Manege frei für den Weltweihnachtscircus

Foto: Torsten Rothe

Weltweihnachtscircus 2016

Die (Vor-)Weihnachtszeit ist spätestens dann im Gange, wenn in Stuttgart der Weltweihnachtscircus zum Staunen und Lachen auf den Cannstatter Wasen einlädt. So gesehen begann diese Zeit am gestrigen Donnerstag, den 10. Dezember, mit der offiziellen Premiere des diesjährigen Programms. Und um eines gleich vorweg zu nehmen, es ist eines der besten Programme der vergangenen Jahre. Als Zuschauer hat man kaum Zeit Luft zu holen, ein Highlight reiht sich an das nächste. Zurecht gab es beim großen Finale vielumjubelte Standing Ovations. Doch der Reihe nach…

„Der meistprämierte Weihnachtscircus der Welt“ haben sich die Macher auf die Fahnen geschrieben und was dahinter steckt, davon legt gleich der Opener eindrucksvoll Beweis ab. Bello Nock, der Actionclown und Wagehals, begrüßt die Gäste in der dunklen Manege. Dunkel? Ja, dem Clown fehlt Licht für seine Zeitung. Also was macht der Gute? Er klettert kurzerhand auf die meterhohe Laterne, um die Glühbirne auszutauschen. Dass die Laterne nicht so ganz stramm und steif steht, wie man vermuten könnte, interessiert den US-Amerikaner nicht… Bereits diese Nummer fasst vorzüglich das zusammen, was in den kommenden Stunden auf die Besucher wartet. Da ist Charme, da ist Witz, da ist Akrobatik – die Vorfreude auf die nächsten Programmpunkte ist groß. Diese wird nicht enttäuscht. Sogleich folgt eine klassische Pas de Deux-Nummer, bei der das Paar Marrylu und Jozsef voller Anmut akrobatische Kunststücke auf dem Rücken der Pferde zeigt. Spektakulär ist die zwölf Mann umfassende „Kopf-auf-Kopf“-Nummer aus China, bei der die Künstler von einem Kopf zum anderen springen. Die Gruppe Zhejiang wurde in China mit Gold ausgezeichnet. Im Publikum sitzen muss man anerkennend sagen „Zurecht!“ Die Körperbeherrschung der Artisten verleitet viele auf den Rängen zu einem euphorischen „Wow“ und „Bravo“. Alte Bekannte in Stuttgart sind die Erani-Brüder. Gefühlt jedes Jahr kommen sie mit dem Weltweihnachtscircus in die Stadt und zeigen grundsolide, doch wenig überraschende Artistiknummern, diesmal auf dem Schleuderbrett. Zwar mit ein paar Wacklern, aber diese verzeiht man ihnen, beachtet man die Frequenz und die Geschwindigkeit, mit der die Nummern präsentiert werden. Auf die drei Brüder folgen ganz große Gefühle und ganz viel Romantik. Ambra und Yves zeigen eine vom Tango inspirierte Vertikaltuchnummer, die vor Leidenschaft und Poetik nur so strotzt.

Jetzt könnte man an dieser Stelle jede Nummer aufführen und beschreiben und loben und abfeiern. Doch das würde letztendlich den ganzen Zauber, den dieses Gastspiel parat hält, nehmen. Denn die Vorstellungen laufen noch bis zum 10. Januar. Die Besucher können sich auf reizende Diabolo-Mädels aus China freuen, deren Darbietung fast schon an Theater grenzt. Oder auf „fliegende“ Nordkoreaner, die gleich mehrere Weltrekorde brechen. Oder anmutige Pferde der Familie Knie, die sogar im Dunkeln leuchten. Oder wahnsinnige Körperbeherrschung der Ukrainer Popov und Shcherbak. Oder Picasso junior, der mit Tischtennisbällen jongliert und dabei die Hände kaum, seinen Mund dafür umso mehr benutzt. Oder die erste Nummer auf der Russischen Schaukel, die ausschließlich aus Frauen besteht. Oder die Elefanten der Familie Casselly – übrigens zum ersten Mal zu Gast beim Weltweihnachtscircus. Alle Nummern haben Klasse, sogar die von Steve Eleky. Auch wenn es mitunter albern wirkt, die Zuschauer haben Spaß, sie lachen. Und darum geht es schließlich beim Zirkus: Sich für einige Momente der Realität entziehen, in Traumwelten eintauchen, sich beeindrucken und faszinieren lassen. All das schafft die diesjährige Auflage des Weltweihnachtscircuses mit Leichtigkeit. Die zahlreichen Goldenen und Silbernen Clowns, die bedeutendsten Auszeichnungen der Zirkuswelt, sind in Stuttgart bestens aufgehoben. Denn hier finden sie sein nunmehr 23 Jahren ein Publikum, das diese hohe Zirkuskunst mehr als nur goutiert.

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Torsten Rothe