Die Bewegung »Fridays for Future« ist in aller Munde – auch in Heilbronn lassen Schüler freitags die Schule sausen und demonstrieren stattdessen für Klimaschutz und gegen Umweltverschmutzung. MORITZ-Redakteur Andreas Wolf ist mitmarschiert und hat mit Organisatoren und Lehrern gesprochen.
Es ist ein fast perfekter Freitagmittag. Die Sonne scheint auf den Friedensplatz, nicht zu stark, nicht zu schwach, genau richtig, damit es angenehm warm, aber nicht unangenehm heiß ist. Das ist kein Tag, an dem man in der Schule sein möchte. Und tatsächlich: Je näher die Mittagsstunde rückt, desto mehr Schüler finden sich auf dem Friedensplatz ein, viele von ihnen mit Plakaten und Schildern. Auf ihnen stehen eindeutige Botschaften und Forderungen wie »Es gibt keinen Plan(et) B« oder »Winter is not coming«. Auch einige Erwachsene mischen sich dazu. Eine leichte Aufregung, eine gewisse Vorfreude breitet sich aus. Eine Person fehlt noch, bevor es losgehen kann: Gregor Landwehr, einer der Initiatoren der Aktion. Als er eintrifft, geht es auch sofort los: Er stellt sich auf eine Parkbank, hält eine kurze Rede und schon findet die Aufstellung statt: Einige Schüler halten ein Banner mit der Aufschrift »Gemeinsam für den Klimaschutz«. Daneben prangt ein grünes Logo: »Fridays for Future Heilbronn«. Die Bannerträger bilden die Spitze, alle anderen folgen. Gemeinsam marschiert die Kolonne vom Friedensplatz durch Heilbronn zum Kiliansplatz – hier findet an diesem Tag, dem 7. Juni, die Nachhaltigkeitsinsel statt. Dabei wird skandiert: »Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!« Auf dem Weg erntet der Zug irritierte Blicke, aber auch Zustimmung und Anerkennung.
Die Bewegung »Fridays for Future« sorgt für Aufmerksamkeit, in Heilbronn, in Deutschland und in ganz Europa. Alles begann mit der damals fünfzehnjährigen Schwedin Greta Thunberg, die im August 2018 den Schulbesuch verweigerte, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen und ihre Heimat dazu zu bewegen, sich an die Vereinbarungen des Pariser Klimaschutzabkommens zu halten. Der Streik der Schülerin erweckte internationale Aufmerksamkeit und inspirierte ähnlich geartete Aktionen in vielen weiteren Städten. Seither lassen engagierte Jugendliche freitags Unterricht ausfallen, um stattdessen zu demonstrieren. Zu den primären Forderungen des deutschen Ablegers der Bewegung gehört ebenfalls die Einhaltung der Ziele des Pariser Abkommens. Auch der Kohleausstieg bis 2030, die Durchsetzung erneuerbarer Energien und die Senkung der Treibhausgasemissionen gehören zu den erklärten Zielen. Kurzfristig fordert die Bewegung für Ende 2019 das Ende der Subventionen für fossile Energieträger, die Abschaltung von einem Viertel der Kohelkraftwerke und eine Steuer auf alle Treibhausgasemissionen. In Heilbronn gibt es unter Schülern ebenfalls das Bedürfnis, sich für das Klima einzusetzen. Auch in der Käthchenstadt wächst unter jungen Menschen der Wunsch, etwas zu tun und dabei auch gehört zu werden. Schüler mehrerer Heilbronner Schulen schlossen sich zusammen. Die Organisationsgruppe besteht inzwischen aus mehr als 30 Schülern, und auch die Demonstrationen selbst werden von bis zu 200 Schülern frequentiert.
Zu den Organisatoren gehört auch Gamze Döner, die von der Entwicklung der Bewegung in Heilbronn berichtet: »Immer mehr Schulen schließen sich uns an, unser Orga-Team ist stark gewachsen, so dass nicht nur Schüler der Oberstufe, sondern verschiedene Altersgruppen vertreten sind. Zusätzlich zu den Demos führen wir immer wieder andere Aktionen durch, wir haben zum Beispiel aus alten T-Shirts neue gemacht und auch schon in verschiedenen Stadtteilen Heilbronns Müll gesammelt. Wir wollen damit ein Zeichen setzen. Es geht uns nicht nur darum, zu demonstrieren und zu fordern, sondern auch selbst zu einer Verbesserung beizutragen.«
Das Engagement der Schüler wird nicht immer nur mit Wohlwollen aufgenommen, da es mit Schulausfall zusamenhängt. Oft wird den Schülern vorgeworfen, der Aktivismus wäre eine Ausrede zum Schuleschwänzen. Gerade Lehrer und Schuldirektoren sind bezüglich der Freitagsdemos oft zwiegespalten. Dr. Andreas Meyer, Schulleiter des Mönchsee-Gymnasiums in Heilbronn, erklärt: »Die weltweiten Klimaveränderungen, die vielen (nicht nur jungen) Menschen Anlass für die Bewegung »Fridays for Future« gegeben haben, werden in der wissenschaftlichen Welt nicht ernsthaft in Frage gestellt. Sie gelten als empirisch belegt, auch wenn es über das Ausmaß des anthropogenen Anteils unterschiedliche Meinungen gibt«, erklärt der Schulleiter. Und: »Dass sich Menschen darum sorgen, dass Ältere ihre Verantwortung für die nächsten Generationen wahrnehmen, und dass sich junge Menschen für ihre Zukunft engagieren, ist unumgänglich. Insofern begrüße ich es, dass dieses Thema auch durch spektakuläre Aktionen öffentliche Aufmerksamkeit erhalten hat.« Als Schulleiter sehe er aber auch die Ambivalenz der gewählten Form der Freitagsdemonstrationen während der Unterrichtszeit, fährt Meyer fort. Die Verantwortung für einen ordnungsgemäßen Schulbesuch stehe mit dem politischen Engagement der Schüler, das ja auch zu den Bildungs- und Erziehungszielen der Schule gehöre, in einem Spannungsverhältnis. »Die Schulen gehen mit diesem Dilemma maßvoll um. Im Vordergrund stehen nicht Strafen sondern der Diskurs.«
Auf die Frage, weshalb die Schüler nicht nach der Schule oder am Wochende demonstrieren, antwortet Gamze Döner: »Mir kann keiner erzählen, dass Leute, die im Betrieb arbeiten, nach Feierabend demonstrieren. Auf diese Weise wollen wir den Druck erhöhen und zeigen, dass wir es ernst meinen. Der Klimawandel wartet auch nicht bis nach Schulschluss.« Gregor Landwehr fügt hinzu: »Wir gehen ja wieder in die Schule, wenn wir tatsächlich das Gefühl haben, dass sich etwas bewegt. Die Demonstrationen finden an Brücken- und Ferientagen genauso statt.« Es stellt sich auch die Frage, ob derartige Aktionen auch anderweitig zu Unterrichtsstörungen führen können. Zumindest am Heilbronner Mönchsee-Gymnasium scheint das allerdings nicht der Fall zu sein, wie Dr. Andreas Meyer erläutert: »Bisher stellen die Aktionen der Schülerinnen und Schüler keine gravierende Störung des Unterrichts am Mönchsee-Gymnasium dar. Die Thematik des Klimawandels sowie die Frage der Legitimität und der ethischen Zulässigkeit von Regelverletzungen für gesellschaftspolitisch wichtige Ziele haben aber natürlich in verschiedenen Fächern Bezug zum Bildungsplan und werden dementsprechend im Unterricht thematisiert.«
Uneingeschränkte Unterstützung erhält »Fridays for Future« von der Solidaritätsbewegung »Parents for Future«. Stefan Hatos ist Mitglied der »Parents« und erzählt, wie es zu seinem Engagement für die Gruppe kam: »Ich bin schon lange aktiv und unterstütze schon seit Jahren verschiedene Petitionen und Organisationen. Die »Fridays« haben nun allerdings das geschafft, was viele Organisationen in den letzten Jahren nicht geschafft haben, nämlich das Ganze zum Tagesthema zu machen. Das ist eine gute Sache, die ich unterstütze.« Eine ähnliche Ansicht vertritt auch Cornelia Thormahlen von den »Parents«: »Es brauchte vielleicht eine Greta Thunberg, die die Kraft hatte, so lange zu sitzen, ohne zu verzweifeln, um die Bewegung auf die Füße zu bringen. Wir brauchen schnelle politische Leitlinien. Man schafft es nicht, eine Veränderung herbeizuführen, wenn man nur an die Vernunft der einzelnen appelliert.«
Die Aufmerksamkeit, die »Fridays for Future« generiert, ist der Schlüssel. Gregor Landwehr fasst zusammen, wie sich viele seiner Altersgenossen fühlen. »Wir hatten lange das Gefühl, dass man ohnehin nichts bewegen kann, aber jetzt ist der Moment, wo sich zeigt, dass demonstrieren etwas bewirkt. Wir fordern ja auch nur, dass die Politik sich an den Fakten orientiert und nicht nur an irgendwelchen Meinungen. Vor allem eines wollen wir mit unseren Aktionen zeigen: Wir sind viele, und wir sind laut.«
Die Freitagsdemonstration am 7. Juni endet schließlich am Kiliansplatz. Nach einer weiteren kurzen Ansprache, dieses Mal von Gamze Döner, löst sich die Gruppe langsam auf – es ist allerdings klar, dass das noch lange nicht alles gewesen ist. Solange nicht ernsthafte Maßnahmen ergriffen werden, werden die Demonstrationen in Heilbronn und in ganz Deutschland weitergehen – ein Stein, der einmal ins Rollen gebracht wurde, lässt sich nicht mehr aufhalten.