Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker
”Wir brauchen eine neue Aufklärung“ und „Wir müssen mehr Balance schaffen“ – das waren die Kernaussagen des spannenden Vortrags des Naturwissenschaftlers und Ehrenpräsidenten des Club of Rome.
Die Frage, wie sich die Zukunft der Menschheit menschenwürdig gestalten lässt in Zeiten zunehmender Globalisierung und Digitalisierung, wo Maschinen und technische Prozesse der Hände Arbeit mehr und mehr ersetzen und selbst das Denken von Computern und Robotern übernommen wird – diese Frage stellen sich viele. Antworten gab jetzt einer der profiliertesten und hochdekorierten Naturwissenschaftler seines Fachs, Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker.
Und er kam ganz bescheiden daher. »Die Weizsäckers kommen ja aus dem Hohenlohischen, dem Raum Öhringen«, sagte er zur Begrüßung. »Das waren Müller.« Daher leite sich der Name ab: »Weizensäcke!« Ernst Ulrich von Weizsäcker ist der Neffe von Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker, dessen Todestag sich am 31. Januar zum vierten Mal jährte. Mit im Publikum waren eine Cousine und ein Cousin, der wiederum das Heilbronner Repariercafè mitbegründet hat.
Ernst Ulrich von Weizsäcker ist Ehrenpräsident des vor 50 Jahren gegründeten »Club of Rome«, einem internationalen Expertengremium, das nach Lösungen für die Zukunftsfragen der Menschheit sucht. Mit dem Bericht zur Lage der Menschheit »Die Grenzen des Wachstums« prognostizierte der »Club of Rome« 1972 den ultimativen Kollaps des Weltsystems.
Von Weizsäckers Vortrag im mit gut 200 Gästen ausverkauften Foyer der Volkshochschule Heilbronn, organisiert in Kooperation mit der Lokalen Agenda 21 und Teil des Programms zu »100 Jahre Volkshochschule«, bekam viel Applaus. Es wurden aber auch Zweifel darüber geäußert, wie sich all die klugen und wichtigen Gedanken in die Tat umsetzen ließen. Ob überhaupt, solange Regierungen von Lobbyisten und Beratern beeinflusst und manipuliert würden. Von Weizsäcker ist überzeugt, dass sich etwas ändern wird, weil sich etwas ändern muss. Aber: »Würden wir heute beginnen, würde es 30 Jahre dauern.“ Und: »Wir verfügen über genügend neues Wissen für die erforderlichen Veränderungen zum Erhalt der Welt. Wir müssen es nur tun.« Er kritisiert das weltweit herrschende Wachstumsdenken scharf, weil er darin eine Verharmlosung des Problems der Überbevölkerung sieht. In den letzten 50 Jahren habe sich nicht nur die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt, so der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete. Gleichzeitig habe sich der Konsum mehr als verzehnfacht. In einer auf Wachstum fixierten Wirtschaft werde die Vermehrung der Weltbevölkerung jedoch nicht als Problem, sondern als »Segen« wahrgenommen. Die Schäden, die damit einher gingen, würden schamlos ignoriert.
Von Weizsäcker spricht sich daher für mehr Balance aus. Die könne aber nur das Ergebnis eines neuen Denkens sein. Er bedient sich dabei der Unterscheidung zwischen der »leeren Welt» und der »vollen Welt«, einer Begrifflichkeit, die der frühere Weltbank-Ökonom Herman Daly geprägt hat. »Bis vor etwa 60 Jahren hatten wir die leere Welt, also vielleicht zwei Milliarden Menschen, heute haben wir siebeneinhalb«, so von Weizsäcker. Er mahnt den Ressourcenverbrauch an, die Ozean -und Klimaverschmutzung, die aus dem Ruder gelaufenen Finanzmärkte und vieles mehr – letztlich alles Produkte der Überbevölkerung und Reaktionen darauf. Daher brauche es für die »volle Welt« zwingend eine neue Aufklärung, eine Balance zwischen Markt und Staat, zwischen kurzfristigem und langfristigem Denken, zwischen Mensch und Natur, Geschwindigkeit und Stabilität, Fortschritt und Gerechtigkeit. »Wir brauchen mehr Balance und weniger Rechthaberei.« Der rationale Dialog, den die alte Aufklärung forderte, reiche heute nicht mehr aus.
Im Zuge dessen verwies von Weizsäcker auf die Enzyklika »Laudato Si« von Papst Franziskus, der darin schreibe, eine auf Geschwindigkeit, Geiz, Selbstsucht etc. basierende Ökonomie sei eine Art von Selbstmordprogramm. Von Weizsäcker: »Wir müssen dafür sorgen, dass in der Wirtschaft nicht immer der Schnellste gewinnt. Das ist aber heute die Grundideologie. Es muss immer der Schnellste gewinnen, auch wenn er in der falschen Richtung läuft.« Das gelte auch für die Entwicklungen bei der künstlichen Intelligenz. Würde hier das Augenmaß verloren, wäre eine Katastrophe unausweichlich. Simone Heiland