Ein Blatt vor den Mund genommen hat Christian von Stetten noch nie. Auch wenn er den Kurs der Bundesregierung in der Coronakrise unterstützt, gibt es einige Punkte, die für den Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises Schwäbisch Hall – Hohenlohe und Vorsitzenden des Parlamentskreises Mittelstand, der zusätzlich dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestags angehört, durchaus kritikwürdig sind – zum Beispiel die diskutierten Abwrackprämien für die Autoindustrie.
Wie haben Sie die vergangenen Wochen der Coronakrise wahrgenommen? War in Ihren Augen alles richtig, sinnvoll und maßvoll?
Natürlich sind die Einschränkungen und die Verbote ein drastischer Einschnitt in die Persönlichkeitsrechte eines jeden Menschen, aber in den vergangenen drei Monaten hat die Bundesregierung und die Landesregierungen mehr richtig gemacht als falsch. Die Tatsache, dass nicht genügend Schutzausrüstung zur Verfügung stand, ist sicherlich ein Punkt, der nie wieder passieren darf und aus dem wir auch unsere Lehre gezogen haben. Es war wohl notwendig, dass man das Land heruntergefahren hat, um Zeit zu gewinnen um die medizinische Versorgung und die Krankenhäuser so auszustatten, dass sie gut für eine größere Anzahl an Corona-Fällen gerüstet sind. Die anderen Staaten haben genau auf Deutschland geschaut und gesehen wie das bei uns funktioniert hat.
Trotzdem ist die Angst vor einem weiteren Lockdown, wenn die Fallzahlen wieder steigen sollten, groß. Was würde das für Auswirkungen haben?
Dadurch, dass jetzt medizinische Einrichtungen besser vorbereitet sind und wir ausreichend Beatmungsapparate angeschafft haben, sehe ich da keine große Gefahr. Wenn die zweite Welle kommt, ist unser Gesundheitssystem gut gerüstet. Deshalb brauchen wir dann auch nicht mehr so extreme Maßnahmen umsetzen. Man muss jetzt keine Hotels mehr schließen oder ein allgemeines Begegnungsverbot erteilen. Vielleicht wird es so sein, dass Clubs oder Großveranstaltungen im Stehplatzbereich nicht mehr möglich sein werden, aber die extremen Maßnahmen vom letzten Mal werden wir in der Form wahrscheinlich nicht mehr benötigen.
Was ist das Wichtigste, was unternommen werden muss, damit die nächste Welle in Deutschland nicht zu extrem verläuft?
Experten nehmen an, dass wahrscheinlich die Hälfte der Bevölkerung sich einmal mit dem Virus anstecken wird. Entscheidend ist dann, dass medizinische Technik da ist, damit niemand sterben muss. Völlig ohne Angst können wir sowieso erst leben, wenn ein Medikament zugelassen worden ist.
Aktuell ist häufig von einer Abwrack- oder Kaufprämie für die Automobilindustrie die Rede. Dagegen haben Sie sich sehr offen ausgesprochen. Aus welchem Grund?
In meinen Augen müssen wir die Branchen ganz besonders unterstützen, die von staatlichen Reglementierungen betroffen waren. Wenn wir als Beispiel die Veranstaltungsbranche nehmen: Sie haben eine Veranstaltung geplant, Sie haben die Location, Sie haben die Leute die kommen – und jetzt sagt der Staat, man darf trotzdem nicht aufmachen. Denen muss man jetzt helfen, genauso wie Hotels, Gaststätten, Schausteller oder auch Reisebüros. Bei der Automobilindustrie, sicherlich eine der wichtigsten Branchen Deutschlands, hat es aber nie ein Verkaufsverbot von Autos gegeben. Insofern sollte die Automobilindustrie auch von den steuerlichen Maßnahmen, die für alle gelten, profitieren. Direkt geholfen werden sollte jetzt nur den Betrieben, welche durch staatliche Reglementierungen an ihrer Berufsausübung gehindert wurden.
Lassen sich diese Hilfen überhaupt finanziell wieder auffangen?
Man wird solange nicht in den Normalbetrieb zurückkehren können, solange es keinen Impfstoff gibt. Man kann das alles finanziell auffangen, wenn man sich auch tatsächlich nur auf die Bereiche, in denen dringend Hilfe benötigt wird und und auf die Leute, die unverschuldet in Not geraten sind, konzentriert. Aber ich befürchte, dass in den nächsten Jahren mehr Geld ausgegeben wird, als zurückgezahlt werden kann.
Was meinen Sie damit konkret?
Das sehen Sie ja bei den Sozialleistungen. Wenn jetzt das Kurzarbeitergeld auf 80 bzw. 87 Prozent bei Personen mit Kindern erhöht wird, müssen auch diese Mittel aus den Sozialkassen genommen werden. Die Rücklagen, die da eingezahlt worden sind, die ja den Arbeitnehmern und Arbeitgebern gehören, sind im September aufgebraucht. Wenn man jetzt davon ausgeht, dass auch im September noch viele Menschen in der Kurzarbeit sind, dann kann dies bedeuten, dass der Arbeitslosenversicherungsbeitrag erhöht werden muss. Dies würde Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen belasten. Deshalb muss der Staat hier verantwortungsvoll umgehen; auf der einen Seite die Leute schützen, die kurzfristig in Kurzarbeit sind, aber eben auch nicht zu viel auszugeben, dass zum Schluss die Sozialbeiträge steigen, denn das gefährdet dann auch wieder Arbeitsplätze.
Immer wieder steht das Wort Rezession im Raum. Ist das eine realistische
Gefahr für Deutschland?
Wir müssen davon ausgehen, dass wir in diesem Jahr kein Wirtschaftswachstum haben. Die Politik muss jetzt alles dafür tun, dass es keine dauerhafte Rezession mit vielen Arbeitslosen und Unternehmenspleiten gibt. Deswegen muss mit dem zur Verfügung stehenden Geld und mit den aufgenommenen Schulden, die wir uns ja von der nächsten Generation leihen, effektiv umgegangen werden. Das wichtigste ist, dass die Bürgerinnen und Bürger Vertrauen in die Regierung und die Maßnahmen haben und dann zu ihrem ursprünglichen Konsumverhalten zurückkehren. Dann wird auch wieder der Umsatz generiert, den die Wirtschaft braucht um eine Rezession zu verhindern.
Wie sehen Sie die derzeitigen Lockerungsmaßnahmen?
Für die Lockerungen und sonstigen Maßnahmen sind ja die Bundesländer zuständig – übrigens auch für Verschärfungen. Wann welcher Laden aufmachen darf und wann welche Veranstaltung wieder stattfindet, entscheiden die Bundesländer. Ich habe in diesem Punkt keinerlei politische Gestaltungsmöglichkeiten. Ich beobachte das aber genau. Ich bin der Auffassung, dass wir Stück für Stück die verschiedenen Bereiche hochfahren müssen, aber dass man im öffentlichen Raum und auch im öffentlichen Nahverkehr weiterhin eine Maske tragen sollte.
Was halten Sie von dem kürzlich verabschiedeten Konjunkturpaket der Großen Koalition?
Bis auf einige wenige Punkte ist es ein sehr gutes Programm, welches den besonders von der Krise Betroffenen helfen kann. Kritisch sehe ich allerdings, dass alles was nun beschlossen wurde, mit zusätzlichen Schulden finanziert wird.
Die finanzielle Belastung für die nächste Generation ist enorm. Wie sollten nun die nächsten Schritte aussehen?
Wir sind gerade dabei die beschlossenen Punkte im parlamentarischen Verfahren umzusetzen. Bis Ende Juni sollte fast alles fertig sein und die Unterstützungsgelder können ausgezahlt werden.
Wie sehen jetzt ihre nächsten Wochen aus?
Ich befinde mich natürlich viel in Berlin, allerdings gibt es auch dort viele Sitzungen, die nur per Video- oder Telefonkonferenz laufen. Parallel bin ich als Wahlkreisabgeordneter hier unterwegs, um den Firmen und auch Privatpersonen zu helfen, die jetzt praktisch durch den Rost durchgefallen sind, die Unterstützungspakete nicht in Anspruch nehmen können aus welchen Gründen auch immer, wo ich aber der Meinung bin, denen muss geholfen werden.
In dem Zusammenhang haben Sie ja auch ein weiteres Anliegen ...
Wir verlangen von den Bürgern jetzt natürlich, dass sie sparen und viele Unternehmen sind derzeit auch zum Sparen gezwungen, weil sie eben wenig bis keinen Umsatz erzielen können. Deswegen wäre mein großes Anliegen, dass wir es im Juni noch schaffen, dass der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, um das Parlament zu verkleinern. Wir haben jetzt 709 Abgeordnete, eigentlich per Gesetz sollten wir nur 598 haben. Wenn wir das schaffen können, um hier einige 100 Millionen Euro sparen zu können, ist das ja auch symbolisch ein Zeichen, dass auch die Politik bereit ist, bei der Anzahl der Abgeordneten zu sparen.
Was würden Sie unseren MORITZ-Lesern zum Abschluss gerne noch mitgeben wollen?
In den Zeiten von Corona wünscht man am besten allen eine gute Gesundheit. Aber gleichzeitig wünsche ich Ihrem Redaktionsteam und allen Lesern auch viel Glück. Denn auf der Titanic waren alle gesund aber sie hatten eben wenig Glück!