Seit Jahren lässt sich ein Anstieg von häuslicher Gewalt in Deutschland beobachten. Angespannte familiäre Situationen werden durch den aktuellen Lockdown noch verschärft. Aber was können Betroffene tun? Gibt es einen Ausweg aus dem Teufelskreis? MORITZ hat mit Heilbronner Einrichtungen gesprochen.
»Ich denke, dass der Lockdown für jede Familie und für jede Beziehung anstrengend ist. Aber dort, wo es bereits Probleme mit der Würdigung des Gegenübers gegeben hat, ist dies aktuell eine sehr angespannte Zeit.« So schildert es Alexandra Gutmann, Leiterin des Frauen- und Kinderschutzhauses der Diakonie Heilbronn. Auch wenn es keine validen Zahlen gibt ist sie sicher, dass häusliche Gewalt in Corona-Zeiten zugenommen hat. Denn die Dunkelziffer ist naturgemäß hoch: »Frauen und Kinder, die es ohnehin schon schwer haben, in das Hilfesystem zu kommen, haben es jetzt noch schwerer.« Die Möglichkeit über Dritte, etwa Freunde und Familie, Hilfe zubekommen, sei derzeit eingeschränkt. »Vereine oder Nachbarschaft, denen man normalerweise nahe ist, sind jetzt vielleicht gar nicht mehr erreichbar.« Betroffene Frauen unterliegen zudem aktuell einer oft deutlich stärkeren Kontrolle, wenn der Partner beispielsweise im Home-Office oder in Kurzarbeit ist. »Es gibt derzeit Frauen, die kaum das Haus verlassen oder mal schnell zum Hörer greifen können, um sich Hilfe zu holen«, weiß Gutmann.
Gewalt in den eigenen vier Wänden hat viele Facetten: Das Spektrum reich von ständigem Anschreien und psychischen Erniedrigungen bis hin zu schwerer körperlicher Misshandlung oder sexueller Gewalt. Diese Gewalterfahrungen sind teils sehr Schambehaftet: Die Opfer benötigten oft viele Jahre, bis sie den Schritt wagen und sich Hilfe holen. Oft rechtfertigen die Frauen das Verhalten des Partners, indem sie sich selbst die Schuld geben: »Hätte ich das Essen pünktlich auf den Tisch gestellt oder hätte ich die Kinder abends früher ins Bett gebracht, wäre es nicht passiert«, sind einige der geäußerten Schuldzuweisungen, wie Gutmann weiß.
Es sei ferner ein Mythos, dass jede von häuslicher Gewalt betroffene Frau die Trennung möchte. Viele hingen emotional stark an ihren Partnern und wünschen sich eine Beziehung ohne Gewalt. Regina Seidel-Schmidt, Systemische Familientherapeutin bei Pro Familia Heilbronn, sagt: »Die gewaltausübenden Männer können gleichzeitig auch liebevolle Väter oder unterstützende Partner sein. Oft haben die Frauen die Hoffnung, dass sich die Situation bessert.«
Wenn es zu Hause zu Gewalt kommt, kann die Polizei gerufen werden. Diese kann den Täter aus der Wohnung verweisen. »Der Verweis gild zunächst für drei bis fünf Tage, kann aber auch verlängert werden. In dieser Zeit darf der Täter die Wohnung nicht betreten«, erklärt Seidel-Schmidt. Der Wohnungsverweis sei eine effektive Maßnahme, um die Frau akut zu schützen. Ist weitere Gewalt vom Partner zu erwarten, kann die Unterkunft in einem anonymen Kinder- und Frauenschutzhaus erfolgen. Die freien Plätze sind jedoch sehr knapp bemessen, sodass die Frauen mitunter gezwungen sind, in ein anderes Bundesland zu gehen. Hier besteht politisch einiger Nachholbedarf.
Beratungsangebote
Kostenfreie und vertrauliche Hilfe gibt es bei den Heilbronner Beratungsstellen:
- Pro Familia, Moltkestraße 56, Tel.: 07131 89177, heilbronn@profamilia.de
- Mitternachtsmission der Diakonie, Heilbronn, Steinstr. 8, Tel.: 07131 81497, mitternachtsmission@diakonie-heilbronn.de
- Frauen helfen Frauen e.V., Tel.: 07131 507853, frauenhaus@versanet.de