Wir erinnern uns an den Lockdown am 13. März – passenderweise war es ein Freitag. An die Panikmache einerseits und die Versprechen der Politiker andererseits. Was in den ersten 100 Tagen passiert ist und wie wir es bewerten sollen, ist eine Sache. Doch wie soll es in den nächsten 300 Tagen weitergehen? Denn so lange wird es nach seriösen Einschätzungen mindestens dauern, bis ein Impfstoff verfügbar ist – wenn ihn dann überhaupt alle wollen …
»Allen wird schnell und unbürokratisch geholfen!« – »Niemand wird arbeitslos!« – »Mit diesem Hilfspaket bringen wir die Wirtschaft mit einem großen Wumms in Schwung!« So oder ähnlich lauteten die Sprüche, ich habe sie noch im Ohr. Nahmen manche Politiker den Mund vielleicht doch etwas zu voll? Die Realität sieht anders aus: Ganze Branchen, darunter Veranstalter, Künstler, Schausteller, Messebauer, Gastronomen, Clubbetreiber und Reisebüros gehen pleite, die bisherigen Hilfen sind für viele noch nicht einmal der Tropfen auf den berühmten heißen Stein. Die ersten Insolvenzen kommen auf uns zu, große Unternehmen reduzieren die Belegschaft um Tausende, Werke schließen, die Abwärtsspirale setzt sich in Gang. Ob die Senkung der Mehrwertsteuer bei den Verbrauchern auch tatsächlich ankommt? Und wann kommt der »große Wumms«? Bisher war er noch nicht zu hören. Wenigstens die Diäten unserer Politiker bleiben stabil – man hat ja in Krisenzeiten besonders viel zu tun!
Nach wie vor beherrschen seltsame Phänomene weite Bereiche des täglichen Lebens: Große Teile der Belegschaft sind trotz großzügiger Büropaläste im Homeoffice zwischen Schulkindern und dem Haushund. Der Gatte war bisher wenigstens tagsüber abkömmlich – jetzt belagert er das Wohnzimmer die ganze Zeit. Die Belegschaft der Autokonzerne befindet sich in Kurzarbeit, bekommt aber Boni, die manch anderer in zwei Monaten nicht verdient. Entscheidungsprozesse sind schwierig und Maßnahmen verzögern sich, weil jeder woanders oder abwesend ist. Schüler sind zu Hause in einer seltsamen Art »Fernunterricht«, der so entfernt von einem effizienten Unterricht ist wie unser Planet vom letzten Stern im Andromedanebel. Die Schüler fühlen sich dabei relativ wohl, denn sie kommen, egal wie es läuft, auf jeden Fall ein Schuljahr weiter! Relativitätstheorie einmal anders.
Apropos Relativität: Während in gastronomischen Betrieben bis zu zehn Personen unterschiedlicher Haushalte wieder an einem Tisch sitzen dürfen und auch in Kitas alles wieder normal und ohne Abstand läuft, dürfen sich unsere Kinder beim Fußballtraining den Ball nur aus sicherer Entfernung zuspielen – Zweikampf verboten. Erinnert mich gerade an ein EM-Länderspiel Deutschland gegen Österreich anno 82, klang zwar auch spanisch, war aber damals ohne Corona! Währenddessen dürfen im Theater derzeit maximal 99 Zuschauer das Schauspiel oder Konzert genießen, während im Biergarten oder im Park ganz ohne Abstand und Mundschutz Hunderte zusammen sitzen – lediglich zwischen den Zehnergarnituren gibt es noch einen Abstand. An den Tischen oder am Eingang tragen sich die Gäste mit den lustigsten Namen und Telefonnummern ein oder werfen sinnlose Zettel in angebrachte Boxen – wer will es dank Datenschutz auch kontrollieren. Hauptsache der Amtsschimmel hat noch eine Verordnung mehr verfasst. Man müsse nur das Konzert in einer bestehenden Gastronomie geben, so äußerte sich just eine Künstlerin am 22.6., dem Tag der »Night of Light«, in einem Special dazu beim SWR, dann könne man die Begrenzung auf 99 Personen bei Veranstaltungen problemlos umgehen. Dafür sitzen in Flugzeugen, Bussen und Bahnen die Passagiere ohne Abstandsregelung wieder zu Hunderten nebeneinander. Verrückte Corona-Welt!
In der Landkreiskarte des RKI findet man in allen Bundesländern weiße und hellgelbe Flecken, in denen es keine bis fast keine Neuinfektionen in den letzten sieben Tagen gab. In Baden-Württemberg und Bayern sieht es besonders gut aus. Dies zeigt, dass die bisherigen Lockerungen, insbesondere in der Gastronomie mit vollen Biergärten, keinen Anstieg von Neuinfektionen zur Folge hatten, die Zahlen nahmen tendenziell weiter ab. Die Lockerungen in der Gastronomie und bei Veranstaltungen können also weitergehen! So lange weitere Hot Spots aufgrund verantwortungsloser Geschäftemacher in Schlachthöfen und ähnlichen Betriebsstrukturen ausbleiben und sich die religiöse Sparte mit Gesangseinlagen bei Gottesdiensten, Abschlussfeiern mit innigen Umarmungen oder dem gemeinsamen Rauchen von Wasserpfeifen zurückhält, sieht die Corona-Zukunft im Ländle gar nicht so schlecht aus.
Wie geht es weiter?
Die großen Fragen, die uns alle beschäftigen, bleiben: Wie geht es in den nächsten 300 Tagen weiter? Die Urlaubssaison steht vor der Türe und die Menschen werden verreisen. Auch in Länder wie Spanien, Italien oder Frankreich, die extrem von Corona betroffen waren. Verhalten sich die Menschen im Urlaub mit der gleichen Vorsicht wie in der Heimat oder lassen sie »die Sau raus«? Was passiert, wenn es im Herbst wieder kühler und feuchter wird (ich meine das Wetter) und sich das Leben wieder vermehrt in geschlossenen Räumen abspielt? Wenn die Fallzahlen wieder steigen und tatsächlich eine zweite Welle kommt – erfolgt dann ein erneuter Lockdown und wird Markus Söder wieder der erste sein, der ihn verkündet? Könnte unsere Wirtschaft, unser Staat, die Bundesländer, Kommunen und sozialen Kassen überhaupt einen weiteren Lockdown überleben? Oder nimmt man steigende Zahlen in Kauf, so lange das Gesundheitssystem funktionsfähig bleibt? Fast genauso wichtig: Wer wird Kanzlerkandidat der CDU und wer der nächste Präsident in Amerika? Doch dazu später…
Der Schulbetrieb soll nach dem Sommer weitestgehend normal laufen. Kindergärten und Kitas laufen bereits jetzt wieder normal – und das scheint auch ohne Neuinfektionen zu klappen. Veranstaltungen über 1.000 Personen sollen aber bis Ende Oktober untersagt bleiben. Wie können Veranstaltungen mit renommierten Künstlern bis dahin überhaupt wirtschaftlich effizient durchgeführt werden, wenn nicht der Staat / das Land über Sondertöpfe die Künstler zahlt? Das kann es doch aber auch nicht sein… Und wie geht es ab November weiter? Können Restaurants einen Winterbetrieb wirtschaftlich überstehen? Wann können Clubs wieder öffnen? Können Veranstaltungen über 1.000 Personen seriös fürs nächste Frühjahr geplant werden? Bleiben die aktuellen Abstandsregelungen in der Gastronomie oder bei Veranstaltungen bestehen? Fragen über Fragen… Und in jedem Bundesland gibt es andere Regeln. Deutschland gleicht hier einem Flickenteppich. Die Politik hält sich noch bedeckt, klare Ansagen sind Fehlanzeige.
Jetzt braucht es Mut zu klaren Ansagen! Daher erwägt nun Griechenland zum Stützen der Staatskasse die Wiedereinführung des Orakels von Delphi. Dem Beispiel der Antike folgend findet es am siebten Tag eines jeden Monats im Sommer statt, im Winter soll eine dreimonatige Pause eingelegt werden. Ein enges Zeitfenster... Vor allem deutsche und bayrische Politiker haben die ersten Onlinetickets gebucht und stehen in der Terminliste ganz vorn. Donald Trump befinde sich in Verhandlung mit Angela Merkel, auf Sanktionen wegen der Erdgas-Pipeline und einen Truppenabzug erstmal zu verzichten, falls ihm getreu seinem Slogan »America First« der Startplatz gewährt werde.
Schöne Aussichten!