Hoch Tief Rockband Stuttgart
Auf dem aktuellen Album „Detroit → Stuttgart“ hat Stephan Trinkl die Erlebnisse zweier USA-Reisen in intelligenten deutschsprachigen Texten verarbeitet. Holger Berg sprach mit Stephan Trinkl über die neuen Songs und den amerikanischen Traum.
Ist der amerikanische Traum ausgeträumt?
Die Frage hat sich mir tatsächlich gestellt, als ich dort war. Ich gebe gerne zu, dass ich einer war, der den amerikanischen Traum aus der Ferne noch lange mitgeträumt hat. Aber als ich allerdings in den USA war, hat mich vieles dort einfach nur schockiert. Wenn man in Detroit durch die Industriebrachen fährt, erinnert eines das an Filmkulissen aus ’Mad Max’. Dort gibt es mitten in der Stadt einen Bahnhof – ein völlig entkerntes, entbeintes Gebäude, das dort quasi als Mahnmal steht. So etwas ist faszinierend aber gleichzeitig auch gruselig. Die Detroiter selbst reden bereits vom ’ruin porn’, auf den die Gäste der Stadt scharf sind. Wir haben aber auch ganz andere schöne und interessante Sachen gesehen. Zum Beispiel Künstlerinitiativen, die in ehemaligen No-Go-Areas etwas an den Start bringen oder Destillen, die hipstermäßig Gin in alten leerstehenden Gebäuden herstellen. Der industrielle Niedergang hat also Raum für Ideen und Initiativen geschaffen. Das ist es, was im Song ’Detroit’ zum Ausdruck kommen soll. Um auf die Frage zurückzukommen: Ich glaube, dass der amerikanische Traum noch nicht ausgeträumt ist, aber neu beziehungsweise anders weitergeträumt werden muss.
Hast Du Angst, dass es Stuttgart einmal so gehen könnte, wie Detroit? Auch hier ist alles von der Automobilindustrie abhängig.
Die Frage konnte ich so für mich noch nicht abschließend beantworten. Tatsächlich habe ich mich, als ich in Detroit war, gefragt, ob ich dort in die Vergangenheit oder in die Zukunft blicke. Ich glaube, dass es bei uns nicht so hart kommt, aber es stehen wahrscheinlich auch in Stuttgart gewaltige Veränderungen an. Man fährt in Detroit im Prinzip durch Automobilruinenlandschaften – vorbei an den Firmensitzen einst stolzer Marken, die jetzt ihre Ruinen hinterlassen haben, aus denen Bäume herauswachsen. Das lässt keinen unberührt. Es scheint aber nicht überall in den USA so dramatisch auszusehen.
Deine Wahrnehmung von Chicago ist in zwei Songs auf dem Album eine etwas andere?
Das stimmt, auch wenn mir bewusst ist, dass das eine sehr oberflächliche Wahrnehmung ist. Auch dort gibt es Gegenden, an denen es nicht besser aussieht. Aber wenn man von Detroit nach Chicago kommt und dort erst einmal die City auf sich wirken lässt, mit der Skyline und dem Fluss, dann kann man eine Vorstellung davon bekommen, dass der amerikanische Traum doch noch irgendwo existiert. Vielleicht entspricht diese rein subjektive Wahrnehmung von mir sogar in gewisser Weise den Tatsachen dort, auch wenn es in Chicago ganz schreckliche No-Go-Areas und eine lange Historie an Slums gibt. Mich hat überrascht, dass auch aus dem Song über San Francisco ein gewaltiges Maß an Desillusioniertheit spricht. Dort hat mich besonders geschockt, dass Obdachlosigkeit und Drogenabhängigkeit völlig offen gelebt werden und geradezu zum Stadtbild dazugehören. Ich habe in San Francisco eigentlich nach dem unbeschwerten Westküsten-Gefühl gesucht, aber jeder zweite, der mir dort begegnet ist, hat mich an einen Zombie-Film erinnert – so schlimm das jetzt auch klingen mag. Der Gesundheitszustand von noch relativ jungen Obdachlosen, schien mir dort deutlich erschreckender zu sein, als bei uns. Du gehst um eine Straßenecke und dann steht da einer und zuckt am ganzen Körper. Du guckst ein bisschen weiter und es lungern fünf Personen herum, die sich in aller Öffentlichkeit einen Schuss setzen. Mir ist bewusst, dass das Phänomene sind, die es in allen größeren Städten der Welt gibt – auch in Frankfurt, Berlin oder Stuttgart gab es das in den 70er und 80er Jahren. Ich habe damit auch keinerlei Berührungsängste, weil ich meinen Zivildienst in diesem Bereich gemacht habe. Aber in San Francisco fand ich diesen Widerspruch halt besonders krass.
Und in Los Angeles hast Du dann die Krönung amerikanischer Oberflächlichkeit angetroffen?
Ja, richtig. Aber wahrscheinlich ist das einfach eine sehr europäische Sicht von mir. Wir hatten eine Airbnb-Bude in Malibu – eigentlich eine Traumgegend, mit fantastischen Villen. Mir ist aber irgendwann aufgefallen, dass es dort nichts Gewachsenes gibt, sondern dass einfach nur alle möglichen Stile nachgeahmt werden – der eine baut im spanischen Kolonialstil, der nächste eine Farm und ein anderer setzt einen griechischen Tempel in die Berge. Trotzdem leibt in meiner Erinnerung an Los Angeles ein Gefühl von einer gewissen Leichtigkeit und dass man es dort tatsächlich schaffen kann, wenn es will.
Ist es diese Leichtigkeit, die sich in der Musik der Songs trotz der teilweise desillusionierten Texte widerspiegelt?
Ich denke schon. Allerdings sagt man uns ja nach, man würde unserer Musik die Vorliebe für den Emocore der 90er Jahre im Stile von Bands wie ’Quicksand’ oder ’Texas Is The Reason’ stark anhören – was ich bei der aktuellen Platte aber überhaupt nicht so sehe.
Das erste Hoch/Tief-Album klang aber tatsächlich noch deutlich roher und ungeschliffener?
Ja, das sehe ich auch so. Ich glaube einfach, wir sind jetzt weniger moshig. Die Metal-Anteile, die noch im ersten Album zu hören waren, sind jetzt etwas in den Hintergrund getreten. Das hat sich aber ganz natürlich so ergeben und war nicht geplant. Immerhin liegen sechs Jahre zwischen den beiden Alben, da gab es viele Gelegenheiten in eine andere Stimmung hineinzukommen. Und dann haben wir als Trio mittlerweile tatsächlich einen etwas anderen Sound. Ingo Koch am Schlagzeug ist offen für andere musikalische Einflüsse und bringt mehr Leichtigkeit rein. Jochen Heimbach ist eigentlich ein Gitarrist und Schlagzeuger, der mittlerweile aber auch sehr gut am Bass ist und musikalische Vorbilder wie Paul McCartney oder John Entwistle von The Who hat. Und ich selbst bin inzwischen weg von meiner alten Mosh-Gitarre und habe mir eine Fender Telecaster gekauft, die mich geradezu automatisch dazu bringt, mehr Höhen und mehr Klarheit in die Songs reinzubringen. So hat sich das einfach ergeben.
War der neue Hoch/Tief-Sound von Anfang an so gewollt, oder hat den Produzent Derek von Krogh reingebracht, der unter anderem mit Nena arbeitet?
Derek hat es geschafft, das Album sehr direkt aufzunehmen und dabei gleichzeitig noch eigene Ideen reinzubringen. Das grundlegende Setting hatten wir natürlich schon im Kopf, als wir ins Studio gegangen sind. Das hat Derek auch weitestgehend unangetastet gelassen. Aber darüber hinaus lohnt es natürlich schon, Derek, der ein super Gehör hat, über unglaublich viel Erfahrung verfügt und ein absoluter Profi ist, einfach mal zuzuhören und den ein oder anderen Vorschlag von ihm umzusetzen. Wir haben nicht jede Idee von ihm akzeptiert, aber sehr viele.
Und dann darf das Album am Ende sogar etwas poppig klingen?
Ja, absolut. Da habe ich überhaupt keine Berührungsängste. Damit scheinen wir sogar, was die Gesamtentwicklung der Branche betriff, nicht so weit weg zu sein. Wenn man sich zum Beispiel die neue CD von Cloud Nothings anhört, die ursprünglich aus dem Emo-Post-Core-Bereich kommen, dann klingt das total nach Pop-Musik. Zufällig scheinen wir da gerade eine Entwicklung mitzumachen. Auf jeden Fall sind sämtliche Titel von Detroit-Stuttgart absolut Radiotauglich.
Woran liegt es, dass man Euch trotzdem so gut wie nie spielt?
Keine Ahnung. Die Frage, wie man mit seinen Songs ins Radio kommt, ist ohnehin ein Thema für sich. Warum haben selbst öffentlich-rechtliche Radiosender kein Interesse daran, bei solchen Themen einzusteigen, außer sie werden sowieso schon von Industrie oder Popakademie gehyped? Wieso gibt es da keine Basisforderung? Das ist grundsätzlich ein Skandal. Jan Böhmermann, auch wenn ich eigentlich kein Fan von ihm bin, hat das neulich sehr gut auf den Punkt gebracht, als er von ’in der Fabrik format-produzierter Kacke’ sprach. Ich kenne niemanden, der diese einfallslose Musik hören will, die von einer Handvoll Interpreten, in der immer gleichen Hitfabrik produziert, im x-ten Aufwasch, zum Besten gegeben wird. So viel zum Stichwort Radio. Das ist eine heiße Kiste.