Alexander Gerst
Der ESA-Astronaut Alexander Gerst startet im April 2018 als Kommandant zu seiner zweiten ISS-Mission »Horizons«. Im Interview mit MORITZ Redakteurin Helen Gerstner berichtet der gebürtige Künzelsauer von seinen Vorbereitungen, seiner Aufgabe als Kommandant und der neuen Mars-Ausstellung.
MORITZ: Herr Gerst, was braucht man im Weltall – packt man da einen Koffer wie für den Urlaub?
Gerst: Es ist natürlich schon ein bisschen anders, wenn man für den Weltraum packt. Man hat nicht so viel Platz. Die 20 kg, die einem bei den meisten Fluglinien erlaubt sind, müssen wir leider um das Zehnfache unterschreiten. Wir dürfen 1,5 kg persönliches Gepäck mitnehmen. Da sind Essen und Kleidung aber nicht mitgerechnet. Es geht da wirklich nur um persönliche Gegenstände. Zum Beispiel Erinnerungsstücke, die einen an die Heimat erinnern. Die Sachen, die man wirklich operationell benötigt, werden extra hochgeschickt. Da sind dann eben so Sachen wie Kleidung, Essen und Hygieneprodukte dabei. Da muss man sich zum Glück nicht selbst drum kümmern.
Sie haben die zweite Mission zur Internationalen Raumstation unter das Motto "Horizons" gestellt. Worum geht es in der Mission?
Bei der letzten Mission, der »Blue Dot« wollten wir eine neue Perspektive von außen auf unseren einzigartigen Heimatplaneten eröffnen. Bei der Horizons-Misson wollen wir nun zeigen, dass es Wert ist, auch mal einen Blick über den Horizont hinaus zu werfen. Da draußen gibt es viele Horizonte, die geografischer, persönlicher oder wissenschaftlicher Natur sein können. Es geht mir darum, den Blick weiter hinaus zu wenden, über die nächsten Horizonte, die da draußen sind.
Welche wissenschaftlichen Projekte werden mit der Mission verfolgt?
Das endgültige Experimentprogramm für die Mission ist im Moment noch in Arbeit. Es geht aber wieder um viele verschiedene Experimente. Während der Expedition werden es über 100 sein – viele davon aus Europa und Deutschland. Physik, Humanphysiologie und die Erforschung von Krankheiten spielen eine wichtige Rolle.
Krebs oder Immunkrankheiten kann man im Weltraum beispielsweise tatsächlich besser untersuchen. Krebszellen lassen sich in einem dreidimensionalen Substrat viel besser untersuchen als auf einer zweidimensionalen Petrischale, weil das Dreidimensionale in der Schwerelosigkeit dem menschlichen Körper sehr viel mehr ähnelt.
Auch Materialforschungen werden wir durchführen. Das heißt, wir schauen uns an, wie wir Materialien in der Zukunft herstellen können. Bestimmte Dinge können wir auf der Erde nicht erforschen, weil die Gravitation die Untersuchung stört. Wenn wir dann die Geheimnisse der Materialien in der Schwerelosigkeit entlockt haben und die richtigen Werkstoffe gefunden haben, können wir Dinge hinterher auf der Erde leichter produzieren. Die Liste ließe sich weiter fortsetzen, wir haben wieder viele Forschung im Gepäck.
Sie pendeln gerade zwischen den Astronautenzentren in Amerika, Russland und Deutschland und bereiten sich intensiv auf die kommende Mission vor. Wie sieht der Trainingsplan aus?
Der Trainingsplan ist im Moment natürlich ziemlich voll. Wir haben nicht mal mehr ein Jahr bis zur Mission, da hat man viel zu tun. Da ich als Copilot im Sojus-Raumschiff (Anm. der Red.: Sojus ist das älteste bemannte Raumschiff der Welt) fliege, muss ich das genauso gut steuern können wie der Sojus-Pilot. In den USA trainiere ich, wie man im Raumanzug arbeitet. Das habe ich zwar schon einmal gemacht, aber auch das muss man immer wieder weiter trainieren, ebenso wie man mit dem Roboterarm der Raumstation arbeitet. Dann wird natürlich auch geübt, was in Notfällen zu tun ist. Als Kommandant muss ich da ja dann etwas mehr den Überblick behalten als die anderen Crewmitglieder, ich also eine etwas andere Perspektive als bei der letzten Mission.
In Köln am Europäischen Astronautenzentrum lerne ich, wie man im europäischen Columbus-Labor (Anm. d. Red.: Wissenschaftslabor der ISS) abreitet. Ich habe Briefings darüber bekommen, was sich seit meiner letzten Mission geändert hat und ich trainiere hier auch, was zu tun ist, wenn mal etwas repariert werden muss und wie ich Experimente durchführe. Wenn man das alles zusammenzählt, sieht man, dass da schon einiges zusammenkommt.
Als erster deutscher Astronaut dürfen Sie zeitweise das Kommando übernehmen – eine anspruchsvolle Aufgabe.
Ich wurde in den letzten Jahren schon auf diese Aufgabe vorbereitet. Letztendlich geht es darum, dass man im Training schon ein Auge auf seine Crew hat und schaut, dass es ihnen gut geht, dass sie nicht zu viel und nicht zu wenig Training bekommen und dass sie alle gut vorbereitet werden auf die Mission. In diesen Teil der Aufgabe rutscht man rein, das ist learning by doing. Es wird noch dadurch ergänzt, dass man ganz konkret als Kommandant in Notfallsituationen komplett für die Raumstation verantwortlich ist, auch ohne Kontakt zur Bodenkontrolle. Es gibt viele Trainingssituationen, in denen solche Situationen durchgespielt werden und man sich daran gewöhnen kann, was für Entscheidungen da auf einen zukommen können. Auf der Raumstation werde ich die Kommunikationsstelle zwischen der Mannschaft und der Bodenkontrolle sein, was längerfristige Aufgaben auf der Raumstation angeht. Das wird alles delegiert zwischen dem Kommandanten und der Bodenkontrolle. Das habe ich bei meinem letzten Flug bei meinem damaligen Kommandanten schon ein bisschen mitbekommen. Es ist machbar, aber es ist natürlich auch eine Aufgabe, die einen fordert. Man ist ja dann für das Leben der Crew verantwortlich. Ich freue mich darauf, noch mehr in die Aufgabe reinzuwachsen.
Kann man sich auf der ISS flache Hierarchien leisten oder gelten klare Befehle? Es kann auf so engem Raum ja auch schnell zu Streitigkeiten kommen.
Das ist natürlich eine Gefahr, auf die man sich einstellen muss. Aber man darf nicht vergessen, dass wir gute Freunde sind. Wir trainieren schon seit Jahren zusammen und kennen uns ganz gut. Es ist natürlich wichtig, dass man gut miteinander umgeht und sich nicht im Ton vergreift. Das ist aber eine Problematik, die jeden betrifft, nicht nur den Kommandanten. Wir müssen alle respektvoll miteinander umgehen. Als Kommandant muss man aber natürlich auch wissen, dass es Momente gibt, in denen man ganz klar auch mal Befehle geben muss, wenn es notwendig ist und das Leben der Crew in Gefahr ist. Da muss man als Mannschaft funktionieren und deshalb ist es gut, wenn einer das Kommando hat.
Sie sind während Ihrer letzten Mission sehr aktiv gewesen auf den sozialen Netzwerken. Können sich die Fans auch 2018 wieder über besondere Botschaften aus dem All freuen?
Auf alle Fälle. Es war eine tolle Sache für mich, meine Eindrücke die ich da oben sammeln durfte, mit den Menschen auf der Erde zu teilen. Es war wie ein kleines Ventil. Habe ich etwas Tolles gesehen, konnte es mit vielen Menschen teilen. Mir hat es wirklich viel Spaß gemacht. Ich habe mich gefreut, dass ich die Menschen, die nicht das Glück hatten, die Erde von außen sehen zu können, an der Mission teilhaben lassen konnte. Darauf freue ich mich natürlich auch bei meiner nächsten Mission. Sie sagen, es waren besondere Botschaften, für mich waren es nur die Gedanken die mir in den Sinn kamen, wenn ich aus dem Fenster geschaut habe. Mich freut es natürlich, wenn das als so etwas Besonderes gesehen wird auf der Erde. Ich sehe es auch ein wenig als meine Verantwortung, meine Eindrücke zu teilen, weil ich eben in dieser besonderen Position bin und eine ganz andere Perspektive auf die Erde habe.
Nehmen Sie auch dieses Mal die Maus mit ins All?
Absolut, die Maus kommt mit!
Am 11. August eröffnen Sie in Ihrer Heimatstadt Künzelsau die Ausstellung „Das neue Bild vom Nachbarn Mars“ im Carmen Würth Forum. Was wird in der Ausstellung gezeigt?
In Künzelsau wird eine große Marsausstellung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt gezeigt. Man kann dort große 3D-Bilder sehen, die die ESA-Sonde vom Mars aufgnommen hat. Die Ausstellung soll einen besseren Einblick von unserem Nachbarplaneten, dem Mars, vermitteln. Man kann ihn zusammen mit dem Mond als achten und neunten Kontinent sehen. Beide sind so weit entfernt, was Aufwand und Reisetage angeht, wie es die Antarktis vor 100 Jahren war. Vielen ist noch nicht bewusst, wie greifbar nah unsere kosmischen Nachbarn Mond und Mars inzwischen gekommen sind und wie wichtig es ist, dass wir sie erforschen. Es liegt in unserer Verantwortung, sie besser zu verstehen. Vor 100 Jahren konnten sich vor 100 Jahren viele Leute noch nicht vorstellen, was wir heute in der Antakrtis machen. Heutzutage weiß man, wie wichtig die Daten von dort für unser Klimaverständnis sind. Etwas ähnliches wird auch mit dem Mond und Mars passieren. Das möchten wir mit der Ausstellung vermitteln.