Kennen Sie noch Gollum? Den heiteren kahlköpfigen Gesellen aus dem »Herrn der Ringe« und dem »Hobbit«, der, wenn er sich nicht grade mit einem Stück zweitklassigem Schmuck, seinem »Schatz«, unterhielt, gerne mal mit seiner alternativen Persönlichkeit Smeagol zu plaudern pflegte? In einem ähnlich schizophrenen Zwiegespräch scheint derzeit die Bundesregierung in Deutschland zu stecken. Auf der einen Seite verschlossene Türen und verbotene Großveranstaltungen, Maske hier, Mindestabstand da – und auf der anderen Seite? Da stehen sich zigtausende Baden-Württemberger an heimischen Badegefilden fröhlich gegenseitig auf den Füßen. Sehr verwirrend, mein Schatz!
Es geht mal wieder, na klar, um die Corona-Regeln, was denn sonst. Wenn man den Bildern, die an Badestränden im Ländle und den schwäbischen Lieblingsbaderevieren im südlichen Ausland tagtäglich zu sehen sind, glauben schenken mag, dann haben wir die Pandemie längst hinter uns. Glückwunsch! Auch die Züge sind wieder voll gepackt, Sicherheitsabstände werden nach Lust und Laune ignoriert, dann wird auch der so wichtige Zettel mit den Kontaktdaten »vergessen« – an vielen Stellen sieht die Pandemie wieder erschreckend nach Normalität aus. Nur .. normal ist hier immer noch gar nichts. Denn Großveranstaltungen bleiben untersagt, Badestrände werden nach öffentlichem Aufschrei dichtgemacht, und in Clubs und Eventhallen tanzen höchstens die Spinnenweben, wenn die einkommenslosen Besitzer sich mal erbarmen und die leeren Räume durchlüften. Hier ist die Pandemie nach wie vor in vollem Gange, an eine Öffnung ist nicht zu denken – tausende Gäste bleiben offenbar den Badestränden vorbehalten. »Bei uns herrscht purer Frust«, vermeldet Matthias Kern, Betriebsleiter der Gartenlaube Heilbronn. »Uns fehlt seit Monaten eine klare Ansage, wie es weitergehen soll. Stattdessen heißt es Stillstand – und sonst nichts.«
Anderswo in Deutschland und im benachbarten Ausland wird unterdessen munter weitergefeiert. Pilgerfahrten zu Partyhochburgen werden möglich gemacht durch unterschiedliche Corona-Regelungen. So wird in Polen und Tschechien in Clubs und bei Techno-Raves abgetanzt, während im Ländle kein Ärschle wackeln darf. Eine einheitliche europäische oder wenigstens deutsche Regelung? Fehlanzeige, hier darf jeder sein eigenes Süppchen kochen. »In Heilbronn reißen wir uns den Arsch auf und in Düsseldorf ist Party angesagt, das kann es doch nicht sein«, protestiert auch Kern. Den Gipfel der Schizophrenie erreicht der Corona-Wahnsinn allerdings in Schwäbisch Hall. Dort planten Steffen Knödler und das Team der Kantine 26 wochenlang Außenveranstaltungen mit einem bis ins letzte Detail ausgearbeitetem Sicherheitskonzept, arbeiteten, bereiteten vor, bewarben die Eventreihe – nur um dann in letzter Sekunde, kurz vor der Opening-Veranstaltung, den behördlichen Todesstoß zu bekommen. Sagenhafte zwei Tage zuvor kommt die Auflage: Die Veranstaltung darf stattfinden ... nur getanzt werden darf unter Androhung drakonischer Strafen nicht. Da würde selbst Gollum seinen Ringfetisch vergessen und sagen: »Was zur Hölle, mein Schatz?«
Kantine 26-Inhaber Steffen Knödler jedenfalls hat bereits genug: »Diese Unverhältnismäßigkeit macht einfach nur wütend. Wochenlang haben wir da Geld und Arbeit reingesteckt und dann wird uns kurz vor knapp der Stecker gezogen. Und anderswo geht‘s zu wie früher.« Es kam, wie es kommen musste: Die Veranstaltung wurde schweren Herzens abgesagt. »Eine Party, bei der das Tanzen verboten ist – das ist wie eine geöffnete Cocktailbar, an der keine Cocktails ausgeschenkt werden«, so Knödler. »Dann kann man‘s gleich lassen.«
Die Kantine darf nun wieder in ihren, wie sie es bitter nennt, »Dornröschen-Schlaf« zurückkehren, so wie zahlreiche Clubs und Eventlocations auch. Aus dem sie in vielen Fällen nie wieder erwachen werden. Und so dürfen wir alle zusehen, wie die Veranstaltungs- und Eventbranche dahinsiecht, während die Infektionszahlen im Herbst sowieso wieder steigen werden, da Sicherheitsabstände und Maske an den meisten Stellen eher Vorschläge als Pflicht sind.