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Winfried Hermann
Die schlechte Luft in deutschen Innenstädten hält in Atem. Zu hohe Abgaswerte, zu wenig Verständnis bei den Verantwortlichen der Automobilindustrie. Proteste bei Autofahrern gegen Fahrverbote. Was ist zu tun? MORITZ-Redakteurin Simone Heiland fragte nach bei Winfried Hermann, Verkehrsminister des Landes Baden-Württemberg.
Herr Hermann, das Stuttgarter Neckartor ist bundesweit zum Synonym für schlechte Luft und Fahrverbote in Innenstädten geworden. Hier soll ein Exempel statuiert werden, was aber nicht so ganz gelingt. Um nur ein Stichwort zu nennen: Messwerte. Ganz offensichtlich wird hier – um im Bild zu bleiben - mit unterschiedlichem Maß gemessen. Es wird mehr gestritten und kritisiert, als dass sich etwas zum Besseren wendet. Wie beurteilen Sie die Gesamtsituation und was ist diesbezüglich Ihr Wunsch?
Zunächst einmal: Das Land statuiert weder ein Exempel, noch misst es mit unterschiedlichem Maß. In dieser Diskussion hilft mehr Sachlichkeit. Alle Messstellen – auch die am Neckartor – entsprechen den rechtlichen Vorgaben, sie wurden bereits zu Zeiten der CDU/FDP-Regierung aufgestellt und seither mehrfach überprüft. Die Grenzwerte sind Vorsorgemesswerte und geltendes Recht. Sie sollen auch verletzliche Gruppen schützen wie ältere und kranke Menschen, Kinder und schwangere Frauen. Seit 2005 gelten sie für Feinstaub, seit 2010 für NO2. Die Feinstaubgrenzwerte halten wir seit 2018 in Stuttgart ein. Sorgen bereiten uns aber noch die hohen Stickstoffdioxidwerte. Hier gehen die Belastungen nur langsam zurück. Es gibt neuralgische Punkte, wie das Neckartor. Aber wir sind auf einem guten Weg und zuversichtlich, mit weiteren Maßnahmen die Belastungen zu reduzieren und so Euro 5-Fahrverbote vermeiden zu können.
Wo und wie ließe sich abseits des Kraftfahrzeugverkehrs am ehesten und nachhaltigsten der CO2-Ausstoß verringern?
Natürlich im Flugverkehr. Der Flugverkehr muss mehr tun, um Klimaschäden abzuwenden, etwa durch neue Technologien und Kraftstoffe. Steigerungen der Fluggastzahlen mit herkömmlichen Flugzeugen wären für das Klima fatal. Helfen könnten deutliche Preissignale. Hier und auch im Bereich der Seeschifffahrt sehe ich Chancen für synthetische Kraftstoffe.
Was ist aktuell neben dem Diesel-/Abgasproblem Ihre größte Herausforderung in der Verkehrspolitik?
Klimaschutz und Lebensqualität mit nachhaltiger Mobilität zu verknüpfen, das ist das große Thema. Es geht um eine Mobilitätswende hin zu einem System, das vollständig ohne fossile Energie auskommt. Dafür reicht es nicht, den Antrieb auf Elektromotoren umzustellen. Die Lösung ist viel umfassender. Die Fahrgastzahlen im öffentlichen Verkehr müssen sich verdoppeln. Wir brauchen bis 2030 jedes dritte Fahrzeug mit alternativen Antrieben. In den Städten müssen wir ein Drittel des KFZ-Verkehrs reduzieren. Und insgesamt müssen wir erreichen, dass jeder zweite Weg zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt wird. Entscheidend sind digitale und energetische Infrastrukturen und eine Neuverteilung von Verkehrsflächen.
51 Prozent der Deutschen sprechen sich für ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf deutschen Autobahnen aus. Bundesumweltministerin Svenja Schulze plädiert indes für »intelligentere Steuerungsmöglichkeiten« und erntet dafür Kritik. Neben dem Umweltproblem gibt es ja auch ganz nebenbei noch die Raser, Drängler und durch Handy Abgelenkten, die eine Gefahr für die Sicherheit darstellen. Warum ist es so schwierig, der Automobilindustrie das Ruder, in diesem Falle Lenkrad, aus der Hand zu nehmen und politisch glasklare Kante zu zeigen – im Sinne der Bürger, wofür Sie persönlich ja durchaus auch stehen?
Zunächst einmal: Waghalsige Manöver des Umsteuerns planen wir nicht. Für uns hat die sichere Mobilität hohe Priorität. Deshalb verfolgt die Landesregierung das Verkehrssicherheitsleitbild »Vision Zero«, ein Straßenverkehr ohne Tote und Schwerverletzte. Es ist bekannt, dass mit einer Einführung eines generellen Tempolimits auf Autobahnen, zum Beispiel 130 Stundenkilometer, und einer Absenkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf Landstraßen, zum Beispiel 80 Stundenkilometer, eine Abnahme der Zahl der Schwerverletzten und Verkehrstoten sowie ein Rückgang der Luftschadstoffe erreicht werden kann. Für ein allgemeines Tempolimit ist allerdings der Bund und nicht das Land zuständig. Tempobeschränkungen müssen im konkreten Einzelfall begründet sein. Die vor Ort Zuständigen suchen jeweils nach Lösungen. Die Debatte über das Tempolimit ist jedoch leider ziemlich blockiert, wie sich auch am Verhalten des Bundesverkehrsministers anlässlich der neuerliche Vorschläge ablesen lässt.
SUV gehören inzwischen wie selbstverständlich zum Stadtbild. Was haben Geländewagen in Innenstädten zu suchen?
Das frage ich mich auch. Der Trend zu sogenannten Sport Utility Vehicles (SUV) steht in krassem Gegensatz zu den Klimaschutzzielen, zu denen sich Deutschland international verpflichtet hat. Zurzeit demonstrieren Schüler im Rahmen der »Fridays für future« für mehr Klimaschutz. Wie soll man der nachfolgenden Generation die Aufrüstung des Fuhrparks mit solchen Spritfressern erklären? Immerhin bringen die Hersteller allmählich auch kleinere, kompaktere und sparsamere SUV-Modelle auf den Markt, um sie auch für Normalverbraucher erschwinglich zu machen. Das wird auch dem Klimaschutz gerechter.
Die Matrix LED Scheinwerfer, die in Neufahrzeugen immer öfter verbaut werden, blenden extrem. Auch das Licht an Ampelanlagen ist grell und blendet höllisch. Wie verträgt sich das mit der Sicherheit im Straßenverkehr?
Grundsätzlich müssen Autoscheinwerfer geltendem internationalem Recht entsprechen. Dabei müssen auch Blendgefahren berücksichtigt werden. Moderne Scheinwerfer bieten deshalb automatische Abblendmechanismen. Bei LED-Ampeln muss die Lichtstärke so reguliert sein, dass das Signal bei Tag erkennbar ist und in der Nacht nicht zu hell wirkt. Bisher liegen uns keine Erkenntnisse darüber vor, dass die LEDs der Ampeln nachts zu Blendungen führen. Vielmehr punkten sie durch ihre gute Wahrnehmbarkeit, ihre Langlebigkeit und den sparsamen Stromverbrauch.
Egal, wohin man bundesweit schaut: Verkehrsstaus sind längst Alltag geworden. Tendenz steigend. Wagen Sie eine Prognose, wohin sich der Straßen- und Autobahnverkehr in zehn Jahren entwickelt haben wird?
Das kommt auf die politischen Weichenstellungen an, die jetzt getroffen werden. Die Industrie braucht verlässliche langfristige Rahmenbedingungen. Die Bevölkerung versteht das Spannungsfeld von Klimaschutz und Mobilitätsbedürfnissen. Deshalb fördern wir den umweltfreundlichen Verkehr auch massiv. Ohne verändertes Verhalten und ohne neue Geschäftsmodelle wird jedoch kein Wandel erfolgen. Beides braucht Anreize, die politisch entschieden werden müssen. Mit vielen ineinandergreifenden Maßnahmen können wir nach meiner Überzeugung neue Mobilität fördern und uns klimaverträglich fortbewegen – und das mit weniger Staus und flüssigerem Verkehr. Im Übrigen waren die Klagen über die Staus vor 10, 20 oder 30 Jahren genauso laut.
Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, feste Gewohnheiten lassen sich schwer ändern. Wir haben uns in den vergangenen Jahrzehnten mit dem unaufhörlichen Drang »Höher – Schneller - Weiter« ein Eigentor geschossen. Das Immer-Mehr ist nicht mehr zeitgemäß, sagt die Vernunft. Ohne diesen Anspruch entwickelt sich aber nichts weiter, sagt der Verstand. Wie müssen wir uns – bezogen auf Verkehr und Umwelt - aufstellen und wer kann ein neues Bewusstsein vorleben?
Da sind die Städte am Zug. Gute Bedingungen für Fußgänger und Radfahrer führen dazu, dass diese Fortbewegungsarten mehr genutzt werden. Vorrang für Busse an den Ampeln, breite Rad- und Fußverkehrsbereiche auf bisherigen Park- und Autofahrstreifen bewirken Veränderungen. In den Städten Baden-Württembergs ist das augenfällig: Pforzheim hat drei Prozent Radverkehr, Heidelberg 26 Prozent. Kinder und ältere Menschen können sich dann wieder freier bewegen, Mobilität darf nicht länger auf die Auto-Mobilität beschränkt sein.
Sie sind bekennender Fahrradfahrer. Haben Sie je ein eigenes Auto besessen?
Ja, sogar gleich nach dem Abitur.
Was war oder ist Ihr Traumauto?
Ich habe Spaß an schönen, praktischen und klimafreundlichen Elektroautos, aber auch an Fahrzeugen mit effizientem Brennstoffzellenantrieb.
Foto: Lena Lux
Winfired Hermann
WINFRIED HERMANN
Winfried Hermann (66, Bündnis /Die Grünen), Verkehrsminister des Landes Baden-Württemberg seit 2016, war von 1998 bis 2011 Mitglied des Deutschen Bundestags, dort ab 2009 Vorsitzender des Verkehrsausschusses.
Seine Ziele: Ausweitung des Schienenverkehrs in Baden-Württemberg bis zu 20 Prozent. Baden-Württemberg soll Pionierland für Elektromobilität werden. Realisierung von zehn Radschnellwegen bis 2025. Beim Straßenbau weniger Neubau, dafür mehr Sanierung und Ertüchtigung. Hermann lehnt die von der CSU vorgeschlagene PKW-Maut ab.
Am 26. Januar 2019 wurden bei einer Protestaktion von 1200 Gelbwesten in Stuttgart, gegen das kürzlich ausgesprochene Dieselfahrverbot, Rufe nach dem Rücktritt von Hermann laut.