Foto: Schwärzler
Wüste Welle
»Hallo Tübingen, hallo Reutlingen, hallo Käffer rundrum« kam laut und deutlich aus den Lautsprechern, als das Freie Radio Wüste Welle vor 20 Jahren auf Sendung ging. Seitdem ist viel geschehen und die ursprünglich deutlich links stehende Wüste Welle ist schon vor Jahren in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Doch drei Dinge sind geblieben: der Enthusiasmus, Sendungen abseits des Mainstreams und der Spaß am Radio.
An die ersten Worte seines Sprösslings erinnert man sich ein Leben lang. Man erzählt es seinen Freunden und Verwandten. Und manchmal hört die ganze Region die ersten Worte eines »Neugeborenen«. So wie im Sommer 1995 als das Freie Radio Wüste Welle erstmals auf Sendung ging und mit »Hallo Tübingen, hallo Reutlingen, hallo Käffer rundrum« seine neue Hörerschaft begrüßte. Es war die Idee einer Handvoll Enthusiasten, die heute, 20 Jahre später, noch immer Früchte trägt. Radio-Know-How war eher mangelhaft als ausreichend. Doch ein Wille und ein Ziel können bekanntlich Berge versetzen. Und so schafften sich die Radiogründer ihr Wissen selbst drauf und brachten es letztendlich fertig, nach einer rund zweijährigen Vorbereitungsphase samt Bürokratieproblemen endlich auf Sendung. Seither sendet die Wüste Welle auf der 96,6.
Wüste Welle, das bedeutet in der Region Tübingen und Reutlingen Radio ohne Kommerz. Dort, wo sonst unendlich wirkende Werbeschleifen laufen, gibt es bei der Welle Musik. Wo andere sonst die Charts rauf und runter senden, findet man bei den Tübingern noch echte und oft unentdeckte Musikperlen. Auf dem Programm stehen HipHop ebenso wie Rock, Techno ebenso wie Schlager oder Oldies wie Indie. Freies Radio bedeutet auch frei von Grenzen. »Jeder entscheidet selbst, was in seiner Sendung läuft«, sagt Projektmanager Chris Wohlwill. Alles sei erlaubt. Fast alles. »Intoleranz aller Art wollen wir hier nicht«, sagt der Projektmanager. »Wir wollen inklusiv sein, nicht elitär.«
Das sind nicht nur leere Worthülsen. Das zeigt sich auch in den zahlreichen Projekten der Wüsten Welle. Unter anderem ermöglichen die Radiomacher unterschiedlichen Menschen den Zugang zum Medium, die sonst ausgeschlossen wären. »Wir sind ein offenes Angebot«, sagt Wohlwill. »Wer mitmachen will, ist willkommen – solange er kein Nazi oder Sexist ist.« Bei der Wüsten Welle können neben erwachsenen Radiointeressierten auch Kinder, Jugendliche sowie Flüchtlinge ihre eigenen Programme machen.
Erfolg ist nicht eine perfekte Sendung
Wichtig ist dabei das Tun und das gemeinsame Ziel. Es muss am Ende kein perfektes Programm und keine perfekte Sendung stehen, um Erfolg zu haben. »Wir erlauben uns da, Qualität anders zu definieren«, so der Projektmanager der Welle. »Die Qualität des Entstehungsprozesses ist uns oft wichtiger als die Qualität der entstehenden Sendung«, sagt er stolz. »Das ist auch ein Alleinstellungsmerkmal der Wüsten Welle.«
Dass Enthusiasmus und wirtschaftlicher Erfolg in der künstlerischen Szene oft konträr zu einander stehen, ist ein weit verbreitetes Phänomen. Was künstlerisch wertvoll ist, setzt man schnell mit nicht kommerziell zusammen. Kommerz spielt auch bei der Wüsten Welle keine Rolle. Dass es dann nicht immer einfach ist, über die Runden zu kommen, liegt auf der Hand. »Mangelverwaltung heißt das Zauberwort«, erklärt Wohlwill lachend. Die Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LfK) sorgt zwar mit der Grundförderung für eine gewisse Grundausstattung, darüber hinaus finanziert sich die Wüste Welle aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Solipartys und Fördermitteln für ihre Projekte. Geschäftsführerin Angela Schenkluhn sei die Meisterin in der Akquise von Fördergeldern. »Es ist fraglich, ob es die Wüste Welle ohne Angela noch gäbe«, weiß Wohlwill. Trotz mancher Schwierigkeiten – den Sender dicht zu machen, war nie eine Option. »Dafür ist die Sache zu wichtig«, sagt der Projektmanager, »und Spaß macht das Ganze ja auch.« Und das seit 20 Jahren. Natürlich lässt man diesen runden Geburtstag nicht einfach so unter den Tisch fallen. Die Macher haben sich ein paar spannende Geschichten einfallen lassen. So sendet Wüste Welle beispielsweise live vom Tübinger Stadtfest am 10. und 11. Juli. Der 18. Juli steht im Zeichen von »24 Stunden Radio«, begleitet von einem Tag der offenen Tür und anschließender Party am Abend. Dann stößt man sicher gerne auch mal auf »Tübingen, Reutlingen und die Käffer rudrum« an.