Foto: Thomas Karsten
Konstantin Wecker
Konstantin Wecker kommt im Rahmen seiner »Revolution«-Tour Anfang Oktober in die Stadthalle Leonberg. MORITZ-Redakteur Thomas Moegen sprach mit dem Liedermacher über aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, musikalische Vorbilder und wilde Zeiten.
MORITZ: Ist links noch sexy?
Konstantin Wecker: Links ist nicht mehr so sexy wie noch in den 60ern. Diesen Bedeutungsverlust hat sich die Linke selbst zuzuschreiben, denn in den 80ern haben sich die unterschiedlichen ideologischen Richtungen innerhalb der Linken bis aufs Blut bekämpft. Sie waren sich nicht einig und jeder hatte sein eigenes Weltrettungsspezialprogramm auf Lager. Das hat dem Neoliberalismus Tür und Tor geöffnet, die Konterrevolution hat voll und ganz gesiegt. Wegen der deutschen Geschichte mit der DDR wurde auf links immer eingehackt, als sei es das Böse schlechthin. Heute wird die Dominanz der Märkte als Naturgesetz akzeptiert und die Steuerbefreiung von Unternehmen gilt als Arbeitsplatzerhaltung. In Spanien und Italien ist links vielleicht noch ein bisschen sexier.
MORITZ: Gibt es noch einen Sozialstaat und das Solidaritätsprinzip in Deutschland?
Konstantin Wecker: Vor einem Jahr hat sich die Bevölkerung mit Flüchtlingen an Bahnhöfen solidarisiert. Empathie schafft Solidarität. Diese Solidarität innerhalb der Bevölkerung und die Empathie für die Mitmenschen sind für den Finanzkapitalismus bedrohlich, deswegen wurde sie uns ausgeredet. Der Sozialstaat und die Solidarität in Deutschland sind ziemlich am Ende. Wenn man als Gutmensch beschimpft wird, spricht das Bände. Mit meinem Publikum eint mich nicht immer dieselbe Meinung, das wäre auch langweilig, aber die Sehnsucht nach einer gerechteren Gesellschaft.
MORITZ: Der Bund erhöht die Rüstungsausgaben, die NATO verlegt vier rotierende Bataillone nach Ostpolen. Stört Dich das als Pazifist?
Konstantin Wecker: Das stört mich nicht nur, ich halte das für unbegreiflich und wahnsinnig. Was hier passiert, ist unglaublich verantwortungslos und folgt ausschließlich Geschäftsinteressen. Während einer EM oder WM wird politischer Vollzug gestaltet und es werden Sachen durchgedrückt, die der Bevölkerung nicht gefallen können. Was die NATO macht, ist ein deutlicher Angriff. Ich bin kein Putin-Freund, er ist nicht der Mann meiner Träume, der ein Land lenken sollte. Aber ich bemühe mich wenigstens, seine Sicht zu verstehen. Diese Aggression reizt ihn nur, das sollten wir wissen. Für 20 Milliarden Euro werden amerikanische Atomwaffen zielgenauer gemacht, obwohl es bei einer Atombombe scheißegal ist, wie zielgenau die ist. Das ist ein Riesen-Geschäft für die Waffenfirmen. Ich beschäftige mich schon mein ganzes Leben mit Krieg. In meinem aktuellen Programm habe ich ein Lied, das heißt „Der Krieg“ und ist an das gleichnamige Gedicht von Georg Heym angelehnt. Dieses Gedicht hat mich als junger Mann erschüttert und daher habe ich es vertont und weitergeschrieben, um es ins Heute aufzunehmen, zu transportieren. Wie können die Menschen so verblödet sein, nicht zu wissen, dass wir keine Kriege mehr brauchen? Ich habe die Auswirkungen des Krieges wie Versehrte auf Rollwägelchen in Fußgängerzonen oder Kriegsblinde gesehen. Beim Spiel in den Ruinen haben sich Schulfreunde von mir die Hände an Handgranaten zerfetzt. Krieg war nicht das virtuelle Spiel von heute, sondern erlebbare Realität.
MORITZ: Was ist aus dem Marsch durch die Institutionen geworden?
Konstantin Wecker: Der ist gescheitert. Viele Linke bei den Grünen, die ja heute politisches Gewicht haben, machen Realpolitik. Von der pazifistischen Grundhaltung haben sich Die Grünen 1999 durch Joschka Fischers Bekenntnis zum Jugoslawien-Krieg verabschiedet. Das war in der Anfangszeit mit Petra Kelly und Gert Bastian ganz anders. Der Marsch durch die Institutionen musste scheitern. Wer sich zu sehr mit dem System einlässt, der wird ein Teil davon. Die Macht verdirbt alle. Der einzige, der mir einfällt, der sich nicht durch Macht vereinnahmen lässt, ist derzeit wohl der Papst. Das sehe ich auch an seinem weisen Lächeln, das an das Lächeln des späten Dieter Hildebrand erinnert. Aber im Herzen bin ich ein Anarcho und froh, dass ich mich nie Ideologien angedient habe. Ich war immer skeptisch bei Ideologien, denn der Gedankenstrang eines einzelnen Menschen kann nie zu wichtig sein. Auch die Demokratie muss lebendig gehalten werden und sich stets hinterfragen. Bei der derzeitigen Verteilung von Reichtum auf der Welt gerät sie nämlich leicht zur Farce.
MORITZ: Zerlegen sich AfD und Pegida nicht irgendwann von selbst?
Konstantin Wecker: Das bleibt zu hoffen. Sie haben ja genügend eitle Dumpfbacken dabei. AfD und Pegida tun so, als wären sie auf der Seite des kleinen Mannes, vertreten aber in Wirklichkeit streng neoliberale Ansichten. Die berechtigte Verzweiflung derer, die durch die sozialen Sicherungsnetze gefallen sind, wird von AfD und Pegida schamlos ausgenutzt. So werden nicht die wahren Verursacher der Missstände benannt, sondern Angst vor noch Ärmeren, jetzt also Flüchtlingen, geschürt. Das ist die Infamie dieser beiden Bewegungen.
MORITZ: Glaubst Du an Gott?
Konstantin Wecker: Ich bin mir sicher, dass es unendlich vieles gibt, das unser Verstand nicht begreifen kann. Ich bin Poet und hatte in meinen atheistischen Zeiten auch kein Problem mit dem Gott in Rilkes Gedichten. „Was wirst du tun, Gott, wenn ich sterbe?“, heißt es da in einem seiner schönsten Gedichte: „Nach mir hast du kein Haus, darin dich Worte, nah und warm, begrüßen“.Der nicht ausinterpretierte Gott Rilkes hat mir nie Sorgen bereitet. Der Gedanke, die Bibel als heiliges Wort wörtlich zu nehmen, ist hirnverbrannt. Die Ursprache der Bibel stammt aus dem Altsyrischen und wenn man sie zurückübersetzt, sieht ein „Vater Unser“ völlig anders aus als die katholische oder lutheranische Version. Dasselbe gilt für den Koran. Es wäre hochmütig, die Interpretation dieser Texte als einheitlich und abgeschlossen anzusehen.„Der Finger, der auf den Mond zeigt, ist nicht der Mond“ sagen die Buddhisten. Die Kraft, Schönheit und Heiligkeit der Poesie und Musik liegt darin, spirituelle, eigentlich unnennbare Dinge trotzdem noch in Worten oder Klängen zu umreißen. Musik ist klanggewordene Mathematik, sagt Schelling. Zahlen sind auch Symbole und Mathematik kann auch nicht endgültig ausgedeutet werden.
MORITZ: Viele halten Dich für einen Österreicher. Warum?
Konstantin Wecker: Das hat sich eingebürgert als die österreichischen Liedermacher Wolfgang Ambros und Georg Danzer bekannt wurden. In Deutschland hat man dann Bayern und Österreich völlig durcheinander gebracht. Es gibt sogar Österreicher, die mich für einen Österreicher halten. Vor 20 Jahren kam die deutsche Steuerfahndung zu mir, da ist man natürlich immer leicht nervös. Ich fragte dann, warum sie da seien. Ja, ich hätte meine Ausländersteuer nicht bezahlt. Auch die wussten nichts. Aber es war dann sehr entspannt.
MORITZ: Wenn Du nicht auf Tour bist, was machst Du dann? Wo verbringst Du Deinen Urlaub?
Konstantin Wecker: So oft es geht, fahre ich in die Toskana. Alle Bücher, Gedichte und die meisten Lieder der letzten 35 Jahren habe ich dort geschrieben. Dafür brauche ich Ruhe und ein gewisses Umfeld, die Toskana hilft mir da sehr und dort schreibe ich am liebsten. Meine Frau und mein Sohn sind sehr asienfreundlich. Wenn ich länger Zeit habe, fahre ich auch sehr gern nach Asien. Ich mag das freundliche Lächeln der Asiaten in buddhistischen Ländern. Das fehlt hier oft, vor allem morgens in der U-Bahn.
MORITZ: Wie feierst Du in zwei Jahren dein 50-jähriges Bühnenjubiläum?
Konstantin Wecker: In einem Jahr werde ich 70 und ab Juni 2017 haben wir eine größere Jubiläumstour mit vielen Musikern geplant.
MORITZ: Hast Du als großer deutscher Liedermacher noch musikalische Vorbilder?
Konstantin Wecker: Oh ja, durchaus. Eigentlich ziemlich untypisch für einen Liedermacher habe ich immer wieder sehr viel musikalische Stilrichtungen ausprobiert, gelernt und weiterentwickelt. Ich war immer interessiert daran, mit anderen Protagonisten wie Joan Baez, Mercedes Sosa, Pippo Pollina, Arlo Guthry und vielen anderen auf der Bühne zu stehen. Ich habe mit afghanischen, syrischen, amerikanischen Musikern zusammengespielt – das hat mich unglaublich inspiriert. Dadurch habe ich musikalisch dazugelernt und zusätzlichen Input bekommen. Beim Hören von Musik bekomme ich weniger Einflüsse. Da bin ich eher klassisch konservativ, denn ich höre eigentlich nur Mozart und italienische Oper. Ich liebe Mozart. Ich habe als Junge zusammen mit meinem Vater, der Opernsänger war, die weibliche Stimme von Opernpartien gesungen. Von diesen italienischen ‚Liebesduetten’ gibt es noch rührende Bandaufnahmen. Das war die erste musikalische Prägung. Dann kam Joe Cocker in mein Leben und auch Soul hat mich mehr noch als der Rock `n` Roll beeinflusst. Die meisten Einflüsse erhalte ich aber durch die jüngeren Musiker, mit denen ich spiele. Ich finde, dass das der schönste Weg ist.
MORITZ: Was bedeutet Dir Jo Barnikel?
Konstantin Wecker: Jo Barnikel, der seit 25 Jahren bei mir ist, ist mein pianistisches Alter Ego. Kurz vor einer geplanten Solo-Tournee hatte ich mir die Schulter gebrochen. Jo sprang ein und war quasi mein Klavier. Das war sehr spannend, denn statt mich zu begleiten, musste er Wecker spielen. Da habe ich dann wieder einmal gemerkt, was für ein einfühlsames Talent er besitzt. Deshalb ist er auch mein musikalischer Leiter und Arrangeur. Das ist eine Symbiose zwischen Jo und mir. Obwohl er auch praktisch alle musikalischen Stile beherrscht, verbindet uns in erster Linie die Klassik.
MORITZ: Apropos Filme. Halten uns Deine vielen Fernseh-Produktionen und -auftritte vom Liebemachen ab?
Konstantin Wecker: Meinst Du meine sehr, sehr frühe Sex-Film-Phase? Das ist ja nun schon gut 50 Jahre her. Übrigens schäme ich mich nicht für die Nacktheit, sondern für die Dummheit dieser Filmchen. Aber ich habe später auch ein paar tolle Rollen spielen dürfen wie in „Kir Royal“ oder 2011 den SS-Mann Schwartow in ‚Wunderkinder’. Aber leider hat das Angebot an interessanten Drehbüchern nicht gerade rasant zugenommen. Sollte mir wieder etwas unterkommen, wo ich ‚Wow’ sage, würde ich es wahrscheinlich drehen. Aber ich stehe meistens lieber auf der Bühne.
MORITZ: Früher warst Du dick, bleich und hast beim Konzert viel geschwitzt. Heute bist Du schlank, braun gebrannt und gesund. Die erkenntniserweiternden Substanzen sind weg?
Konstantin Wecker: Alles hat seine Zeit. Damals sah ich aber nicht wegen der Substanzen so aus. Das kam später. In den ersten Konzert-Jahren war ich wie ein Marathon-Läufer am Klavier unterwegs. Ich war jung, vital und sehr sportlich und habe, nicht wie heute Wasser, sondern eine Flasche Wein, auf der Bühne getrunken. Die musste ja wieder rausgeschwitzt werden. Natürlich springe ich nicht mehr so auf den Klaviertasten herum wie mit 30 oder 25, aber die Energie ist, wie ich glaube, die gleiche geblieben. Und ich bin nicht mehr so verbissen… Ich habe viele Dummheiten in meinem Leben gemacht, aber ich habe mich in meinen Gedichten nie verraten und konnte als Sänger 40 Jahre wirklich das machen, was ich machen wollte. Genau das macht mir auch heute noch jeden Abend eine unglaubliche Freude. Auch im Rentenalter trete ich sehr gerne auf. Der Spaß kommt daher, dass ich mich mit dem, was ich mache, identifizieren kann.
MORITZ: Was können die Fans bei „Revolution“ am 5. Oktober in Leonberg erwarten?
Konstantin Wecker: Ein musikalisches Feuerwerk von vielseitigen Musikern, die mit der gleichen Freude und politischen Einstellung auf der Bühne stehen wie ich, das ist mir sehr wichtig. Und ich bleibe dem Motto des Konzertes treu: Revolution! Und wenn ich von Revolution rede, meine ich auch Revolution. Natürlich bleibe ich auch da meiner pazifistischen Einstellung treu: Wir brauchen eine Revolution des Bewusstseins, der Zärtlichkeit und der Vernunft!
Konstantin Wecker - Revolution
Mo. 1. August, 20.30, Calwer Klostersommer Hirsau
Mi. 5. Oktober, 20 Uhr, Stadthalle, Leonberg, www.wecker.de
Karten gibt es im Vorverkauf unter www.eventim.de oder www.reservix.de