Der Lockdown hat für viele Menschen starke Auswirkungen auf die Tagesgestaltung: Kurzarbeit, fehlende Freizeit oder Angst um den Job können psychisch belasten. Besonders trifft die Krise derzeit Menschen, die unter Suchterkrankungen leiden, wie Heilbronner Beratungsstellen berichten.
»Die Corona-Pandemie führt zu einer Verunsicherung der Menschen. Einigen neigen dazu ihre Ängste mit Alkohol oder anderen Suchtmitteln zu behandeln«, berichtet Kai Brennecke von der Diakonie Heilbronn. Gemeinsam mit seinem Team der Suchtberatung ist er für Menschen da, die einen Weg raus aus der Abhängigkeit suchen. Für viele stelle die soziale Isolation derzeit eine Belastung dar: Alltägliche Kontakte auf der Arbeit und in der Freizeit fallen weg. Suchtmittel wie Alkohol würden da als Seelentröster eingesetzt. »In der Suchtberatung des Kreisdiakonieverbandes Heilbronn nehmen wir gerade in der zweiten Lockdown-Phase eine erhöhte Nachfrage wahr«, so Brennecke.
Rouven Siegele von der Jugend- und Suchtberatung Heilbronn schildert, dass sich bei Menschen mit einem bereits zuvor kritischen Alkoholkonsum die Symptome noch verstärken würden. Betroffen seien derzeit besonders Familien mit Kindern: »Das hat sicherlich mit dem Stress der Eltern zu tun – Kinderbetreuung und Home-Schooling. Der soziale Stress in der Familie ist ein Risikofaktor, der zu einem erhöhten Alkoholkonsum führen kann. Die Betroffenen würden ihr Verhalten oft als Versagen wahrnehmen und es erst nach Jahren schaffen, sich Hilfe zu holen. »Alkoholiker können ihr Problem meist über sehr viele Jahre verstecken«, weiß Siegele.
Auch Ann-Delphine Freitag von der Suchtberatung der Caritas Heilbronn berichtet, dass im Lockdown die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer Suchterkrankung deutlich erhöht ist. Aktuell seien besondere Belastungen, die vorher durch andere Beschäftigungen oder Hobbies ausgeglichen werden konnten, eingeschränkt. »Dies führt zu Frustration, Langeweile und Überforderung. Der Alkoholkonsum dient als Flucht und Ausweg aus genau diesen Emotionen«
Auch beim Thema Videospielsucht verstärken sich im Lockdown bereits bestehende Probleme: Zunehmend wird es für Kinder und Jugendliche schwerer, die Freizeit zu gestalten, Kontakte zu Pflegen und schulische oder berufliche Ziele zu verfolgen. Die Gefahr, dass das Zocken tatsächlich in eine Sucht ausartet, sieht Kai Brennecke vor allem bei Menschen mit bestimmten Voraussetzungen. So seien oft einsame Jugendliche betroffen, die über ein nur geringes Selbstwertgefühl verfügen. Versagensängste, ein unzureichendes soziales Umfeld, fehlende Aufmerksamkeit in der Familie oder ausbleibende Erfolgserlebnisse in der realen Welt können ebenfalls Auslöser für die Entstehung einer Gaming-Sucht sein. Brennecke sieht in der Videospielsucht eine zunehmende Gefahr: »Allerdings sehe ich nicht nur die Videospiele als Problem an, sondern die komplette digitale Welt, welche uns als Objekte und Konsumenten behandelt.« Für Eltern ist es oftmals nicht leicht festzustellen, ob das gelegentliche Zocken des Kindes bereits ein Suchtverhalten darstellt. »Problematisch wird es dann, wenn andere Dinge, wie Schule oder Freundschaften wegen des Zockens vernachlässigt werden«, meint Rouven Siegele.
Eltern sollten in so einer Situation nicht auf Konfrontation gehen, sondern sich zunächst mit dem Medium auseinandersetzen, Verständnis zeigen und Perspektiven aufzeigen. »Kontraproduktiv sind Vorverurteilungen und Vorwürfe, da diese die Flucht in die Spielewelt weiter begünstigen können«, weiß Freitag.
Beratungsangebote
Wer Unterstützung bei der Bewältigung seiner Suchterkrankung sucht, findet hier professionelle Hilfe.
- Suchtberatung der Diakonie Heilbronn; Tel.: 07131 96440; www.diakonie-heilbronn.de
- Suchtberatung der Caritas Heilbronn-Hohenlohe; Tel.: 07131 59491-51; www.caritas-heilbronn-hohenlohe.de
- Jugend- und Suchtberatung Heilbronn; Tel.: 07031 2181500; www.verein-fuer-jugendhilfe.de