Im Hinterhof ihrer Autowerkstatt liegt das rund sieben Meter lange, 1,6 Meter breite und 500 Kilogramm schwere Boot noch auf dem Trockenen. Doch im kommenden Jahr werden Ingrid und Walter Gläßer sehr viel Zeit darin verbringen. Das Offenauer Ehepaar nimmt an der WORLD’S TOUGHEST ROW Atlantic teil, die als das härteste Ruderrennen der Welt gilt. 4800 Kilometer quer über den Atlantik in einem Ruderboot, komplett auf sich gestellt. »Die Skepsis in unserem Umfeld war bei manchen schon sehr groß«, gibt Ingrid Gläßer mit einem Schulterzucken zu. Aber: »Wir haben uns gedacht, irgendwas muss man halt noch mal machen in unserem Alter, bevor es nicht mehr geht.« Ihr Mann, Walter Gläßer, ist leidenschaftlicher Ruderer – aber einer Herausforderung wie dieser hat er sich noch nie gestellt. »Wir trainieren jeden Tag, aber auf diese Verhältnisse kann man sich nicht vollständig vorbereiten«, betont er. Denn: Auf hoher See muss permanent gerudert werden – und das rund 60 Tage lang, bei bis zu 15 Meter hohen Wellen. Proviant, eine Wasser-Entsalzungsanlage, ein Funkgerät und ein Autopilot für den Kurs – »ansonsten sind wir auf uns gestellt.« Mehr als 1,5 Millionen Ruderschläge – ein Kraftakt, bei dem beide Ruderer an ihre physischen und psychischen Belastungsgrenzen geraten werden. »Die Schmerzen werden kommen«, weiß Walter Gläßer.
Warum also sich so etwas antun? Das Ziel ist, Menschen dazu zu bewegen, aus der eigenen Komfortzone zu treten, »egal wie alt man ist.« Zudem rudern sie für einen guten Zweck und sammeln Geld für Strahlemännchen, ein Verein, der sich für schwer- und krebskranke Kinder, Jugendliche und deren Familien einsetzt. Start für die WORLD‘S TOUGHEST ROW Atlantic ist der 12. Dezember 2025. In den kommenden Wochen wollen sich Ingrid und Walter Gläßer den diesjährigen Start ansehen, »um zu sehen, was da auf uns zukommt.«
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MORITZ-Interview mit Walter und Ingrid Gläßer
Wann haben Sie sich dazu entschlossen, bei dieser Challenge mitzumachen?
WG: Vor drei Jahren ungefähr. Das war reiner Zufall eigentlich. Wir haben gesehen, dass es sowas gibt. Ich ruder zwar schon seit über 50 Jahren. Im Leben hätte ich mir nicht vorstellen können, mal über den vollständigen Atlantik zu rudern. Wir haben lange schon gesagt gehabt: Menschenskinder, irgendwas muss man doch nochmal machen in unserem Alter. Viel länger kann man nicht warten. Dann ists vorbei. Mit einem Rollator brauchst du nicht mehr in ein Ruderboot steigen. (Lacht) Meine Frau hat dann ein Video von dieser Challenge gesehen.
IG: Ich habe das Rudern erst lernen müssen. Aber es war auch alles auf meinen Mist gewachsen (lacht). Ich habe immer wieder mal Videos von der Challenge gesehen. Aber irgendwann hatte ich entdeckt, dass das vier Hamburgerinnen gemacht haben. Das haben wir dann interessiert verfolgt, habe ihren Film von ihren Erfahrungen gesehen – und da waren wir schon begeistert. Wir sind dann tief in die Materie eingestiegen, haben Youtube-Videos geguckt. Als ich dann eine Gruppe Engländerinnen gesehen hatte, die noch pummeliger waren als ich das damals war, und die das ebenfalls geschafft hatten, dann habe ich mir gedacht, dann schaffen wir das auch. Mein Mann hatte in seinem Verein herumgefragt, ob das irgendjemand mit ihm machen will, hatte aber niemanden gefunden. So kam eines zum anderen. Mein Mann ist jetzt 65 und ich 63.Wir haben uns gesagt, wenn wir das machen, dann jetzt, denn wer weiß, was noch kommt.
Wo haben Sie das Boot erworben?
WG: Das haben wir in England gekauft. Das ist ja keine Massenware, es gibt nur wenige Hrsteller, die sich darauf spezialisiert haben. Das hier ist der größte.
IG: Wir hatten erst nach einem gebrauchten Boot gesucht. Das gab’s aber nirgendwo. So ist es dann ein neues geworden.
Wie waren die Reaktionen aus dem Umfeld?
IG: Manche waren total begeistert, manche eher skeptisch. Es besteht ja immer die Option, dass unterwegs etwas passiert und man überhaupt nicht mehr wiederkommt. Gerade für unsere Kinder war das am Anfang etwas schwer. Aber mittlerweile kommen die damit klar, weil sie wissen: Sie können uns eh nicht davon abbringen. Seit sie jetzt mitkriegen, welche Vorbereitungen wir treffen, welche Kurse wir belegen und wie ernst wir das meinen, das hat viel geholfen. Es ist eine Safety-Yacht dabei. Jeden Tag kommuniziert der Veranstalter per Satellitentelefon mit einem, ob alles in Ordnung ist.
Wie funktioniert der Ablauf der Challenge?
IG: Wir gucken uns jetzt im Dezember den Start auf La Gomera mal live an. Die Boote werden, bevor es losgeht, auf jeden Fall nochmal einer Inspektion unterzogen. Elektrik muss überprüft werden, der Rumpf wird getestet, Checklisten, ob alles, was benötigt wird, auch dabei ist, Medikamente, Essen, ob der Watermaker funktioniert. Wir haben im Boot eine Entsalzungsanlage, weil man kann ja nicht ausreichend Wasser für die ganze Zeit im Boot mitnehmen, das wäre viel zu viel Gewicht. Es wird im Vorfeld so viel wie möglich sichergestellt. Und dann starten ungefähr 40 Boote in La Gomera auf den Kanaren. Ziel ist Antigua in der Karibik.
WG: Wir planen so 50 bis 60 Tage ein.
Was sind die größten Herausforderungen?
WG: Durchhalten! Überlegen Sie sich mal, normal rudern wir so 2000 Meter. Das sind 10 Minuten. Marathon, das sind 40 Kilometer, zweieinhalb Stunden. Wir haben auch schonmal „All you can row“ mitgemacht, da rudert man von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Aber anschließend bist du tot – und da sind wir grade mal einen halben Tag unterwegs. Rechnen wir das auf zwei, drei Tage hoch, man ist komplett platt. Und das geht über Wochen weiter. Überall Schmerzen.
Und Sie schlafen ja auch im Boot, richtig?
WG: Klar, da hinten haben wir eine kleine Koje. Aber einer muss immer rudern. Immer im Zweistundentakt. So ist es geplant. Wie es dann nachher wird, erzähle ich, wenn wir wieder da sind (lacht). Ich war noch nie auf hoher See. Wir waren jetzt maximal auf der Ostsee.
IG: Insgesamt reden wir von einer Strecke von knapp 5000 Kilometern – 3000 Seemeilen. Zum Vergleich: Das Maximum, was wir bislang durchgerudert sind, war 150. Wir haben jeden Tag Trockentraining auf dem Ergometer. Das Boot liegt normalerweise am Neckar fest. Dort trainieren wir im Sommer jeden Tag.
WG: Nächstes Jahr fokussieren wir uns dann auf Langstreckentraining. Ich weiß allerdings noch nicht, wie wir das beruflich machen werden. In unserer Autowerkstatt fehlen uns die Leute. Das ist richtig schwere Arbeit, allein die ganzen Reifen. Das müssen wir also auch noch stemmen. Ist aber natürlich auch wieder Muskeltraining, muss man ja auch mal so sehen (lacht). Für uns gibt es aktuell nur Arbeit und Rudern, nichts sonst.
Gibt es Sicherheitsmaßnahmen, falls es mal zu einem Notfall kommt?
WG: Ja, aber es dauert halt. Drei, vier, fünf Tage, bis mal jemand bei uns ist. Und wegen Kleinigkeiten, Seekrankheiten oder so kommen die sicher nicht. Ansonsten muss man im Extremfall gucken, wo ist die nächste Küstenwache. Die Ruder sind angebunden, wir selbst auch. Das Boot selbst ist eigentlich unsinkbar, wenn es kippt, stellt es sich von allein wieder auf. Den Kurs steuert der Autopilot. Das Boot ist so wendig, wenn man da allein nach Kompass fahren würde, wäre es schnell problematisch.
IG: Proviant haben wir für 70 Tage, alles gefriergetrocknet, dazu Snacks und viele Süßigkeiten – was halt viel Zucker enthält.
WG: Seekrankheit wird kommen, Schmerzen werden kommen, stürmische See wird kommen. Darauf kann man sich nicht vollständig vorbereiten, das wissen wir alles erst, wenn es soweit ist.
Die ganze Aktion ist für einen guten Zweck, man hat auf Ihrer Website die Möglichkeit, Kilometer zu sponsern – was hat es damit auf sich?
WG: Chefin weiß Bescheid (lacht).
IG: Wir haben uns die Strahlemännchen als guten Zweck ausgesucht. Die begleiten extrem schwerkranke Kinder bis zum Tod; nicht nur die Kinder, sondern auch die Familien. Die Organisation erfüllt Wünsche, bei denen dann die ganze Familie integriert ist.Ansonsten sammeln wir für die Jugendarbeit des Vereins Heilbronner Ruderschwaben. Es ist in den heutigen Zeiten schwer, Jugendliche zu motivieren, das Handy wegzulegen und Sport zu machen – auch mal Sport, der wehtut. Deshalb wollen wir da mit gutem Beispiel vorangehen. Dass man Erfolge vorzeigen kann.
WG: Wir reden uns nicht ein, dass wir das Rennen gewinnen werden. Wir sind Rentner, unser Ablaufdatum ist quasi da (lacht). Ich will halt nicht letzter werden, das ist mein Ehrgeiz.
IG: Die anderen müssen es auch erstmal schaffen.