraft«. Ich bin relativ bekannt in der Szene. Ich bekomme sogar Fanpost, da verstehe ich nicht mal die Fragen (lacht). Die tauschen sich sogar online in Foren über mich aus.
Welche Rollen sprichst Du in Videospielen?
Ich spreche Hauptrollen, wie im Spiel »Gears of War«. Ich hatte aber auch schon Jobs, da hatte ich innerhalb von zwei Stunden 40 verschiedene Figuren gesprochen. Manchmal 40 verschiedene Orcs, Zwerge oder andere Figuren.
Beschreibe Deinen Arbeitstag als Synchronsprecher?
Wenn ich ins Studio gehe, um meine Texte einzusprechen, ist die englische Version bereits fertig. Das ist meine Vorlage für die Charaktere. Ich bekomme also den englischen Originalton vorgespielt, das muss ich dann passgenau auf Deutsch nachsprechen. Das heißt, der Text muss dieselbe Länge haben, auf die Sekunde genau. Das ist die Schwierigkeit. Das ist manchmal ein bisschen mühsam. Bei den Aufnahmen ist immer ein Regisseur dabei, der das Spiel bereits durchgespielt hat und weiß, wie die Handlung ist. Er sagt mir, in welcher Stimmung sich der Charakter in der Szene befindet. Das ist wichtig, denn man kann einen Text ganz unterschiedlich sprechen.
Wie bereitest Du Dich auf Sprechrollen vor, gerade wenn es an einem Tag 40 verschiedene Charaktere sind?
Zu Hause bereite ich mich gar nicht vor, sonst würde die Arbeit ewig dauern. An manchen Tagen gibt es 900 Takes, davon sind 150 oft Todesschrei. Ich höre die Stimmung der Szene anhand der englischen Vorlage und versuche es auf Deutsch so umzusetzen.
Was war bisher Deine Lieblingssprechrolle?
Es gibt eine, die mir viel Spass gemacht hat, das ist der Erzähler im Videospiel »Hearthstone«, ein Karten-Strategiespiel. Im Spiel erkläre ich die Regeln, teile die Karten aus und erzähle das Geschehen.
Spielst Du die Videospiele, die Du synchronisierst, auch selbst?
Ich habe »Hearthstone« zusammen mit meiner Frau mal ausprobiert, aber nach 15 Minuten haben wir aufgegeben (lacht)
Fährst Du für Deine Sprecherrollen in ein Studio oder hast Du zu Hause eine Sprecherkabine?
Ich habe ein Studio zu Hause. Am Anfang meiner Sprecherkarriere bin ich noch zu Jobs hingefahren. Als ich damals gefragt wurde, was ich beruflich mache, habe ich geantwortet: »Ich bin Kraftfahrer, und in meinen Fahrpausen spreche ich in ein Mikrofon.« Als das Medium CD kam, wurde es leichter. Die konnte ich zu Hause produzieren und mit der Post verschicken. Mittlerweile gehe ich fast gar nicht mehr ins Studio. Außer bei den Videospielen, weil ich da den Regisseur und das Bild brauche. Aber alle anderen Sprechertätigkeiten produziere ich zu Hause und verschicke die Daten per Internet. Manchmal mache ich das sogar von meinem Wohnmobil aus. Wenn ich unterwegs bin, dann nehme ich mein Mikrofon einfach mit. So kann ich von überall aus arbeiten.
Bist Du auch privat mit dem Wohnmobil unterwegs?
Ja, ich nehme meine Frau oft mit und verbinde so Berufliches und Privates. Wir fahren zwei Tage vorher los und reisen auch später ab. Das ist optimal, dann fühlt es sich an wie Urlaub.
Du hast auch schon in vielen namenhaften Musicals mitgespielt. Wie bist Du zum Beispiel an die Rolle des Bap in »We will rock you« gekommen?
Ich hatte in Stuttgart »Das Phantom der Oper« gespielt. Das waren 32 Shows im Monat. Irgendwann dachte ich: »Das kann ich jetzt.« Es war einfach langweilig, ich hatte keine Zeit nebenher etwas anderes zu machen. Dann war ich mit meiner Frau gemeinsam im, damals noch unbekannten Musical, »We will rock you«. Gleich am Anfang kam ein alter, verlotterter Hippie auf die Bühne. Da habe ich zu meiner Frau gesagt: »Das bin ich! Wenn diese Rolle vakant wird, möchte ich sie spielen.« Jahre später habe ich in einer Jobbörse für Theaterschauspieler gelesen, dass genau diese Rolle frei ist. Ich hatte mich daraufhin sofort beworben und stand eineinhalb Jahre als Bap auf der Bühne.
War das Deine schönste Rolle?
Ich hatte zwei Ziele im Leben: Ich wollte in München und in Wien eine längere Zeit spielen. Vor allem, weil ich in den Städten leben wollte. Beide Ziele habe ich dank dem Musical »We will rock you« erreicht. Ich habe fünf Monate im Deutschen Theater in München gespielt und drei Monate in der Stadthalle in Wien.
Du hast auch im Musical die »Rocky Horror Picture Show« mitgespielt. Als Erzähler musstest Du vor allem auf die Zwischenrufe des Publikums reagieren. War das schwierig?
Das macht die Rolle des Erzählers gerade spannend. Das Musical war zu der Zeit in Dortmund. Dort ist der Bundesligist BVB quasi heilig. Damals standen die Borussen ganz unten in der Bundesliga Tabelle. Es ist Tradition, dass wenn der Erzähler die Bühne betritt, das Publikum laut ruft: »Langweilig!«. Daraufhin habe ich meinen Sprechertext abgebrochen und gesagt: »Ich fühle mich auch wie der Vorletzte, aber Sie hier in Dortmund wissen doch derzeit ganz gut, wie man sich an der Position fühlt.« Das Publikum hat mich mit Klopapier beworfen und beschimpft. Es war ein Traum (lacht). Am Schluss hatte ich einen großen Applaus bekommen. Wenn wenige Zwischenrufe kamen, dann war ich sehr enttäuscht, weil dann hatte ich nichts worauf ich reagieren konnte.
Welche Deiner künstlerischen Tätigkeiten macht Dir am meisten Spaß?
Was mir viel Spaß macht, sind meine Lesungen und Konzertmoderationen, vor allem in der Region. Bei jedem Auftritt lerne ich etwas dazu. Jetzt ist Martin Luther-Jahr, da habe ich Anfragen bekommen, ob ich ein Luther-Programm machen kann. Ich wusste vorher wenig über Martin Luther, erst durch mein Programm habe ich viel über sein Schaffen erfahren. Am besten gefällt mir allerdings, wenn der Zuschauer mit einem Lächeln nach Hause geht. Ich bin viel in Mosbach und diese Veranstaltungen sind immer ausverkauft. Das ist toll. Das liebe ich an meiner Arbeit, weil ich weiß es fällt auf fruchtbaren Boden.
Beschreibe den Unterschied zwischen der »Großen« und der »Kleinen Bühne«.
Bei der »Kleinen Bühne« bin ich näher am Publikum dran. Außerdem habe ich viel mehr Verantwortung, als bei der »Großen Bühne«. Da gibt es kein Netz und keinen doppelten Boden. Die »Große Bühne«, das ist viel anonymer, bei den »Kleinen Bühnen«, da geht das Publikum zu mir, um mich zu sehen. Die Kleinkunst macht mir mehr Spaß, da habe ich einen Namen zu verteidigen (lacht).
Ist das Publikum hier im Odenwald anders im Vergleich zum Rest der Welt?
In Spanien tobt das Publikum beim ersten Akkord, als wäre beim Fußball ein Tor gefallen. Hier in der Region gibt es erst mal eine halbe Minute andächtige Stille, bevor ein frommer Applaus ertönt.
Was macht Dir bei Deinen Lesungen am meisten Freude?
Nicht der physische Applaus, sondern das Gefühl, dass das was ich mache dem Publikum gefällt. Ich mache mir unglaublich viele Gedanken vor einem Auftritt. Meine Arbeit passiert nicht nur auf der Bühne, sondern schon viel früher zu Hause bei der Auswahl der Texte. Es sollte eine gute Mischung sein. Wenn ich am Ende von meinem Auftritt gesagt bekomme: »Das war wieder super, wie finden Sie diese Sache?« Das macht am meisten Spaß.
Du warst auch schon bei »Wetten dass...?«. Wie hat sich das angefühlt?
Das war eine komische Geschichte. Ich spreche Texte für Fotoautomaten ein. Die man aus der Fußgängerzone kennt. Wenn man sich reinsetzt und auf den Knopf drückt kommt eine gesprochene Anleitung. Diese habe ich eingesprochen. Viele meiner Bekannten wissen, dass das meine Stimme ist. Als die besagte Folge »Wetten dass...?« im Fernsehen kam, hatte ich einen Auftritt in einem Weinkeller. Dort gab es keinen Handyempfang. Als ich nach dem Auftritt aus dem Keller kam, waren plötzlich hundert Nachrichten auf meinem Handy. Da stand: »Wir gratulieren dir zu deinem Auftritt bei »Wetten dass...?«. Du und Paris Hilton, super!« Ich wusste gar nicht, was los ist. Als ich nach Hause kam, hat mich meine Frau schon angelächelt. Folgendes war passiert. Paris Hilton war zu Gast bei »Wetten dass...?«. Ihre Saalwette hatte sie gegen den Kandidaten verloren. Der Einsatz war, ein Foto mit Paris Hilton im Fotoautomaten. Thomas Gottschalk hat auf den Knopf gedrückt und meine Stimme hatte live im Fernsehen erklärt, wie der Automat funktioniert. Und das war mein Auftritt bei »Wetten dass...?« ohne, dass ich vorher davon wusste (lacht).
Was war für Dich bisher die größte berufliche Herausforderung?
Die Hospizgruppe Hardheim hat mich vor zwei Jahren beauftragt, ein Jubiläumsprogramm für ihren Verein zu gestalten. Ein abendfüllendes, unterhaltsames Programm zum Thema »Sterben«. Da habe ich erst mal geschluckt. Ich hatte mir daraufhin drei Tage Zeit genommen, um über das Thema nachzudenken. Nach den drei Tagen habe ich mich beim Verein gemeldet und gemeint: »Ich mache das, ich traue mir das auch zu. Ich habe allerdings drei Bedingungen. Ein Abend nur zum Thema »Sterben«, das geht nicht, ich brauche auch das Thema »Geboren werden«. Das gehört für mich zusammen. Der Titel wird sein »Ein Kommen und Gehen«. Zweitens, ohne Lieder wird es nicht funktionieren, dazu brauche ich meinen Sohn, der ist Musiker. Und als dritte Bedingung, der Faktor Humor muss mit im Programm enthalten sein. Ich möchte nicht, dass die Leute mit hängenden Köpfen nach Hause gehen.« Sie haben alle Bedingungen akzeptiert und es ist einer meiner besten Abende geworden. 2016 sind wir damit in Walldürn aufgetreten und dieses Jahr in Buchen.
Woher kommt Deine Leidenschaft für die Bühne?
Von meiner Mutter. Sie hat viel gemeinsam mit mir gesungen. Meine ganze Ausbildung verdanke ich ihr. Sie war alleinerziehend und hat sich das Geld für mein Studium vom Mund abgespart.
Hat Deine Mutter nie zu Dir gesagt »Lerne was Vernünftiges«?
Das hat sie nie zu mir gesagt. Meine Mutter hat mich immer gefördert.
Gab es einen Plan B?
Nein, ich würde nie wieder etwas anderes machen wollen. Also ich habe schon mal darüber nachgedacht, ich bin jetzt auch schon 61 Jahre. Aber mein Ziel war auch nie in erster Linie viel Geld mit meiner Kunst zu verdienen. Ich wurde schon oft von Bekannten gefragt: »Warum bist du nicht im Fernsehen?« Das ist bei vielen der Maßstab, wenn man Künstler ist. Ich sag immer: »Ich will das nicht.« Ich möchte auch nicht beim Film arbeiten. Ich habe schon in Filmen mitgespielt, das war stink langweilig.
Hattest Du jemals vor, aus dem Odenwald wegzuziehen?
Ich bin ein echter Odenwälder, hier bin ich geboren, hier bin ich verwurzelt. Ich mache auch gern Lesungen im Dialekt. Das ist schön, wenn gerade hier in der Region die Resonanz positiv ist. Wenn ich einen Auftritt z. B. in Köln habe, dann mache ich meine Show und fahre wieder heim. Aber wenn ich hier im Odenwald unterwegs bin, werde ich oft auf meine Auftritte angesprochen, darüber freue ich mich sehr. Meine »Popularität« habe ich mir hier hart erarbeitet. Hier habe ich einen Namen, hier kenne ich die Veranstalter, meine Bekannten und Freunde wohnen hier. Mein Publikum kennt mich, wenn ich ein neues Bühnenprogramm mache, kommen sie, weil mein Name dabei steht. Sie sagen sich wahrscheinlich: »Egal was es ist, wenn der Müller-Ruppert das macht, wird es schon nicht so schlecht sein.«
Bist Du auch zu Hause der Vorleser, hast Du Deinen Kindern Geschichten vorgelesen?
Ja, ich habe meinen Kindern immer gern vorgelesen. Letztes Jahr im August kam mein erstes Enkelkind und ich freue mich schon riesig darauf ihr vorzulesen.
Du bist seit mehr als 35 Jahren verheiratet, ihr habt zwei erwachsene Kinder. Wie bringst Du Familie und Karriere unter einen Hut?
Meine Frau ist ganz wichtig für meinen Job. Man braucht als Künstler einen Partner, der bereit ist, diese Höhen und Tiefen mitzumachen. Es gab auch mal finanzielle Löcher, wo wenig Aufträge kommen. Als ich am Anfang meiner Karriere von meiner Musik gelebt habe, gab es Zeiten, in denen wir wenig gebucht wurden. Meine Frau hat mich auch in dieser Zeit immer unterstützt. Sie kümmert sich schon immer um die Logistik. Sie schmeißt nicht nur den Haushalt und hat sich um die Kinder gekümmert, sie hat gleichzeitig meine Termine gemanagt. Ich sage immer: »Meine Frau und ich, wir sind ein 'Fabrikle'.«