Maria, I like it loud!

Foto: Torsten Rothe

H.P. Baxxter und Scooter zu Gast in der Porsche-Arena

Ein Urknall, wie er seit der Entstehung des Universums in Zeithistorie nicht mehr stattgefunden hat – bis zum Samstag, den 27. Februar –, ließ die Ohren erbeben, die Mägen erschüttern, die Sitzenden von den Stühlen hochschrecken. Am Samstag war Scooter-Time in der Stuttgarter Porsche-Arena. Und das werden die Anwesenden, vorausgesetzt der Alkoholpegel lässt keine Gedächtnislücken und Filmrisse zu, wohl nicht so leicht vergessen. Egal aus welcher Sicht.

Musikalisch höchst wertvoll! Traumhaft schön! Tiefsinniges Songwriting! Eine Show ohne Effekthascherei, die sich nur auf die Musik konzentriert! Spannende Wechselbögen zwischen ruhigen und rasanten Passagen! Ein Konzert zum Dahinschmelzen! Diese und noch viel mehr ähnlicher Begriffe nutzen Musikjournalisten gerne, um ihrer Begeisterung über das Erlebte Ausdruck zu verleihen. Oft sitzt man auf den Rängen, schaut auf die Bühne, bewertet den Sound, die musikalische Performance, das Charisma des Künstlers, sucht nach Begrifflichkeiten, um dies möglichst bildhaft seinen Lesern rüberzubringen. Das gibt es diesmal nicht! Denn eigentlich gibt es für diesen Samstagabend in der Porsche-Arena nur eine Bezeichnung: SCOOTER!

Scooter - 20 Jahre Musikgeschichte

Was ist „Scooter“? Zunächst steht Scooter mal für über 20 Jahre deutsche Musikgeschichte – „20 years of Hardcore“ eben. Soweit die Statistik. Aber in erster Linie steht Scooter beim Gros der Musikliebhaber für „Och, ne, oder?!“ Doch warum? Klar, man muss die Plastik-Techno-Musik nicht mögen, man darf sie sogar hassen. Man muss sich auch nicht mit solch lyrischen Texten wie „Döp, döp, döop, dödödöp döp döp“ oder „Oi, oi, fucking oi“ identifizieren. Man darf allen, die Scooter auch nur in irgendeiner Form positiv erwähnen, das Besammenhaben des Verstandes und vor allem des guten Geschmacks absprechen. Ja, man muss Scooter nicht mögen. Aber man kann. Mehr als das. Man kann es als das abfeiern, was es ist: Eine Riesenparty. Denn genau das fand an jenem Samstagabend in Stuttgart statt.

Mit dem ersten Knall und dem darauffolgenden ersten Beat der aktuellen Scooter-Single „Oi“ durchfährt eine Energie die ausverkaufte Porsche-Arena, als hätte man jeden einzelnen Besucher an einen Starkstromkabel angeschlossen und laut „Tanz!“ gerufen. Ob erste oder letzte Reihe, auf den Sitzrängen oder – ja, sogar dort – im Foyer oder der Toilette – es zappelt einfach jeder. Die Hände fliegen in die Luft und bleiben dort die nächsten gut zwei Stunden. Natürlich wird auch mitgegrölt. Viele haben den Weg direkt aus dem Stadion in die Arena gefunden. Im Stadion gehören die melodischen Schöpfungen von H.P. Baxxter zum Standardrepertoire. Der nicht geringe Konsum alkoholischer Getränke steigert die Mitsinglust. Künstlerisch wertvoll ist es nicht. Aber man sitzt auch schon mal staunend mit offenem Mund auf der Pressetribüne und wundert sich über das, was da gerade passiert. Wobei…

Nein, eigentlich verwundert das gar nicht. Irgendwie hat man das erwartet. So abgedreht, so surreal, so großartig. Mittendrin steht auf der Bühne ein wasserstoffblondierter Über-Fünfziger und hüpft in bester Flummimanier kreuz und quer, von links nach rechts. Andere verbringen in diesem Alter den Samstagabend zu Hause auf dem Fernsehsofa (doch auch dort war H.P. Baxxter als Juror bei DSDS zu sehen) oder bei ihrem Lieblingsitaliener mit einem feinen Chianti auf dem Tisch. Nicht so Hans Peter Geerdes. Er hält durch bis zum finalen „Hyper, Hyper“ und hat danach immer noch mehr Power, als die meisten Besucher (Scooter- und Metal-Shirt-Träger, Blondierte, Mit-Neon-Stäbchen-behangene, Twens, Teenies, Mütter, Väter, Omas, Opas – alle), die dann meist sichtlich schwankend in Richtung sanitärer Anlagen und/oder Ausgang drängen. Und ob sie sich später an alle Details erinnern oder nicht: Am Ende zählt oft nur das Gefühl, etwas Großes erlebt zu haben, Und darum geht es eben auch auf Konzerten. Nicht nur um musikalische und lyrische Qualität. Das hat an diesem Samstag eh niemand erwartet.

1 von 33

Torsten Rothe