Doris Reif-Woelkie
Im Idealfall hat man als Schulabgänger seinen Ausbildungsplatz schon vor der letzten Prüfung in der Tasche. Doch nicht alle haben diesen Luxus. MORITZ-Redakteur Christoph Schwärzler sprach mit Doris Reif-Woelkie von der Bundesagentur für Arbeit in Stuttgart über die Ausbildungs- und Jobsituation in der Region.
In Deutschland schaut man gerne ein wenig neidvoll auf Baden-Württemberg und die Karriere-Chancen hierzulande. Ist der Ausbildungs- und Arbeitsmarkt bei uns tatsächlich so vielversprechend?
Ja, der Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist auch in diesem Jahr sehr vielversprechend und wird es allen Prognosen zufolge auch bleiben.Besonders hier in Stuttgart werden zusätzlich auch alle schulischen Ausbildungen angeboten zum Beispiel: Pharmazeutisch technischer Assistent/in oder Sport- und Gymnastiklehrer etc.In der nächsten Woche werden zum ersten Mal in diesem Jahr Daten zum Ausbildungsmarkt veröffentlicht, dann werden wir Gewissheit haben.Unserer Schätzung zufolge werden wir aber auch in diesem Jahr wieder deutlich mehr freie Ausbildungsstellen haben als Jugendliche, die eine Ausbildung suchen.Auf dem Stellenmarkt ist es so, dass die Arbeitskräftenachfrage dieses Jahr sogar durch den Winter kaum gebremst wurde. Es gibt in allen Branchen offene Stellen – allerdings häufig nur für ausgebildete Fachkräfte.
Besser geht aber immer. Was kann und was sollte sich noch für die Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, verbessern?
Natürlich geht es immer noch besser. Dass wir auch im letzten Jahr deutlich mehr freie Ausbildungsstellen (6.329) hatten als Jugendliche (5.539), die eine Ausbildung gesucht haben, funktioniert ja nur rein rechnerisch.Die Chancen auf eine Ausbildung sind aber dadurch nicht automatisch gleichmäßig verteilt.Viele Jugendliche haben nicht die Ausbildung in ihrem „Traumberuf“ bekommen. Zum einen ist die Nachfrage für bestimmte Berufe wie KFZ-Mechatroniker oder die Industriekauffrau einfach deutlich höher als das Angebot an Ausbildungsstellen, zum anderen gelten für viele Berufsausbildungen auch Pflichtanforderungen wie ein bestimmter Schulabschluss. Erzieherin kann man zum Beispiel nur werden, wenn man die mittlere Reife hat, bei vielen Medizinischen Fachberufen ist das ähnlich. Schlechte Noten sind häufig bei Arbeitgebern ein KO-Kriterium. Wir versuchen Arbeitgeber dafür zu sensibilisieren, dass Noten nicht alles sind und verstärkt bei Einstellungstest auch praktische Fähigkeiten abgeprüft werden können.
Welche Berufsfelder sind noch immer sehr beliebt und welche sind gerade im Kommen?
Anders als bei der Studienwahl hat sich das Berufswahlverhalten der Jugendlichen bei den Ausbildungsberufen in den letzten Jahrzehnten nicht nennenswert verändert. Jungen bevorzugen die Mechatronikerausbildungen: KFZ-Mechatroniker aber auch Industriemechatroniker, bei den Mädchen liegen die Medizinische Fachangestellte und die Büroausbildungen vorne. In den letzten Jahren werden auch sehr häufig Medienberufe nachgefragt, hier gibt es immer deutlich mehr Nachfragen als Ausbildungsplätze.Bei der Studienwahl hat sich vor allem verändert, dass die gesamte Hochschullandschaft sich verändert hat. Die Umstellung auf das international vergleichbare Bachelor–Master-System kreiert jedes Jahr eine Vielzahl an neuen toll klingenden Studiengängen mit teilweise hoher Spezialisierung, so dass Sie heute Fächer studieren können, die es letztes Jahr noch nicht gab. Bei der dualen Ausbildung erleben viele Berufe zwar Neuordnungen der Ausbildung was manchmal auch zu einer neuen Bezeichnung führt. Aber die Dynamik ist hier viel geringer und passiert vor allem dann, wenn ein Berufsbild sich wirklich verändert und neue Inhalte umfasst.
Viel Freizeit, gute Bezahlung, gute Aufstiegschancen und viel Spaß bei der Arbeit – all das sagen Jugendliche, wenn man sie nach ihrem „Traumjob“ fragt, und sind oft schnell desillusioniert. Wie viel „Träume“ verträgt ein „Traumjob“?
Eine sehr gute Frage. Wir begegnen bei unserer Arbeit sehr vielen Arbeitgebern, denen das Thema Ausbildung sehr wichtig ist, wo Ausbildung von Anfang an unter dem Stichwort Beteiligung abläuft, Ausbildung vom ersten Tag an auch in Projektarbeiten funktioniert.Keiner muss heute im ersten Lehrjahr nur fegen und Kaffee kochen – aber Ausbildung hat auch viel mit harter Arbeit und viel Lernen zu tun, denn entscheidend dafür, ob man die Prüfung am Ende schafft ist nicht, ob der Arbeitgeber einem zu Weihnachten ein Tablet schenkt, entscheidend ist, dass man umfassend auf die Prüfung vorbereitet wurde und sich selbst vorbereitet hat. In jedem Beruf und auch in jeder Ausbildung geht es darum, Leistung abzuliefern. Und nur wer das schafft hat den Eindruck eines „Traumjobs“. Desillusionierung hat oft mit fehlender Information im Vorfeld und während der Ausbildung mit fehlender Leistung zu tun. Zu viel träumen sollte man also nicht – aber auch rechtzeitig feststellen, wenn die Ausbildung nicht zu einem passt. Auch das kommt nämlich vor, auch dass es mit einem Arbeitgeber wirklich nicht klappt, es gibt aber immer Alternativen.
Heutzutage sind es nicht unbedingt die Jugendlichen, die sich um eine Ausbildungsstelle bemühen müssen, sondern viel mehr die Unternehmen, die um die besten Azubis werben. Was tun Unternehmen, um als Ausbildungsstätte attraktiv zu sein?
Zwar hat sich der Ausbildungsmarkt gedreht, so dass es mehr Ausbildungsstellen gibt als Bewerber/innen, um eine Ausbildung muss sich aber jede/r bemühen, sie fällt in den seltensten Fällen in den Schoß.Viele Unternehmen legen sich sehr ins Zeug für ihre Auszubildenden, vor allem was die Qualität der Ausbildung und die Betreuung durch die Ausbilder angeht. Einige versuchen auch mit finanziellen Anreizen Auszubildende zum Beispiel in strukturschwächere Gegenden zu »locken«, das sind aber aus unserer Erfahrung nur wenige Einzelfälle. Trotzdem gibt es da auch Anreize wie firmeneigenes Fitnessstudio, oder Zuschüsse für Fitnessstudiomitgliedschaften oder andere Life-style Angebote, die Jugendliche interessieren. Damit wir uns da aber nicht falsch verstehen: da konkurrieren die Firmen um die besten Jugendlichen – nicht um die mit dem schlechten Hauptschulabschluss.
Viele Ausbildungsstellen werden auch in diesem Jahr nicht besetzt bleiben. Was können Unternehmen tun, die nicht geschafft haben, ihre Stellen zu besetzen?
Es gibt verschiedene Ansatzmöglichkeiten. Immer haben sie damit zu tun, den Blick zu weiten und Bewerber in Betracht zu ziehen, die sie bisher nicht „auf dem Schirm“ hatten. Das können Jugendliche mit schlechten Voraussetzungen sein, denen ich dennoch eine Chance gebe, zunächst vielleicht durch eine Einstiegsqualifizierung oder ein anderes Berufliches Praktikum zu zeigen, was in ihnen steckt. Das können junge Erwachsene sein, die bisher aus unterschiedlichen Gründen keinen Berufsabschluss erworben haben, die aber viel berufliche Praxis aus unterschiedlichen Tätigkeiten mitbringen. Das können auch junge Frauen sein, die ihre Ausbildung gerne in Teilzeit machen möchten. Ebenso Umschüler, die bereits die Lebensmitte erreicht haben und beruflich neu starten wollen. In jedem Fall muss sich der Arbeitgeber Alternativen überlegen, die zum eigenen Unternehmen passen. Den Ausbildungsplatz unbesetzt zu lassen und aufs nächste Jahr zu hoffen ist die schlechteste Variante. Denn Auszubildende von heute sind die Fachkräfte von morgen.
Sie bekommen sicherlich Feedback von den Unternehmen in Bezug auf die Auszubildenden. Haben die Klagen des Arbeitgeber zugenommen, was die Qualität der Schulabgänger angeht?
Die Klagen verstummen zumindest nicht. Die Ausbildungsanforderungen sind hoch, viel höher als noch vor 20 oder 30 Jahren.In fast allen Bereichen haben sich die traditionellen Berufsbilder vor allem durch Technologisierung verändert. Nicht jeder Jugendliche kann da automatisch mithalten.Wir als Agentur für Arbeit bieten aber auch ausbildungsbegleitende Hilfen (abH), organisieren und bezahlen Nachhilfeunterricht, um Lücken zu schließen.Das Klagen allein schafft aber keine tragfähigen Lösungen – weder für die Unternehmen noch für die Jugendlichen, die vielleicht einfach intensivere Unterstützung benötigen.Viele Unternehmen geben sich aber auch große Mühe, um Lernschwächen oder Schwächen im sozialen Umgang der Jugendlichen im eigenen Unternehmen auszugleichen.
Weit verbreitet ist der Glaube, dass man mit einem Hauptschulabschluss heute kaum noch Chancen auf dem Markt hat. Wie positionieren Sie sich zu dieser These?
Vor allem bei den Eltern ist diese Meinung sehr verbreitet. Dazu muss man allerdings sagen, dass der »reine« Hauptschulabschluss aufgrund der Veränderung im Schulsystem auf dem Rückzug ist. Mit der Einführung der Werkrealschule und der Gemeinschaftsschule erreichen die Jugendlichen »automatisch« höhere Abschlüsse. Da unser Schulsystem mittlerweile sehr durchgängig ist, hat fast jeder Jugendliche prinzipiell die Chance einen höheren Bildungsabschluss zu erreichen.Was die Eltern oftmals nicht im Blick haben: Ein guter Hauptschulabschluss ist auch auf dem Ausbildungsmarkt unter Umständen mehr wert als ein schlechter Realschulabschluss.Oft wird dieser dann auch nicht geschafft – und die Spirale der Misserfolge setzt sich in Gang.Tatsächlich werden 60 Prozent der Ausbildungsverträge im Handwerk mit Schülern mit Hauptschulabschluss geschlossen.Allerdings sollte der Hauptschulabschluss auch vorzeigbar sein, die Noten stimmen.Für viele »Traumberufe« reicht der Hauptschulabschluss nicht aus, dann ist es möglich zum Beispiel auf einer beruflichen Schule den Realschulabschluss zu erwerben und gleichzeitig berufskundlichen Unterricht zu erhalten.
Im Gegensatz zu den Hauptschülern stehen auf dem Ausbildungsmarkt die Abiturienten. Heute hat man teilweise mit 17, 18 Jahren sein Abi in der Tasche. Welchen Ratschlag haben Sie für diese Gruppe: sofort studieren, eine Ausbildung anfangen oder erst einmal ins Ausland gehen?
Wir geben grundsätzlich keine Empfehlungen an die Jugendlichen, wir zeigen Ihnen aber auf, was alles möglich ist.Die Jugendlichen entscheiden selbst – oft auch noch mit den Eltern – da manchmal bei Abi noch keine Volljährigkeit vorliegt.Manche Jugendlichen brauchen noch Zeit mit der Berufs- und Studienwahl, es fehlt ihnen noch an Selbständigkeit oder Reife. Dazu kann ein Auslandsaufenthalt helfen, die eigenen Fähigkeiten zu entdecken und Selbstständigkeit zu entwickeln.Manche wissen aber ganz genau, was sie wollen, dann muss man auch keine Zeit verlieren und kann sich gleich für das Lieblingsstudienfach bewerben. Wer sich nach der Schule vor allem viel Praxisbezug wünscht, für den ist eine Ausbildung oder ein duales Studium sicherlich eine gute Wahl. Die Anzahl der angebotenen dualen Studienplätze nimmt zum Beispiel Jahr für Jahr zu. Auch Praktika zur Berufserkundung, Jobs in verschiedenen Branchen können helfen, den eigenen Berufswunsch zu identifizieren. Neben dem Plan „A“ sollte man grundsätzlich auch noch einen Plan „B“ haben. Denn nicht immer klappt es auf Anhieb mit dem Studienplatz am Lieblingsstudienort oder mit dem Auslandsaufenthalt. Gerade sehr junge Abiturient/innen, die es noch nicht so sehr in die Welt hinaus zieht, können sich überlegen, zuerst eine duale Ausbildung machen und später zu studieren.
Weiter oben haben wir darüber gesprochen, was Unternehmen tun können, wenn sie ihre Stellen nicht besetzt haben. Aber was können Jugendliche tun, wenn Sie im September noch immer ohne einen Ausbildungsplatz stehen?
Ganz ehrlich: nicht erst im September kommen sondern ein Jahr vorher und sich rechtzeitig um Ausbildungsstellen kümmern. Wir beraten und vermitteln ja nicht nur in den letzten drei Monaten vor Ausbildungsbeginn sondern bereits ab der Klasse vor dem Schulabschluss. Wenn man sich realistische Alternativen zum „Traumjob“ sucht, sich auch für unbekanntere Berufe interessiert wie zum Beispiel „Fachkraft für Fruchtsafttechnik“, dann ist es bei der derzeitigen guten Lage am Ausbildungsmarkt nicht sehr wahrscheinlich, noch nichts zu haben. Wer im September tatsächlich noch nichts hat, ist meistens zu spät in die Gänge gekommen oder eventuell noch nicht fit für eine Ausbildung.Dann kann man das Jahr nutzen um sich in einer berufsvorbereitenden Maßnahme fit zu machen. Auch da beraten und helfen wir weiter.
Ist es auch möglich, „spontan“ und sehr kurzfristig noch eine Stelle zu bekommen?
Ganz ehrlich: nicht erst im September kommen sondern ein Jahr vorher und sich rechtzeitig um Ausbildungsstellen kümmern. Wir beraten und vermitteln ja nicht nur in den letzten drei Monaten vor Ausbildungsbeginn sondern bereits ab der Klasse vor dem Schulabschluss. Wenn man sich realistische Alternativen zum „Traumjob“ sucht, sich auch für unbekanntere Berufe interessiert wie zum Beispiel „Fachkraft für Fruchtsafttechnik“, dann ist es bei der derzeitigen guten Lage am Ausbildungsmarkt nicht sehr wahrscheinlich, noch nichts zu haben. Wer im September tatsächlich noch nichts hat, ist meistens zu spät in die Gänge gekommen oder eventuell noch nicht fit für eine Ausbildung. Dann kann man das Jahr nutzen um sich in einer berufsvorbereitenden Maßnahme fit zu machen. Auch da beraten und helfen wir weiter.
Absagen auf die Bewerbungen sind also noch lange kein Grund zu verzweifeln?
Absolut nicht. Es gibt eine große Anzahl an sinnvollen Überbrückungsmöglichkeiten, um sich in dieser Zeit für eine Ausbildung fit zu machen – einfach noch mal zu uns in die Berufsberatung kommen