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Triathlet Kienle
Sebastian Kienle ist Triatleth mit Leib und Seele und einer der Besten der Welt. 2014 gewann der 34-jährige den Ironman auf Hawaii. Im Interview mit MORITZ-Herausgeber Ingo Eckert verrät der Profisportler aus Mühlacker, der lange im Tri Team Heuchelberg trainierte, warum er sich mal bei einem Wettbewerb Laufschuhe in das Trikot gestopft hat. Außerdem erzählt er über den starken Bezug zu seiner Heimat und seine Chancen beim diesjährigen Ironman auf Hawaii.
Wo kommst Du gerade her – wo geht‘s als Nächstes hin?
Direkt komme ich gerade von meinem Physiotherapeuten, aber heute sind wir schon aus Finnland, genauer aus Helsinki, zurückgekommen, wo ich gerade mein letztes Rennen gemacht habe. Als nächstes geht es wieder zurück ins Höhentrainingslager nach Livignio in Italien, in der Nähe von St. Moritz, wo ich vor meinem Rennen in Finnland knapp dreieinhalb Wochen war. Das ist seit langer Zeit das erste Mal, dass ich wieder eine richtige Höhentrainingslagerkette absolviere, das haben wir dieses Jahr zur Vorbereitung für Krona ein bisschen verändert. Dementsprechend bin ich auch noch ein paar Mal in Livignio.
Wie lief es in Helsinki und wer war noch dabei?
In Helsinki hätte es nicht besser laufen können, ich habe gewonnen. Außerdem dabei war noch Dapena (Pablo Dapena González?), der ein sehr starker Schwimmer und Läufer ist. Er war quasi mein Hauptgegner. Ansonsten war es kein wirklich großes Rennen, lediglich Mitteldistanz, etwa die Hälfte der Ironman-Distanz. Es war eher ein Vorbereitungsrennen, 1,9 km Schwimmen, 90 km Radfahren und ein Halbmarathon.
Mit der »MORITZ-Region« verbindet Dich das »Tri Team Heuchelberg«bei Heilbronn. Wie eng sind die Kontakte noch?
Eigentlich ist der Kontakt noch sehr eng, meine besten Freunde kommen aus dem Tri Team, mit ihnen habe ich studiert und in dieser Zeit auch zusammen gewohnt. Das war allerdings in Karlsruhe. Natürlich ist es im Moment so, dass ich mehr als zweihundert Tage im Jahr unterwegs bin, sodass es leider wenige Möglichkeiten gibt, die Kontakte zu pflegen – das ist eines der wenigen Dinge, die mich am Sportlerdasein ein wenig stören, quasi der einzige Wermutstropfen. Wenn ich hier bin, trainiere ich meistens auch in der Gegend und bin mit dem Rad in der MORITZ-Region unterwegs.
Welche Rolle im aktuellen Sportlerleben spielt Dein Zuhause in Mühlacker? Wie viele Tage im Jahr bist Du dort?
Ich denke, je mehr man unterwegs ist, desto mehr lernt man das Zuhause wirklich schätzen. Es ist ein toller Teil meines Berufs, dass ich so viel von der Welt sehe. Ich freue mich aber natürlich jedes Mal, wenn ich von Frankfurt, Stuttgart oder München vom Flughafen nachhause fahre und der Heimat näher komme. In der Zeit, in der ich in Deutschland bin, bin ich eigentlich immer daheim. Das läuft dann, abzüglich diverser Termine mit Sponsoren, auf etwa hundert Tage im Jahr hinaus.
Deine Frau Christine Schleifer ist auch eine erfolgreiche Leistungssportlerin, als Duathletin quasi in den gleichen Sportarten unterwegs (Anm. der Redaktion: Deutsche Meisterin 2012). Kommt sie noch zu Wettkämpfen?
Zum Duathlon kommt sie ganz selten. Sie ist immer noch Läuferin. Insgesamt kommt sie aber schon noch zu Wettkämpfen. Oft finden im Rahmen meiner Rennen wie bei der Challenge Rot oder Heilbronn weitere Läufe statt, bei denen sie dann mitmacht. Ansonsten ist das Schöne, dass sie mit mir reisen kann und eigentlich bei allen Trainingslagern mit dabei ist. Dementsprechend trainiert sie auch selbst noch sehr viel. Im Moment ist sie wahrscheinlich fitter denn je, aber man sucht dann für sie nicht mehr die ganz großen Rennen heraus, weil sie sowieso schon auf so vielen Wettkämpfen unterwegs ist. Es fehlt oft die Lust und die Zeit, noch mal extra zu irgendwelchen Wettkämpfen zu fahren, wenn wir dann schon einmal zuhause sind. Dementsprechend muss sie leider, zumindest was das Wettkampfgeschehen angeht, immer etwas zurückstecken.
Helmut Kohl wollte bekanntlich schon als Kind Bundeskanzler werden. Wann hast Du Dich dazu entschieden, Triathlon-Profi zu werden?
Ich glaube, da eifere ich Helmut Kohl stark nach. Ich hatte schon in der vierten Klasse in der Schülerzeitung als Berufswunsch »Profi-Triathlet« eingetragen – neben Sachen wie »Privatdetektiv«, »Profifußballer« und solchen Sachen. Ich glaube, ich war dann auch der einzige, der seinen Berufswunsch letztendlich verwirklicht hat.
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Triathlet Kienle Schwimmen
Was war Dein verrücktestes Erlebnis bei einem Sportwettbewerb?
Einmal, am Anfang meiner Karriere, wurde ein Rennen kurzzeitig vom Triathlon zum Duathlon umgestaltet, weil das Schwimmen wegen der Temperaturen nicht möglich war. Ich hatte allerdings die Radschuhe am Rad eingeklickt und bin dann mit Laufschuhen auf das Rad aufgestiegen. So stand ich dann mit Laufschuhen auf den Radschuhen. Wenn man das erst nach etwa hundert Metern merkt, kann man auf der Rennstrecke auch nicht einfach noch mal umdrehen. Also musste ich absteigen und habe mir die Laufschuhe in mein Trikot gestopft. So bin ich dann die Radstrecke gefahren.
Wann hast Du 2014 zum ersten Mal daran geglaubt, den Ironman auf Hawaii, die Weltmeisterschaft im Triathlon, zu gewinnen? Wie viele Minuten vor dem Ziel hast Du es gewusst?
Ich habe mir verboten, überhaupt daran zu denken, bevor ich die Ziellinie überquere. Ich sage mir im Rennen immer, auch wenn ich nicht führe ist alles möglich, es kann noch alles passieren, deswegen höre ich auch bis zum Schluss nicht auf, daran zu glauben, dass ich das Rennen noch gewinnen kann. Und genau so ist es auch, wenn man das Rennen anführt, man darf sich bis zum Schluss nicht sicher sein, schon gewonnen zu haben. Ich denke, in dieser Situation entstehen sonst die meisten Fehler. Dementsprechend habe ich versucht, mir das zu verbieten. Nachdem es das letzte Stück bergab geht, in der Palani Road, sind es noch knapp 800 Meter bis zum Ziel, da wusste ich eigentlich, es kann kaum noch etwas passieren, es sei denn, es fällt in diesem Moment ein Meteorit vom Himmel. Da konnte ich dann die letzten 800 Meter auch genießen.
Wie lassen sich die Gefühle während einem solchen Wettbewerbs und nach einem solch grandiosen Sieg wie in Hawaii – nach knapp acht Stunden intensivem Sport – beschreiben?
Es ist eine Mischung aus ganz vielen Gefühlen. Ich denke, jeder kennt das, wenn auch in anderer Form: Je höher das Ziel ist, das man sich gesteckt hat, desto größer ist der Belohnungseffekt, wenn man dieses Ziel dann auch wirklich erreicht. Im Rennen geht man durch so viele gute, aber eben auch schlechte Momente, dementsprechend ist das Gefühl, wenn man die Ziellinie überquert, unabhängig davon, ob man gewinnt oder nicht, schon an sich eine unheimliche Erleichterung, weil man nicht mehr weiterlaufen muss, sondern sich hinsetzen oder -legen kann. Schon allein das löst ein Gefühl aus. Wenn man sich das so früh in seinem Leben vornimmt und so lange darauf hinarbeitet – es sind ja nicht nur die acht Stunden, sondern auch die zehn, fünfzehn Jahre Vorbereitung – dann ist das schon ein wahnsinniges Hochgefühl, das man da empfindet.
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Triathlet Kienle Rad fahren
Der Großteil eines Sportlerlebens besteht bekanntlich aus Training. Wie viele Stunden am Tag trainierst Du?
Im Schnitt vielleicht dreieinhalb bis vier Stunden. Es gibt auch Tage, an denen ich neun Stunden trainiere. Natürlich gibt es auch Phasen im Jahr, in denen das Training deutlich ruhiger ist. Aber im Schnitt würde ich sagen, ohne die Ruhephasen nach den Rennen, die Saisonpause, sind es etwa 25 bis 28 Stunden pro Woche, dazu kommt aber auch, dass der Job mit dem Training nicht vorbei ist. Praktisch alles, was man den Tag über macht, beeinflusst das Training und die spätere Leistung. Die ganzen regenerativen Maßnahmen, Physiotherapie, Behandlung usw., zähle ich da gar nicht dazu. Es kommt noch so viel dazu, die ganze Ernährung, das Organisieren von Reisen und Trainingslagersponsoren, das gehört eben auch alles mit dazu. Dementsprechend kommt auch dieser 24/7-Job zustande. Aber ich genieße es.
Wie kann so ein Trainingstag in der Maximalbelastung aussehen?
Wenn man sich mal einen Tag mit einer relativen hohen Belastung und Dauer wie im Trainingslager in Livignio herauspickt, da stehen wir gegen 6.30 Uhr auf, um 7.15 Uhr bin ich im Wasser für die erste Schwimmeinheit, etwa vier Kilometer. Meistens findet das an diesem Tag dann im Grundlagenbereich statt, vielleicht mit ein paar Sprints. Gegen 8.45 Uhr gibt es Frühstück und gegen 10.30 Uhr, 11 Uhr sitzen wir auf dem Rad, an diesem Tag dann etwa sechseinhalb Stunden. In Livignio ist es sehr bergig, da befährt man viele Pässe und sammelt dann schon mal viereinhalbtausend Höhenmeter in den sechseinhalb Stunden und verbrennt 3500 Kilokalorien. Entweder findet dann direkt im Anschluss noch ein Lauf statt, ein Koppellauf, wo man mit den ermüdeten Beinen vom Radfahren noch 40 Minuten laufen muss, oder der Lauf findet später gegen Abend statt, erst gegen 18 Uhr. Danach ist dann noch ein wenig Stretching angesagt und nach dem Abendessen gibt es vielleicht noch eine Massage.
Was isst und trinkst Du dann so alles an einem solchen Trainingstag?
Grundsätzlich relativ viel, weil man auch ordentlich Kalorien verbrennt. Da man mittags auf dem Rad sitzt, also quasi Essen auf Rädern, und es da nur ein paar Energieriegel gibt, ist das Frühstück sehr wichtig. Pro Tage trinke ich dann auch so um die sechseinhalb, sieben Liter, wahrscheinlich eher mehr, besonders in der Höhe, da man schon über die Atmung mehr Flüssigkeit verliert. Auf dem Rad trinkt man einen dreiviertel Liter pro Stunde, da kommt man dann locker auf acht bis neuen Liter am Tag. An einem Trainingstag mit diesem Umfang verbrennt man schon um die 5000, 6000 Kilokalorien, die müssen dann entsprechend wieder aufgefüllt werden, gerade beim Frühstück gehen dann ganz schöne Mengen weg. Ich habe aber keine spezielle Diät, ich esse weder glutenfrei, noch bin ich Veganer oder etwas ähnliches, aber man achtet schon auf seine Ernährung. Gerade, wenn man von einer Tour zurück und müde ist, fängt man schnell an, allen möglichen Mist zu essen, da der Körper nach Energie und Zucker schreit. Das ist auch in Ordnung, aber in Maßen. Ich verbiete mir nichts, ich esse Schokolade oder trinke Wein, aber eben alles mit Maß und Sinn.
Die deutschen Triathleten sind seit Jahren ganz vorne dabei, vor allem bei der Weltmeisterschaft, dem Ironman auf Hawaii: Dein Titel 2014, Jan Frodeno 2015 und 2016 und Patrick Lange 2017. Warum sind gerade die deutschen Triathleten so erfolgreich?
Das hat sicher sehr vielfältige Gründe. Ich würde sagen, dass es da gerade, wie bei vielen Sportarten, eine Aufwärtsspirale gibt, mit den Erfolgen aus der Vergangenheit steigt auch die Medienaufmerksamkeit. Es gibt mehr Rennen, mehr Sponsoren und dadurch auch mehr Möglich-keiten für die Athleten und mehr Leute, die das auf professionellem Niveau ausüben können. Das kann natürlich auch wieder in die andere Richtung gehen, man sieht es beim Skispringen, als dann Jungs wie Sven Hannawald weg waren, wurde es eine Zeit lang ziemlich schwierig. Da muss man mal abwarten, wie sich das entwickelt. Es kommt auch noch hinzu, dass Deutsche bzw. Mitteleuropäer für diesen Sport ziemlich gut geeignet sind. Da ist meistens die richtige Grundeinstellung vorhanden. Ich denke, das bekommen wir hier ein Stück weit anerzogen. Dazu kommt eine nach wie vor ziemlich gute Sportförderung in Deutschland, von der wir eigentlich alle profitieren.
Trotzdem ist Triathlon in Deutschland auch in den Medien eine Randsportart. Warum?
Wenn man das so sieht, gibt es in Deutschland eigentlich nur eine wirklich wichtige Sportart, Fußball, alles andere sind Randsportarten. Das Rennen auf Hawaii wurde bei der ARD ja komplett live übertragen, genauso wie das Rennen in Frankfurt, das ich auch co-kommentiert habe, also die wichtigsten Rennen werden schon gezeigt. Gerade das Rennen in Frankfurt hatte auch ziemlich passable Quoten. Unser Sport hat sein Fundament natürlich eher im Amateursport, daher rekrutieren sich auch meine Sponsoren. Es ist eher ein Sport zum selber machen und nicht primär zum zuschauen. Biathlon ist zum Beispiel eher ein Sport zum zuschauen, da sitzen millionen Deutsche im Winter vor dem Fernseher, Triathlon ist dagegen, vor allem bei der Langdistanz, kein besonders fernsehtaugliches Format, weil es dem Zuschauer eher schwierig zu vermitteln ist. Dafür haben wir ein extrem solides Fundament an Amateursportlern, ich denke, es gibt wahrscheinlich wenig Hobby-Biathleten oder Hobby-Kugelstoßer. Es gibt aber ein paar tausend Hobby-Triathleten, die unseren Sport auch ausmachen. Also ja, wir sind eine Randsportart, aber was das Ausüben des Sports angeht, sind wir schon ziemlich weit vorne, sicher eine der Sportarten mit der höchsten Wachstumsrate in Deutschland.
Du bist jetzt 34 Jahre alt, sicherlich noch im besten Alter in Deiner Sportart. Was könntest Du Dir nach Deiner aktiven Karriere vorstellen?
Alles. Ich probiere, mir alle Möglichkeiten im Leben noch offen zu halten. Ich will erstmal mein Studium in Ansbach im Fach »National Management« und vielleicht auch noch mein Physikstudium in Karlsruhe beenden, ich wäre dann aber wohl erst mit Mitte 40 mit meinen Studien fertig. Ich glaube, wenn man im Leben viel gesehen hat und viel gereist ist, möchte man das auch beibehalten, ich würde also gerne etwas mit einem ähnlichen Grad an Freiheit machen. Ich wäre nur ungern Angestellter in einem sehr spezifischen Korsett.
Was war Dein verrücktestes Sporterlebnis?
So etwas wirklich verrücktes habe ich eigentlich noch nicht erlebt. Einmal, am Anfang meiner Karriere, wurde mal ein Rennen kurzzeitig vom Triathlon zum Duathlon umgestaltet, weil das Schwimmen wegen der Temperaturen nicht möglich war. Ich hatte ganz normal die Radschuhe am Rad eingeklickt und bin dann mit Laufschuhen auf das Rad aufgestiegen und stand dann mit Laufschuhen auf den Radschuhen. Wenn man das dann nach etwa hundert Metern merkt, kann man auf der Rennstrecke auch nicht einfach noch mal umdrehen, also musste ich absteigen und habe mir die Laufschuhe dann in meine Trikot gestopft. So bin ich dann die Radstrecke gefahren.
Wie siehst Du Deine diesjährigen Chancen beim Ironman auf Hawaii am 13. Oktober?
Ich denke, ich bin wirklich gut in Form, die kleineren Wehwehchen habe ich alle ganz gut im Griff und mit dem letzten Rennen in Finnland bin ich auch ziemlich zufrieden, was den aktuellen Trainingsstand angeht. Ich bin nicht der Top-Favorit für Kona, in diesem Jahr gibt es nur Jan, der wirklich hervorsticht. Man muss natürlich abwarten, was das im Oktober noch wert ist, da er ja das ganze Jahr über mit sehr hoher Flamme kocht, da geht dann schon mal das Gas aus. Ich bin schon sehr zufrieden, mich selbstbewusst zu den fünf Topkandidaten zählen zu können. Dementsprechend lautet die Antwort: »Schau mer mal.«
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Kienle Siegerehrung
Die größte Erfolge von Sebastian Kiensle
2005/2006/2010 Drei Mal Deutscher Meister (Crosstriathlon) 2010 Deutscher Meister beim Triathlon (Langdistanz) 2012/2013 Zwei Mal Sieger beim Ironman (70.3 World Championships) 2014/2016/2017 Drei Mal Sieger beim Ironman European (Championships Frankfurt) 2014/2015 Zwei Mal Deutscher Meister im Triathlon (Mitteldistanz) 2014 Sieger beim Ironman (World Championships Hawaii) 2015/2016 Zwei Mal Zweiter beim Ironman (70.3 World Championships) 2016 Zweiter beim Ironman (World Championships Hawaii)