Prof. Dr. Ulrich Trautwein von der Universität Tübingen spricht sich ganz klar gegen die Senkung von Standards bei der Schulausbilung aus.
Am 10. Und 11. Mai haben sich bei der Bildungskonferenz der Akademien für innovative Bildung und Management Heilbronn-Franken gGmbH (AIM) auf dem Bildungscampus über 300 Teilnehmer eingefunden. Darunter überwiegend Lehrer, Schulleiter, Professoren, Vertreter von Bildungseinrichtungen und andere Interessierte. Bei Vorträgen, Podiumsdiskussionen und in 40 Workshops informierten sie sich über die Bildung der Zukunft.
Oberbürgermeiser Harry Mergel sprach ein Grußwort. Eröffnet wurde die Konferenz von Landeskultusministerin Dr. Susanne Eisenmann, die 24 Stunden zuvor bereits die Heilbronner Bildungsmesse eröffnet hatte. »Ich bin nicht nach Heilbronn gezogen, obwohl es hier bei Ihnen sehr schön ist«, stellte sie denn am Freitagmorgen gleich mal klar. Die AIM-Bildungskonferenz bewerte sie als überaus wichtigen und richtigen Beitrag in der Auseinandersetzung mit der Frage, was Schule von morgen leisten muss und kann.
Baden-Württemberg hinke bei der Bildung (zu) weit hinterher, daraus machte sie kein Hehl. 35 bis 37 Prozent der Schulanfänger hätten »massive sprachliche Defizite«. Hinzu kämen fehlende Konzentrationsfähigkeit und Rechtschreibprobleme. »Die einen können schon lesen, die anderen können noch nicht mal einen Stift halten. Wir machen zu wenig daraus, dass Kinder neugierig sind«, ist sie sich sicher. Was muss getan werden? »Wir müssen die Kernkompetenzen stärken.« Sich dabei jedoch nur auf die leistungsschwachen Schüler zu konzentrieren, sei falsch. »Vergessen Sie meinen Sohn nicht«, gab sie die Bemerkung eines Gastes bei einer anderen Veranstaltung wieder, «der ist normal begabt.«
Die Digitalisierung macht das Problem nicht besser. Es gilt, einen Königsweg zu finden. Aber wie? »Wir müssen den Herkunfts- und Bildungserfolg immer weiter entkoppeln«, so die Ministerin. Lesen müsse wieder wichtiger werden als »wischen«. Die Fixierung auf eine akademische Ausbildung sei deutschlandweit sehr hoch, doch die Wege seien vielfältig. Und an die Lehrer gewandt: »Wir müssen Einschätzungen zur Persönlichkeitsbildung vermitteln.«
Das unterstrich auch der Psychologe Dr. Ulrich Trautwein, Professor für Empirische Bildungsforschung an der Universität Tübingen. Trautwein gehört zu den weltweit produktivsten Forschern seines Fachs und beschäftigt sich unter anderem mit der Wirksamkeit von Hausaufgaben. Man dürfe nicht dem Irrglauben aufsitzen, Begabung sei statisch angeboren und würde sich nicht mehr verändern. »Das stimmt nicht«, sagt er. Er spricht sich ebenso gegen »Abitur für alle« aus. Standards zu senken sei niemals gut und schade besonders den Leistungsschwachen. »Das belegen eine große Reihe von empirischen Studien«, so der Professor. Er spricht sich für bessere Qualität in Kindergärten und Schulen aus. »Wir arbeiten an allen Stellen schlechter, als wir arbeiten könnten.«
Nach der Leo-Studie 2018, die in 9. Klassen durchgeführt wurde, können 6,2 Millionen der Schüler nicht richtig lesen und schreiben. In Baden-Württemberg wurde danach in den Jahren 2009 bis 2015 ein »massiver Leistungsverlust« festgestellt. 25,7 Prozent der Schüler haben den Mindestbedarf nicht erreicht. »Leistungsschwache Kinder müssen schon im Kindergarten abgefangen werden«, sagt Trautwein und fügt an, das dürfe nicht als Diskriminierung verstanden werden, vielmehr gehe es darum, den Anschluss der Schüler zu gewährleisten. Denn: »Kein Abschluss ohne Anschluss.« Simone Heiland