Foto: Nabu, J. Borris
Der Wolf in Baden-Württemberg
Fast 100 Jahre lang war nicht nur Baden-Württemberg, sondern ganz Deutschland frei von Wölfen. Doch nun sind die Tiere zurück - und erhitzen die Gemüter. Andreas Wolf vom MORITZ hat sich auf die Spur der Wölfe begeben, um herauszufinden, ob ihr schlechter Ruf gerechtfertigt ist.
Egal ob durch Märchen, Mythen oder moderne Medien - der Ruf des Wolfes ist nicht der beste. Außerhalb des Zoos war das in Baden-Württemberg auch lange nicht möglich, da der Wolf in deutschen Landen lange Zeit als ausgerottet galt. Erst seit wenigen Jahren finden sich wieder freilebende Wölfe in Deutschland. Seit dem Jahr 2000 kehrt der Wolf langsam zurück, vor allem in Brandenburg und Sachsen steigt seine Zahl mit 25 bzw. 18 Rudeln zwar langsam, aber kontinuierlich. Da der Wolf äußerst anpassungsfähig ist, benötigt er auch nicht unbedingt Wald oder Wildnis, solange es genügend Beute und Rückzugsmöglichkeiten gibt. Zudem erfüllt er als Beutegreifer durchaus auch eine wichtige Aufgabe im Ökosystem des Waldes, da er kranke und schwache Tiere frisst. Somit fungiert er als »Gesundheitspolizei« und hilft dabei, den Wildtierbestand zu regulieren.
Im Südwesten ist die Zahl der Wölfe bei Weitem noch nicht so groß, da die Tiere meistens nur auf der Durchreise sind. »Aktuell gibt es noch keinen sesshaften Wolf in Baden-Württemberg«, erklärt Felicitas Rechtenwald vom NABU (Naturschutzbund) Baden-Württemberg; damit existiert auch noch keine Wolfspopulation, die sich vermehrt. Baden-Württemberg gilt jedoch als »Wolfserwartungsland«, da ihre Anzahl in angrenzenden Bundesländern sowie in Frankreich und der Schweiz wächst. Doch auch im Südwesten hinterlässt der graue Jäger seine Spuren. Im Odenwald gab es in diesem Herbst beispielsweise die ersten Wolfssichtungen seit 150 Jahren - ein Tier ließ sich sogar fotografieren. Während Naturschützer frohlocken, sehen viele Landwirte die Sachlage weitaus kritischer, und das sicher nicht ganz zu Unrecht.
»Ein Schaf ist noch schwer verletzt über die Wiese gelaufen«
In Widdern-Unterkessach im Kreis Heilbronn riss ein Wolf Anfang Oktober 2017 drei Schafe des Nebenerwerbsschäfers Michael Straußberger. »Mein Vater ist morgens heruntergekommen«, schildert er, »wollte nach den Schafen schauen und sie füttern, und dann hat er festgestellt, dass zwei Stück bereits tot auf der Wiese lagen. Ein Schaf ist noch schwer verletzt über die Wiese gelaufen.«
Inzwischen gibt es noch eine weitere Rissmeldungs aus Bad Wildbad bei Calw - eine Analyse der Speichelreste bestätigte, dass es sich dabei tatsächlich um einen Wolfsangriff handelt. Laut Reinhold Gall aus Heilbronn, Sprecher für Forst- und Jagdpolitik, könnte sogar dasselbe Tier dafür verantwortlich sein, das in Widdern aktiv war: »Bei Wölfen darf man nicht in kleineren Regionen denken, denn sie sind sehr mobil und für einen Wolf sind 50 Kilometer täglich keine unübliche Entfernung.«
Derartige Angriffe bergen einiges an Konfliktpotential, da sich Politik und Landwirtschaft nun gleichermaßen fragen, wie auf ein derartiges Ereignis zu reagieren ist. Experten sind der Meinung, dass Menschen nicht in Gefahr sind, da sie nicht in das Beutespektrum der Wölfe gehören. Seit sich der Wolf wieder in Deutschland angesiedelt hat, kam es zu keinem einzigen Vorfall, bei dem ein Mensch zu Schaden gekommen wäre. Für Nutztiere besteht dagegen eine sehr eindeutige Gefahr, wie nicht nur der Vorfall in Widdern-Unterkessach zeigt. In den nordöstlichen Bundesländern tobt bereits eine Kontroverse zwischen Naturschützern und Landwirten, die bald auch nach Baden-Württemberg kommen könnte. In Brandenburg oder Sachsen ist die Zahl der von Wölfen gerissenen Nutztiere bereits weitaus größer und kann für Landwirte durchaus zur Bedrohung werden. Da der Wolf seit 1990 allerdings unter Naturschutz steht, kann man sich der hungrigen Tiere nicht einfach entledigen.
»Man darf die Gefahr nicht dramatisieren«
Schutzmaßnahmen gegen Wölfe, etwa elektrische Zäune, sind oft nur bedingt wirksam, da die meisten Wölfe früher oder später herausfinden, wie sie zu überwinden sind. Speziell gezüchtete Herdenschutzhunde, die zusammen mit den Lämmern aufwachsen, gelten als effektivste Maßnahme, doch allein die Anschaffung ist äußerst kostspielig und ein Tier allein ist nicht ausreichend. Dazu kommen noch die Unterhaltskosten (Futter, Tierarzt, Unterstand) der Hunde. Die Kosten der Schutzmaßnahmen müssen Schäfer und Landwirte oft selbst tragen. Für eine kleine Herde wie die von Michael Straußberger sind diese Maßnahmen nicht tragbar. Außerdem bereiten ihm versicherungsrechtliche Fragen weitere Probleme: »Die Hunde versuchen, die Herde zu beschützen. Ich habe Weiden neben Fahrradwegen, wo Fahrradfahrer vorbeifahren, wo Fußgänger unterwegs sind, und ein Herdenschutzhund wird sich dem ebenfalls stellen.« Passanten könnten von den Hunden als Bedrohung für die Herde angesehen und sogar angegriffen werden, was natürlich nicht sein darf. Die »Entnahme«, der gezielte Abschuss potentieller Problemwölfe, die ihre Scheu vor Menschen verlieren, ist theoretisch möglich, wenn Gefahr für Menschen oder ernsthafter wirtschaftlicher Schaden droht. Diese Möglichkeit wird jedoch aufgrund des streng Naturschutzes hitzig diskutiert. Reinhold Gall erklärt: »Man darf die Gefahr nicht dramatisieren: Wölfe ernähren sich zu über 95 Prozent von Rehwild und Wildschweinen, wie Studien aus Sachsen zeigen.« Aus diesem Grund greifen einige Landwirte, die sich von der Politik alleingelassen fühlen, zur naheliegendsten, wenn auch illegalen Lösung: Sie machen selbst Jagd auf die Tiere oder heuern einen Jäger an, der sich um das Problem kümmert. So wurde erst im Sommer ein Wolf im Schwarzwald erschossen, die Zahl der illegal getöteten Tiere steigt. In ganz Deutschland wurden seit 2000 insgesamt 24 unrechtmäßig erschossene Wölfe gezählt, die Dunkelziffer ist aber vermutlich weitaus höher. Noch mehr Tiere verenden im Verkehr.
»Ausgleichsfond Wolf« für Landwirte
Egal ob zum Schutz des Nutzviehs oder der Wölfe selbst, die Überwachung der Wolfspopulation, das sogenannte »Monitoring«, ist von enormer Wichtigkeit. Klaus Lachenmaier, Referent für Natur- und Artenschutz vom Landesjagdverband Baden-Württemberg, erläutert, dass Förster, Jäger und andere Naturfreunde mit ihren Funden und Beobachtungen die Fakten für die Überwachung der Wolfspopulation liefern. »Ein seriöser Umgang mit dem Monitoring ist besonders beim Wolf wichtig, da sehr viele Gerüchte und Vermutungen in Umlauf sind und teils auch gezielt gestreut werden.« Darüber hinaus ist der Landesjagdverband der Ansicht, der Wolf solle in das Jagd- und Wildtiermanagementgesetz (JWMG) aufgenommen werden; dieses Gesetz sollte auch für Wildtiere angewendet werden, bei denen Konflikte mit dem Menschen bestehen, wie es beim Wolf der Fall ist. »Der Schutz nach Naturschutzgesetz besteht trotzdem weiterhin und die Mitwirkung der Naturschutzbehörden ist auch im JWMG garantiert und geregelt«, so Lachenmaier. Einem Tierhalter helfen derartige Debatten natürlich nicht. In Baden-Württemberg gibt es den »Ausgleichsfond Wolf«, der Landwirte, die durch Wölfe Schaden erlitten haben, entschädigen soll. Mit diesem hat Michael Straußberger allerdings nicht die besten Erfahrungen gemacht: »Am Anfang hat sich alles wunderbar angehört, ich wurde sofort kontaktiert, mir wurde ein Fragebogen zugeschickt, den ich auch gleich ausgefüllt und zurückgeschickt habe. Dann hieß es, die Entschädigung wird überwiesen, bis heute (Anm. d. Red. 8. Dezember 2017) ist allerdings noch kein Geld geflossen.«
Da der Wolfsfond in Zukunft wohl öfter in Anspruch genommen werden dürfte, sind das nicht die besten Aussichten. Reinhold Gall gesteht ein, dass es noch so manche Versicherungsfrage für Nutztierhalter gibt, um die sich die Politik kümmern muss. Dennoch: »Alles in allem sollten wir gelassen damit umgehen, dass dieses streng geschützte Tier wieder bei uns heimisch wird.«
Die Wolfs-Chronik
- Ende des 18. Jhr. : Beginn der Ausrottung in Deutschland
- 1865: In Siglingen wird der letzte Wolf Württembergs getötet
- 1866: Letzter Wolf im Odenwald getötet
- Ab 1990: Wolf steht unter gesetzlichem Schutz
- 2000: Jahr der Wolfsrückkehr; in der Muskauer Heide
(Sachsen) werden die ersten Wolfswelpen in Freiheit geboren
- Sept. 2017: Erste Wolfssichtung im Odenwald
- Okt. 2017: erster Wolfsriss an Nutztieren in Ba-Wü (Widdern)
- Aktueller Stand Deutschland (Monitoringjahr 2016/17):
60 Rudel (8 bis 10 Tiere), 13 Paare und 3 sesshafte Einzelwölfe
(ca. 150 bis 160 erwachsene Tiere)
- Prognose: 200 Wolfsrudel in allen deutschen Bundesländern
- Spekulation: Wolfsbestand wird sich um ca. 30 % vermehren,
NABU rechnet mit etwa 200 Rudeln in den nächsten Jahren
Was tun im Angesicht des Wolfes?
Immer wieder wird versichert, Wölfe seien für Menschen verhältnismäßig ungefährlich, doch was tun, wenn man tatsächlich einem Tier im Wald begegnet? Der NABU rät, dem Tier Raum zum Rückzug zu lassen. Da Wölfe scheue Tiere sind, kann es auch helfen, sich aufzurichten und den Wolf mit lautem Rufen oder Klatschen zu vertreiben. Versuche, den Wolf zu verfolgen, anzulocken oder zu füttern, sollten dringend unterlassen werden, Fotos aus der Distanz stellen allerdings kein Problem dar. Idealerweise sollte eine Wolfssichtung den zuständigen Behörden gemeldet werden. Das gilt auch beim Fund eines gerissenen Tieres.