Die Filmschau darf wieder ins Kino und feiert die Rückkehr auf die große Leinwand mit einem Studenten-Oscar-Gewinner, einer Oscar-Kandidatin, Deutschland- und Baden-Württemberg-Premieren und vielen Neuentdeckungen aus dem Südwesten. Insgesamt 100 neue Filme umfasst das gemeinsame Programm der 27. Filmschau Baden-Württtemberg und dem Wettbewerb um den Jugendfilmpreis. Zum Abschluss werden am Sonntag, 5. Dezember, die mit insgesamt 14.000 Euro dotierten Baden-Württembergischen Filmpreise in den Kategorien Spiel-, Kurz-, Dokumentar-, Werbe- und Animationsfilm sowie im Wettbewerb um den Jugendfilmpreis vergeben. Der diesjährige Baden-Württembergische Ehrenfilmpreis geht an den Freiburger Stummfilmmusiker Günter A. Buchwald. Festivalkinos sind die Innenstadt Kinos Stuttgart (EM und Gloria), die Preisverleihung findet statt in der Dürnitz Kulturlounge im Landesmuseum Württemberg.
Los geht’s am Mittwoch, 5. Dezember mit Mika Kaurismäkis neuem Spielfilm 'Gracious Night' aus Finnland. Die deutsch-französisch-brasilianische Produktion 'Salamandra' von Alex Carvalho feiert nach seiner Weltpremiere in Venedig in Stuttgart seine deutsche Erstaufführung. Das Publikum der 27. Filmschau Baden-Württemberg darf sich also auf das Beste des Filmjahrgangs freuen. Zu den Highlights gehören Maria Schraders deutscher Oscar-Kandidat 'Ich bin dein Mensch', Tim Fehlbaums postapokalyptischer Thriller 'Tides' und der mit Preisen überschüttete Spielfilm 'Borga' von York-Fabian Raabe. Ein großes Fest im Kinosaal versprich die Baden-Württemberg-Premiere des Dokumentarfilms 'Mein fremdes Land' von Johannes Preuss und Marius Brüning zu werden. Der mit dem Studenten-Oscar ausgezeichnete Kurzfilm 'Tala'Vision' von Murad Abu Eisheh aus Jordanien (Filmakademie Baden-Württemberg) bringt Hollywood-Glanz. Stuttgarts Star-Choreograf Eric Gauthier präsentiert im Programm der Landesfilmschau erstmals 'The Dying Swans Project. Directors Cut'. Kontrovers, kosmopolitisch, futuristisch – Schwerpunktthemen: Die Klimakatastrophe und künstliche Intelligenz liefern den Stoff für sehr viele Festivalfilme. In Tim Fehlbaums mehrfach preisgekrönten Science-Fiction-Thriller 'Tides' kehrt ein Erkundungsteam zurück auf die verwüstete Erde. Franz Böhms preisgekrönter Dokumentarfilm 'Dear Future Children' gibt jungen Klimaaktivist*innen eine Stimme. Willi Kubica stellt in seinem Spielfilm 'Endjährig' die heutigen Generationskonflikte radikal auf den Kopf und präsentiert eine Gesellschaft, in der Menschen ein Ablaufdatum haben. Sinje Köhler, die 2017 für 'Freibadsinfonie' mit dem Baden-Württembergischen Filmpreis in der Kategorie Kurzfilm ausgezeichnet wurde, beobachtet in ihrem Spielfilm-Debüt 'Viva Forever' eine Clique, die seit Jahren die Sommerferien gemeinsam am Gardasee verbringt – bis sich unterschwellige Konflikte in der Gruppe entladen. 'Borga', das sind in Ghana Landsleute, die es im Ausland zu etwas gebracht haben. 'Borga' heißt York-Fabian Raabes Spielfilm, der das Leben in der Fremde aus der Sicht eines Flüchtlings aus dem Westen Afrikas schildert.
Unglaubliche, alltägliche und wunderschöne Geschichten – Shorts für alle:
In den drei Kurzfilmblöcken geht es um Leben und Zusammenleben, Wohnungsnot, Streiche spielen, Elektrosensibilität, Kriminalität und spannende, ungewöhnliche Begegnungen im familiären Umfeld oder mit Fremden. In 'Männerabend' von Ares Ceylan bringen die Mitbewohner einer WG einem Vater die Sachen seines verstorbenen Sohnes zurück. Der Abend entwickelt sich ganz anders als gedacht. Mit 'Le Normcore' lädt Katrin Sikora das Publikum zu einem amüsanten Samstagabend mit dem Ehepaar Robert und Tea Biedermann ein.
Herzergreifend, aufrüttelnd und berührend – starke Dokumentarfilme:
'Mein fremdes Land' von Johannes Preuss und Marius Brüning ist eine sehr emotionale Suche nach den eigenen Wurzeln und der Identität. Manuel Sosnowski wurde als einjähriges Baby in Bolivien von einer deutschen Familie adoptiert. 31 Jahre später macht sich der Editor aus Ludwigsburg in seinem Geburtsland auf die Suche nach seiner Mutter. Tränen, Blicke und Umarmungen, wo die unterschiedlichen Sprachen versagen. Außerdem lernt das Publikum in 'Namibia's Number Nine' von Stephanie Constantin und Sarah Lanz eine Fußballerin aus dem Team von Namibia und schwierigen Alltag der Spielerin kennen oder begleitet in 'Mission Abroad – Erfahrungen fürs Leben' von Kurt K. Eifler Auslandseinsätze der Polizei. Andreas Hezel schlägt in 'SABA Supernova' die spannende Chronik eines verschwundenen Rundfunkgeräteherstellers aus dem Schwarzwald auf. Für 'Fallende Blätter' von Cyrill Gundlach, Danijel Marsanic und Lorenzo Oschwald schmuggelt sich ein Protagonist ins Stuttgarter Obdachlosen-Milieu und lernt dessen Rang- und Hackordnungen sowie die Auftritte von Banden, die Bettler kontrollieren, hautnah kennen. 'Mein Vietnam' von Hien May und Tim Ellrich geht der Frage nach, wo sich ein Ehepaar aus Vietnam wirklich daheim fühlt. Es lebt schon lange in Deutschland und hält über Videotelefonate engen Kontakt zu der Verwandtschaft in Vietnam. Insgesamt zehn Dokumentarfilme zeigt die Landesfilmschau.
Vieles zum Schmunzeln, Staunen, Nachdenken – die Trickfilme:
Ein Animationsfilm macht Stuttgart zum Trickfilmstar: 'Benztown' von Gottfried Mentor betrachtet auf amüsante Form die Rolle des 'Heiligs Blechle' in der Autohauptstadt. Der diesjährige Animations-Mix greift Stoffe für Kinder und anspruchsvolle Trickfilme für Erwachsene auf; darunter auch Hybrid-Filme, die Animation, VFX und Realfilm (‚Wie Helga sprach‘ von Maud Mascré und Johann Schilling) zusammenbringen. In unserem Programm geht’s um Sterben in der Zukunft (‚St.Android‘ von Lukas von Berg), den Rechtsruck in Sachsen (‚Obervogelgesang‘ von Ferdinand Ehrhardt und Elias Weinberger) oder Elitesoldanten (‚Into the Cutezone‘ von Niklas Wolff).
Dem Programmteam standen mehr Filme zur Auswahl als das neue, kleinere Zeitfenster im Kino für die Filmschau zulässt. Im Metropol liefen an fünf Tagen in drei Kinosälen bis zu 150 Festivalbeiträge. Jetzt stehen von der Eröffnung am 1. Dezember bis zur Preisverleihung am 5. Dezember lediglich zwei Kinosäle zur Verfügung. Bewusst entschied sich das Programm-Team gegen eine Aufteilung in Präsenz und Online. „Wir wollten kein Zwei-Klassen-Programm – wer darf auf die Leinwand, wer muss ins Netz. So hätten es zwar mehr Filme ins Programm geschafft; aber wir gaben der erlebbaren Festivalatmosphäre den Vorzug“, gibt Programmleiterin Elisa Kromeier zu bedenken. Trotzdem bietet die Filmschau 50 sehenswerte Filme, davon laufen 25 in den Wettbewerben um die Baden-Württembergischen Filmpreise.
Nicht erst seit Corona-Regeln und Lockdown sind die Filmfestivals insgesamt im Umbruch.„Die Landesfilmschau versucht zu beantworten, wie die Transformation der Filmkultur weitergeht. Die weltoffene Bodenständigkeit der Filmszene Südwest wird auch diesen Trend hinterfragen und die Zuschauer*innen mit eigenen Lösungen angenehm überraschen. Was dann wieder auf einer Landesfilmschau, dem Trendsetter und Schaufenster für Filme von hier, erlebt werden kann,“ sagt Festivalleiter Oliver Mahn.
Stummfilmmusiker Günter A. Buchwald bekommt den Baden-Württembergischen Ehrenfilmpreis 2021
Der Dirigent, Komponist, Pianist und Violinist Günter A. Buchwald (69) aus Freiburg wird mit dem diesjährigen Baden-Württembergischen Ehrenfilmpreis ausgezeichnet. Der undotierte Preis wird bei der 27. Filmschau Baden-Württemberg (1. bis 5. Dezember 2021) in Stuttgart vergeben. Mit der Auszeichnung werden Menschen geehrt, die den Medien- und Filmstandort Baden-Württemberg mitgestalten, durch ihre Arbeit nachhaltig unterstützen und einen wichtigen Beitrag zur Wahrnehmung des Standortes auch über die Landesgrenzen hinaus leisten, so das Filmbüro Baden-Württemberg.
Günter A. Buchwald gehört zu den eher stillen Stars im Südwesten, der einer der wenigen weltweit gefragten Stummfilmmusiker ist und in Zusammenarbeit mit internationalen Filmarchiven das Erbe der frühen Filmgeschichte rettet, bewahrt und der Öffentlichkeit zugänglich macht.
Als Solist, mit der von ihm gegründeten Silent Movie Music Company oder großen Orchestern ist der Mitbegründer der Stummfilm-Renaissance seit 1978 ein geschätzter Interpret auf den großen Stummfilmfestivals der Welt. Aus San Francisco, Kyoto, Tampere, Bristol, Zürich oder Wien rufen die Veranstalter in Freiburg an, um Buchwald für große Silent-Movie-Events zu gewinnen. Er schreibt ebenso für restaurierte stumme Klassiker der Universal Studios in Hollywood die Musik oder spielt vor großem Publikum die noch erhaltenen original Kompositionen. Gastspiele in kleinen Filmtheatern im Schwarzwald gehören ebenso zu seinen Herzensprojekten wie etwa die Uraufführung des 'Golem' im Konzerthaus Wien mit Giora Feidman und dem Arditti Streichquartett. Zuletzt wurde seine Komposition zum restaurierten Klassiker ‚Casanova‘ von Alexander Wolkoff aus dem Jahre 1927 mit dem ‚L’Orchestre National de Lyon‘ von Publikum und Medien in Frankreich stürmisch gefeiert. Sein Repertoire umfasst 3.500 Stummfilme.
Im Rahmen der 22. Filmschau Baden-Württemberg 2016 steuerte Buchwald gemeinsam mit dem Schlagzeuger Frank Bockius die Live-Musik für die Deutschlandpremiere des restaurierten Klassikers 'The Last Warning' aus dem Jahr 1929 bei. Universal in Hollywood favorisierte den Freiburger für diese einmalige Premiere im Carl-Laemmle-Jubiläumsjahr. Im Rahmen der historischen Filmarbeit gibt es auch dank Günter A. Buchwald eine lebendige Pflege des Stummfilms. Der Stummfilmmusiker ist bestens vernetzt mit Archivaren und Filmfestival um die alten Filme wieder ins Kino zu bringen und lebendig zu machen. „Momentan befinden wir uns in einer sehr wichtigen Phase, in der die alten Stummfilmschätze restauriert und digitalisiert werden. Manche Filme sind zwar unwiederbringlich verloren, nur ihre Titel sind noch bekannt“, gibt er zu bedenken. Wenn sich Filmarchive und Stummfilmmusiker nicht gegenseitig animieren würden, wäre mancher Film nicht restauriert worden. Denn die Musiker schaffen eine Öffentlichkeit, um diese Filme einem größeren Publikum bekannt zu machen. Eines, so gestand er bei der Premiere in Stuttgart, würde ihn wirklich interessieren, ob es irgendwo von Carl Laemmles 'Der Glöckner von Notre Dame' noch ein vollständiges Original der Notenblätter gibt.
Günter A. Buchwald war das große Glück vergönnt, noch vielen Zeugen aus der Stummfilmzeit zu begegnen. Auf der Berlinale 1995, wo er in der Retrospektive '100 Jahre Kino' einen Stummfilm von Buster Keaton begleitete, schüttelte ihm hinterher Eleonor Keaton, die Witwe des unvergessenen Stummfilmstars, die Hände. Buchwald traf Charlie Chaplins Kinder oder Jean Darling, das kleine Mädchen mit den weißen Locken aus 'Kleine Strolche'.
Sein Lebens- und Arbeitsmittelpunkt ist und bleibt seine Geburtsstadt Freiburg. Buchwald ist seit 2007 ständiger Gastdirigent des Freiburger Philharmonischen Orchesters, lehrte Musikpädagogik am Jazzcampus der Schweizer Hochschule für Musik Basel und ist Gastdozent für Filmmusik an den Universitäten Zürich und Freiburg. Günter A. Buchwald ist musikalischer Leiter des ‚Bristol Slapstick Silent Festivals‘, wo der ‚Pink Panther‘-Animator Richard Williams in seiner ‚Bristol Band‘ lange Zeit Trompete spielte. Ausgezeichnet wurde er unter anderem mit dem Reinhold-Schneider-Kulturpreis der Stadt Freiburg, der Goldenen Filmspule der Kommunalen Kinos des Allgäus, dem Preis des Zeltmusikfestivals Freiburg und dem Prix Européens der Regiostiftung Oberrhein.