Foto: Wilhelma Stuttgart
Im Laufe des Abends enthüllte „Brunhilde“ ihre volle Pracht.
„Bunga Bangkai“ – „Leichenblume“ nennt man die Titanwurz in ihrem Heimatland Indonesien. Warum die Pflanze diesen Namen trägt, war am gestrigen Abend, 09. September 2018, in der Wilhelma in Stuttgart deutlich zu riechen. Für die seltene Blütephase der Amorphophallus titanum blieb das Schmetterlingshaus des Zoologisch-Botanischen Gartens bis 24 Uhr geöffnet. Bereits am Nachmittag nahm die Tropenpflanze ihre Gäste rund um das Haus mit ihrem unverwechselbaren Kadavergeruch in Empfang. Viele Interessierte waren bereits am Nachmittag gekommen und blieben bis in die Nachtstunden, um keinen Moment der
einmaligen Entfaltung zu verpassen. Insgesamt waren etwa 12.000 Besucher in der Wilhelma. Damit war der gestrige Sonntag einer der am stärksten besuchten Tage des bisherigen Jahres.
Die Blüte der Titanwurz wurde mit großer Spannung erwartet, denn für ihren eindrucksvollen Auftritt hatte sie sich in der vergangenen Woche reichlich Zeit genommen. „Sie war insgesamt zwei Tage länger im Wachstum als all ihre Vorgänger bei uns“, erklärt Dr. Björn Schäfer, Leiter des Fachbereichs Botanik. „Wir hatten noch nie eine Titanwurz, die vom Ansatz bis zur Öffnung ihrer Blüte so viel Zeit benötigt hat.“ Um ihrem eigensinnigen Charakter gerecht zu werden, wurde sie daher auch „Brunhilde“ getauft, in Anlehnung an die stolze Königin aus der Nibelungensage. So gemächlich sich die Amorphophallus titanum auch anfangs gab – an dem entscheidenden Tag hatte sie es auf einmal recht eilig. Normalerweise lässt sich erst am späten Nachmittag mit Sicherheit sagen, dass die Öffnung des Blütenstandes unmittelbar bevorsteht. Bei „Brunhilde“ waren die Anzeichen jedoch bereits um 14 Uhr eindeutig. Im Laufe des Nachmittags konnte man wunderbar beobachten, wie sich das rötlich gefärbte Hochblatt Minute für Minute weiter entfaltete. Bereits gegen 21.30 Uhr erreichte die Blüte ihren Höhepunkt, fast zwei Stunden früher als üblich. Über 40 Grad Temperatur maß die Wärmebildkamera der Uni Hohenheim, mit der die Hitzeentwicklung des Kolbens festgehalten wurde, zu diesem Zeitpunkt. Die Wärme ist ein Teil der ungewöhnlichen Fortpflanzungsstrategie der Titanwurz: Sie imitiert mit hohen Temperaturen und einem fauligen Geruch einen verwesenden Tierkadaver. So lockt sie in den Regenwäldern Südsumatras Aasfliegen für ihre Bestäubung an.
Da ihre Blüte nur eine Nacht anhält, bescherte „Brunhilde“ den Besuchern der Wilhelma ein einzigartiges Erlebnis. „Alle Gäste waren unglaublich interessiert und dankbar für diesen atmosphärischen, spannenden Abend“, berichtet Dr. Björn Schäfer, der gestern gemeinsam mit seinen Gärtnerinnen und Gärtnern unermüdlich die vielen Fragen zu der königlichen Titanwurz beantwortete. „Brunhilde“ hat am Morgen nach ihrer anstrengenden Nacht schon etwas an Spannung verloren, hält sich aber noch aufrecht. Ihr Hochblatt zieht sie langsam wieder an sich, in den nächsten Stunden wird sie dann zunehmend in sich zusammensacken.
Bis zur nächsten Blüte muss man sich nun wieder in Geduld üben – schließlich gibt es dieses botanische Phänomen maximal alle sieben Jahre zu sehen.