Erich Benz
An der Hochschule Heilbronn sind die Fragen der Zukunft längst Alltag. Künstliche Intelligenz, autonomes Fahren, Deep Learning. Wo liegen die Stärken der Hochschule und wie haben sich die Studenten im Laufe der Zeit verändert? MORITZ-Redakteurin Simone Heiland im Gespräch mit dem Rektor der Hochschule Heilbronn, Prof. Dr.-Ing. Oliver Lenzen.
Herr Prof. Lenzen, wohin geht der Trend beim Studieren an der Hochschule?
An unserem Standort in Heilbronn-Sontheim sind die technischen Studiengänge und Labore eingerichtet und der Bedarf an Absolventen von Technikstudiengängen ist auch sehr hoch. Insgesamt haben wir ein gut aufgestelltes Portfolio, das sowohl technische als auch betriebswirtschaftliche Studiengänge beinhaltet. Wir arbeiten eng mit vielen Betrieben zusammen, auch mit den vielzitierten »Hidden Champions«, die steigenden Bedarf an unseren Absolventen haben. Wenn Sie sich unsere drei Säulen anschauen – Technik, Wirtschaft und Informatik – dann spiegelt das Studienangebot genau das wider, was man heute auch zur Gründung von Unternehmen benötigt. Hier erkennt man schon eine Art Trend: Es gibt in Heilbronn viele Einrichtungen, die sich speziell mit dem Entrepreneur-Gedanken beschäftigen, wir haben hier fast schon ein Alleinstellungsmerkmal im Heilbronner Raum. Mit unseren drei Säulen bedienen wir diese Entwicklung nahezu ideal.
Wie stark werden Zukunftsthemen wie etwa autonomes Fahren außerhalb der Forschungslabore an der Hochschule diskutiert?
Wir greifen neben dem genannten autonomen Fahren auch weitere Themen der Zukunft auf. Die künstliche Intelligenz, das Deep Learning, die Themen rund um Gesundheit und medizinische Informatik und deren Verbindung, all das wird breit diskutiert. Die jungen Leute werden – das ist unser Markenkern – in unseren Reallaboren in die Forschungsprojekte direkt involviert. Autonomes Fahren wird mit Studierenden in Heilbronn heute schon realisiert. Sie experimentieren und entwickeln daran, testen die Erfahrungen in ihren Bachelor- und Masterarbeiten aus. Man kann ja Themen erst beurteilen und kritisch hinterfragen, wenn man verstanden hat, worum es eigentlich geht. Ich kann mich beispielsweise zum autonomen Fahren nur dann seriös äußern, wenn ich die Kernproblematik durchdrungen habe. Und dazu wollen wir die jungen Leute befähigen und beflügeln. Ob sie es dann gut oder schlecht finden – das bezieht sich natürlich auf alle neuen Technologien – ist eine andere Sache. Bewertungen müssen dem Verstehen folgen. Darüber hinaus wollen wir im Rahmen des Studiums Generale den breiteren, gesellschaftlichen Diskurs anregen. Vom autonomen Fahren hat jeder schon einmal etwas gehört, aber es ist nur ein Teil eines Gesamtsystems, das allgemein künstliche Intelligenz, Automatisierung, Servicerobotik, die Schnittstellen also zwischen Menschen und Maschinen, umfasst. Und ganz wichtig: Man darf und muss sich fragen, wo das hinführt, welche Position der Mensch dabei einnimmt.
Ich hatte es mehr dahingehend gemeint, dass Technik immer mehr den Menschen ablöst, überflüssig macht und Arbeitsplätze verloren gehen oder erst gar nicht mehr entstehen.
Ja, jetzt kommt ein weiterer Aspekt. Ich habe heute Morgen im Radio etwas Interessantes gehört. Auf die Frage, ob es Gott gebe, hat ein Manager eines der führenden amerikanischen Internetkonzerne geantwortet: »Noch nicht«. Die Idee dahinter ist, dass Computer Computer bauen, die leistungsfähiger sind, als sie selber, die dann wiederum Computer bauen, die noch leistungsfähiger sind und so fort. Irgendwann ist das ganze System dann weltbeherrschend, weltumspannend und reproduziert sich auch selbst. Über solche Dinge muss man nachdenken, das tun wir auch. Wo führen uns autonome Systeme hin? Wie kann man sie für den Menschen – ausschließlich – nutzbringend einsetzen? Jede Technologie befähigt auch zum Gegenteil ihrer ursprüngliche Intention. Um ein Beispiel zu nennen: In der Medizin gibt es fantastische Fortschritte. Es gibt Möglichkeiten, Therapien personalisiert einer Diagnostik folgen zu lassen. Das ist faszinierend, aber man könnte mit modernen molekularbiologischen Methoden durch DNA-Manipulationen auch kleine Monster erschaffen. Das heißt: Mit wissenschaftlichem Fortschritt muss auch immer moralisch-ethischer Fortschritt einhergehen. Deshalb ist es so wichtig, dass bei all diesen Themen ein gesellschaftlicher Diskurs stattfindet.
Waren Sie schon einmal im Silicon Valley?
Nein, bisher nicht. Ich halte es da mit Montaigne: »Das Beispiel ist ein schlechter Freund«. Das System ist interessant, nicht nur einzelne Beispiele, so beeindruckend diese auch sein mögen. In der Regel lassen sich Verhältnisse nicht einfach übertragen, insbesondere die amerikanischen. Man kann zwar mit Aufwand und technischen Mitteln eine Mauer bauen, man kann es aber auch einfach lassen.
Wie weit darf Fortschritt gehen?
Technischer Fortschritt an sich ist gut, wenn er denn auch richtig eingesetzt wird. Das erzähle ich meinen Studierenden gleich zu Beginn des ersten Semesters recht eindringlich. Jede Kugel, die einen Gewehrlauf verlässt, ist durch einen klugen Ingenieur dazu befähigt worden. Es gibt von Natur aus keine Gewehre, keine Autos und auch keine Herzschrittmacher auf der Welt. Man muss sie herstellen. Es gibt aber Atome, Gänseblümchen und Berggipfel, die muss man nicht herstellen, sie sind einfach da. Das ist der große Unterschied zwischen Technik und Naturwissenschaften. Ein Naturwissenschaftler kümmert sich um das, was grundsätzlich schon vorhanden ist und versucht es zu verstehen. Die Technikwissenschaftler setzen mit den neuen Technologien Neues, nie zuvor Dagewesenes in die Welt. Und dafür haben sie dann auch eine Verantwortung. Fortschritt und die Grenzen des Fortschritts richten sich an den ethischen Regeln einer Gesellschaft aus. Diese sind fragil, aber sie sind das höchste Gut, das wir besitzen. Das schließt aber nicht aus, dass irgendwo jemand gegen diese Regeln verstößt. Es besteht immer die Gefahr, dass gemacht wird, was prinzipiell gemacht werden kann.
Lässt sich Fortschritt bremsen?
Nein, man kann Fortschritt nicht bremsen, man sollte es auch nicht. Fortschritt ist die Grundlage des sich stetig steigernden Wohlergehens der Menschen in Summe. Das Denken ist frei und frei denkende Menschen werden am Fortschritt arbeiten. Selbst wenn man Gefahren sieht, lässt sich das Voranschreiten des Erkenntnisgewinns nicht einschränken, Dynamiken dieser Art sind nicht zu bremsen. Das wäre auch fatal. Fortschritt beginnt mit der Schaffung von Erkenntnissen. Letztlich waren die Naturwissenschaften in diesem Sinne die Grundlagen für den Fortschritt. Die Entdeckung von Mikroben und das Verständnis um deren krankheitsauslösende Effekte hat vielen Millionen Menschen das Leben gerettet. Die daraus abgeleiteten Techniken, wie das Chloren von Trinkwasser, ebenso. Aus naturwissenschaftlichem Verstehen leiten sich technische Fortschritte ab. Nehmen wir die Quantenphysik. Das ist zunächst etwas hoch Ab-straktes, aber die Quantenphysik wird uns vermutlich einmal in die Lage versetzen, eine komplett neue Computergeneration zu schaffen, deren Leistungsfähigkeit jetzt noch fern der menschlichen Vorstellungskraft liegt. Auch hier wieder die Frage, wie man den Diskurs befähigen kann, um in der Gesellschaft zu entsprechenden Regeln zu gelangen. Gesetze zählen zu diesen Regeln. Grundsätzlich funktioniert das ja. Nehmen Sie an anderer Stelle Friedensvereinbarungen zwischen Völkern oder Sportvereinen (lacht). Das sind selbstauferlegte Regeln, die auch funktionieren, sofern sie auf breitem Konsens fußen. Es gilt, den mephistophel-es´schen Drang zu begrenzen, nicht den Fortschritt. Deshalb liebe ich Goethe so, er hat viele dieser Themen schon vorweg genommen, dem damaligen »Maschinenwesen« kritisch gegenüber gestanden, ohne fortschrittsfeindlich zu sein. Vieles lässt sich hierzu im Faust II nachlesen.
Was meinen Sie würde er zu der Welt heute sagen?
Er würde – zum Teil – entsetzt sein. Goethe stellte das erkennende Subjekt in den Vordergrund. Um das Objekt als Objekt erfassen zu können, ist das Subjekt als Subjekt zu objektivieren. Heute gerät das erkennende Subjekt demgegenüber immer mehr in den Hintergrund. Darüber ließe sich lange diskutieren.
Was macht die Hochschule Heilbronn in der Hochschullandschaft im Land aus?
Wir legen Wert darauf, an jedem unserer Standorte – in Heilbronn, Künzelsau oder Schwäbisch Hall – zunächst einmal lokal zu handeln in enger Vernetzung mit der jeweiligen Region bzw. Raumschaft und sind stark in der Region verwurzelt. Aber wir wollen auch überregional sichtbar werden. Historisch gesehen waren die alten »Fachhochschulen« ja – zumindest in der Technik – für den engeren Einzugsbereich zuständig. Das ändert sich tendenziell. In unserer Fakultät International Business ist es heute schon so.
Wieviele Stipendien vergeben Sie pro Jahr und für welche Studiengänge?
Die HHN vergibt im akademischen Jahr 2018/2019 (September 2018 bis August 2019) 129 Deutschlandstipendien. Die sind auf alle Fakultäten und Studiengänge verteilt. Für Medizinische Informatik sind es derzeit zwölf Stipendien, bei IBIS und Maschinenbau zehn und in Management und Personalwesen sowie Software Engineering aktuell jeweils neun.
Finden Sie nicht auch, dass sich Studentenleben früher ungestümer angefühlt hat? Heute wirken Studenten so brav.
(lacht) Ingenieure sind ein wenig brav. Ich musste sie immer etwas aus der Reserve locken. Aber was sehr erfreulich ist: Wir haben gerade jetzt eine aufgeschlossene, kritiche Studierendenschaft, die sich einmischt, die Fragen stellt, die mitmacht, die verstehen will. Das sind jetzt keine 68er, die den Professoren den Talar herunterreißen, das haben wir mehr in Tübingen gehabt bei den Geisteswissenschaftlern, Philosophen oder Rhetorikern. Das gibt es heute nicht mehr so.
Heute gehen statt der Studenten die Bürger auf die Straße.
Die Studierenden gingen früher meist mit einem sehr konkreten gesellschaftlichen Anliegen auf die Straße, sie wollten auch wirklich gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen. Unabhängig von Studierenden habe ich heute oft den Eindruck, dass bei Straßengängen sehr viel ritualisiert ist.
Sie hatten eingangs Gesundheitsthemen erwähnt. Können Sie kurz erklären, was es damit auf sich hat?
Ich war gerade auf einer Veranstaltung des Molit-Instituts. Das ist ein Startup, bei dem renommierte Experten, wie Prof. Dr. Uwe Martens vom Tumorzentrum der SLK Kliniken Heilbronn und Prof. Dr. Christian Fegeler aus dem GECKO Institut der Hochschule Heilbronn sich mit personalisierter Medizin beschäftigen. Das Institut wird von der Dieter Schwarz Stiftung gefördert und hat in kurzer Zeit überregionale, teils weltweite Bedeutung erlangt. Das ist ein Triangulum, wie es besser nicht sein kann. Es verbinden sich Forschung, Anwendung und Förderung zum konkreten Wohle von Menschen, wobei die Entwicklung maßgeschneiderter Therapien für Krebspatienten im Vordergrund steht. Das ist sehr beeindruckend. Empirie und Analyse gehen Hand in Hand. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Informationswissenschaften und – in diesem Fall – Medizin hilf dabei, Menschenleben zu retten. Und ganz allgemein wird die Zukunft dem Arbeiten über die Grenzen hinweg gehören. Über Ländergrenzen, die Grenzen der Disziplinen und – fast noch wichtiger – über die Grenzen des Denkens. Wir möchten an der Hochschule Heilbronn dazu einen relevanten Beitrag leisten.