Foto: Martin Huch
Heinz Rudolph Kunze
Mit „Schöne Grüsse vom Schicksal“ hat Heinz Rudolf Kunze sein 36. Album seit 1981 veröffentlicht und geht damit ab Januar auf gleichnamige Tournee. Sein Karriereweg ist gepflastert von Auszeichnungen. Er hat Musicals ins Deutsche übersetzt, für viele Musikerkollegen Texte geschrieben, tritt vereinzelt als Schauspieler auf und führt Interviews mit Zeitzeugen. Ein Tausendsassa, der sich dennoch immer treu bleibt. Ein Deutsch-Rocker, der mahnt, aber niemals belehrt. MORITZ-Redakteurin Simone Heiland sprach mit ihm.
Herr Kunze, Sie beklagen in Ihrem neuen Album die Verblödung der Menschheit, die Verflachung allerorten, sagen, wir befänden uns in einer Art Neo-Weimar. Ist unsere Generation jetzt dran, zu retten, was noch zu retten ist?
Ich bin ein Beobachter meiner Zeit. Ich versuche festzuhalten und irgendwie zu protokollieren, was um mich herum passiert und was mir auffällt. Und ich tue das in der unverwüstlichen Hoffnung, dass irgend jemand anderem etwas Besseres einfällt als mir. Ich bin nur ein Beschreiber von Symptomen, aber ich habe keine Lösungen. Ich bin kein Sektenführer, sondern nur ein Musikant.
Wie ist die Resonanz ihres Publikums? Mit welchem Gefühl gehen die Menschen nach Hause nach einem Konzert?
Ein Konzert zu diesem Album hab‘ ich ja noch gar nicht gegeben. Das erste wird Mitte Januar in Leipzig sein. Aber ich war das ganze letzte Jahr solo unterwegs, mit einem Flügel, drei Gitarren und Mundharmonika. Das Solo-Programm ist ein Überblick über mein Gesamtwerk von 1981 bis heute. Da unterbreche ich die alten Stücke, die ich spiele, immer mit gesprochenen satirischen, kabarettistischen Zwischentexten, die auch akut aufs Zeitgeschehen eingehen, akuter als das Lieder oft können. Ich habe das Gefühl, dass das eine sehr warmherzige Aufnahme bei den Leuten findet. Die kriegen mich da eben völlig unabgelenkt von anderer Musik. Ich sitze da und spiele Gitarre und Klavier und singe und spreche. Und die Leute sind sehr innig bei der Sache, das ist ganz erstaunlich. Ich hoffe, ich kann diese Aufmerksamkeit, diese Innigkeit mit rüber retten in unser Band-Programm, wo die Musik natürlich etwas mehr im Vordergrund steht.
Sind Sie mit beiden Konzertreihen parallel unterwegs?
Nein, das Solo-Programm ist wie bei Bob Dylan, das gibt es immer. Und die Tournee ist eine Unterbrechung, wo ich die Jungs mal wiedersehe.
Wie bewerten Sie die Situation in Ostdeutschland. Dort sind Sie ja auch regelmäßig unterwegs.
Im Osten hab‘ ich mein größtes und stärkstes Publikum. Es gibt da sehr viele vernünftige Leute, die demokratisch eingestellt sind. Das darf man nicht vergessen, wenn man immer so diese Gespenster an die Wand malt. Der Rechtswähler lebt nicht nur im Osten.
Sie haben 2017 Ihr Album »Meisterwerke« veröffentlicht mit Liedern von Roy Black und Freddy, aber auch mit dem Udo-Jürgens-Song »Was ich Dir sagen will«. Warum Udo Jürgens und warum genau dieses Lied?
Mit dem Album wollte ich alles ein bisschen abbilden, was in der Popularmusik in Deutschland in den letzten Jahrzehnten eine Rolle gespielt hatten. Wer mich kennt, wird wohl annehmen, dass Roy Black und Freddy Quinn jetzt nicht regelmäßig bei mir auf dem Plattenteller liegen. Aber das waren Titel, die in Deutschland viel bewegt haben, deshalb hab‘ ich sie dazu genommen. Und ich wollte eine Spannbreite von Freddy Quinn bis Einstürzende Neubauten auf einem Album miteinander konfrontieren. Das war der Gedanke. Das war aber nur ein Projekt und hat mit meiner sonstigen Arbeit nichts zu tun. Ich würde sehr gerne mal ein englischsprachiges Album auf den Markt bringen.
Was sind Sie eigentlich? Auf keinen Fall ein Schlagersänger. Ein Liedermacher auch nicht. Ein deutscher Chansonnier?
Ich singe deutschsprachige Rockmusik, würd‘ ich sagen. Es gibt dafür nicht so ein griffiges Wort wie Liedermacher. Aber unter Liedermacher stell‘ ich mir doch ganz konkret eher Leute wie Reinhard Mey, Konstantin Wecker und Degenhard vor. Also Leute, die sehr stark und fast ausschließlich von der Folkmusik kommen und auch vom französischen Chanson. Den Folk-Einfluss hab‘ ich zwar auch, aber den französischen Chanson hab‘ ich überhaupt nicht, und da kenn‘ ich mich auch gar nicht aus. Ich bin doch sehr anglo-amerikanisch geprägt. Dass es ab und zu mal einen chansonartigen Moment gibt, das will ich überhaupt nicht leugnen, deshalb hat mir auch das Stück von Udo Jürgens so gelegen. Weil ich festgestellt habe, dass Udo als Pianist recht ähnlich denkt wie ich. Ich mache auch sehr viel am Klavier. Wir haben da eine sehr ähnliche harmonische Sprache. Wenn ich das Stück spiele, liegt mir das einfach recht gut in der Hand. Und dann denk‘ ich, das hätte auch ich komponieren können.
Ich finde, Ihre Stimme eignet sich ganz hervorragend für Udo-Jürgens-Lieder. Sie sollten noch weitere seiner Lieder in Ihr Repertoire aufnehmen. Das passt auch inhaltlich zu Ihnen.
Wir haben uns gut verstanden, wir kannten uns ja auch ganz gut. Er hat meine Arbeit immer sehr aufmerksam verfolgt. Wir waren nicht regelmäßig, aber ab und zu in Kontakt. Ich wollte auch mal für ihn schreiben, daraus ist leider nichts geworden, weil ich nicht verstanden habe, was er von mir wollte. Das hat aber unserer guten Beziehung keinen Abbruch getan.
Haben Sie noch Unveröffentlichtes in der Schublade?
Ungefähr 4000 Texte, würd‘ ich mal sagen.
Unfassbar! Und wann ist der Punkt, wo Sie sagen: Das wird was, das mach‘ ich oder das muss noch ein bisschen reifen?
Das ist ‘ne gute Frage, die mich immer selber sehr quält. Ich gucke, welcher Text davon mich in einem bestimmten Augenblick dazu bringt, mich ans Klavier oder an die Gitarre zu setzen. Und warum das dann so ist oder wann was bei mir auslöst, das kann ich Ihnen leider nicht erklären. Auf diese Weise verschwinden auch viele Sachen, die bestimmt auch toll sind, in der Schublade, bleiben im Archiv und werden mal mein Nachlass sein.
Sie schreiben ja auch für andere? Können Sie da nicht Vieles aus Ihrem Fundus anbieten?
Das werd‘ ich alles gar nicht los. Ich muss damit leben, das Vieles unveröffentlicht bleibt.
Wie entsteht eine Idee für einen Text?
Also, es läuft nicht so, dass ich mir ein Thema vornehmen kann. Das hilft nichts. Da bleibt das Papier leer. Das muss irgendein ein Wort, ein Bild, ein halber, ein ganzer Satz angeflogen kommen und der wird dann aufgeschrieben und dann geht die Post ab. Da lasse ich mich dann treiben und improvisiere weiter. Ich arbeite nicht die Themen ab, sondern die Themen entstehen beim Schreiben. Ich bin nur der Protokollant, ich führe nur die Feder.
Wenn Sie könnten wie Sie wollten, was würden Sie weltweit als Erstes anordnen?
Verbot von Fernsehübertragungen von Wintersport.
Finden Sie, das öffentlich-rechtliche Fernsehen erfüllt seinen Bildungsauftrag?
Ich komme ja viel rum in der Welt. Wir haben mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen ein hohes Kulturgut, dass man es immer noch besser machen kann, ist klar.
Warum führen Männer Krieg?
Weil sie Frauen imponieren wollen. Es dreht sich immer nur um Geld und Liebe. Und Geld und Liebe ist Macht.
Glauben Sie, dass irgandwann Frieden geben wird auf der Welt?
Nein. Die menschliche Agression ist nicht auszurotten. Wir haben nur eine Energie, das war immer meine Überzeugung, weshalb ich mich im Studium sehr intensiv mit Psychoanalyse und überhaupt mit Psychologie beschäftigt habe. Der Mensch hat nur eine Energie. Die Frage ist, wohin er sie leitet, wie er sie kanalisiert. Die Energie, die einen Kriege führen oder ein Kunstwerk schaffen lässt oder die einen Mann oder eine Frau bis zum Wahnsinn lieben oder hassen lässt, ist immer die gleiche.