Mathias Richling 2084
Mathias Richling ist am 16. Dezember mit seinem brandneuen Programm »Richling und 2084« in der Stadthalle Reutlingen zu Gast. MORITZ-Redakteur Thomas Moegen sprach mit ihm über die Absicht des politischen Kabaretts, Lieblingsrollen, übertriebene Individualität und das teilbare Nichts.
Wie begann Ihre Karriere? Waren Sie der Klassenkasper? Verhaltensauffällig?
Erstens: als Schüler. Zweitens: Ja. Drittens: nein.
Ist politisches Kabarett weichgespült?
Nein, natürlich nicht. Durch das Netz sind Beobachtungen schärfer, Darstellungen exhibitionistischer und Äußerungen drastischer geworden. Wenn eine Fraktionschefin sagt »Und morgen kriegen sie eine in die Fresse«, kann das Kabarett nicht weichgespült reagieren.
Das Ende der politischen Korrektheit?
Die politische Korrektheit ist oft nicht gewünscht. Sie muss gar nicht abgeschafft werden, denn eigentlich gab es sie nie.
Soll politisches Kabarett zum Handeln motivieren?
Wir wollen es nicht übertreiben. Es wäre idiotisch, zu glauben, dass Kabarett eine Gesellschaft oder Politik verändern kann. Ich finde am Abend Formulierungen für Menschen, die schon etwas angedacht haben und die sich vielleicht in der geäußerten Meinung wiederfinden können.
Dafür sind Deutsche auch zu apolitisch?
Der Mensch generell ist zu apolitisch.
Wie schwer haben Sie es gegen Realsatiriker und Witzfiguren wie Donald Trump?
Nicht so schwierig. Wir halten die Realsatire von Trump, Erdogan oder Putin für Fake-News, weil wir das oft nicht glauben können. Oft reicht ein Name, damit die Zuschauer ihre Schlüsse ziehen. Das ist der Höhepunkt des Kabaretts. Aufgabe von Publikum und mir ist das Weiter- und Zu-Ende-Denken des schrillen Verhaltens.
Wen karikieren Sie am liebsten?
Das ändert sich täglich. Derzeit sind die Queen und Erdogan wunderbar zu spielen.
Haben Sie Mitleid mit Ihren »Opfern«?
Nö, die haben auch kein Mitleid mit uns.
Färben die Rollen auf Sie ab?
Diese Gefahr besteht nicht, da ich jedes Komma selbst schreibe und eine gewisse Distanz habe. Wenn ich mich in eine vorgeschriebene Rolle hineinversetzen müsste, wäre das vielleicht anders.
Vergessen Sie bei aller Kritik an der Politik nicht die (Finanz-)Wirtschaft?
Die Wirtschaft regiert, die Politik tut nur so. Wahlen sind Ablenkungsmanöver, damit wir uns wichtig fühlen, obwohl wir wenig bis nichts zu sagen haben.
Das Programm »Richling und 2084« ist doppelplusgut, weil...?
Kommt da noch was? Ich liebe Menschen, die ganze, geschlossene Fragen stellen.
Ich habe einmal eine offene gewählt.
Das lehne ich ab (lacht). Aber im Ernst: Das Programm ist, angelehnt an George Orwells Roman 1984, eine politische Rückblende ab 1984 und eine Zukunftsvision bis 2084.
Sind wir am Überwachungsstaat nicht selbst schuld, weil wir alles posten?
1983 haben wir bei der Volkszählung bei Anzahl von Personen und Zimmern im Haushalt empört gelogen. Jeder Furz von Doof hält sich heute für wichtig, jeder Pups wird veröffentlicht. Heute ist die Bedeutung des Einzelnen übertrieben. Das hat Auswirkungen auf Gemeinschaft und Empathie. Es werden Rettungskräfte am lebensrettenden Einsatz gehindert, weil man nicht schnell genug aus der Parklücke herauskommt. Das ist eine gespenstische Entwicklung.
Wann wird die harmonische Zwangsehe aus Medien und Politik geschieden?
Herr Lindner ist da dran. Es muss ja unabhängige Medien geben, die aufdecken anstatt Shock-News hinterher zu rennen.
Sichern Flüchtlinge bald unsere Renten?
(ironisch) Das kann sogar soweit gehen, dass wir bald gar nicht mehr arbeiten müssen. 1945 kamen 15 Millionen und alle hatten nichts. Uns geht es noch nicht schlecht genug. Was man nicht hat, teilt man lieber als das, von dem man viel hat.
Sie sind 64. Denken Sie schon an Rente?
Ich kenne keine Rente. Für unseren Beruf ist das eine unerträgliche Vorstellung. Sonst wäre ich ja Beamter geworden.
Mathias Richling Sa. 9. Dezember, 20 Uhr, Theaterhaus Stuttgart, oder bei der Stadthalle Reutlingen