Walter Plathe
@Burgfestspiele-Jagsthausen | Foto Lutz Schelhorn
MORITZ: Jagsthausen ist nun für einige Monate Ihre Heimat – hatten Sie schon Zeit, sich umzuschauen? Was gefällt Ihnen als Berliner an der Gegend?
Walter Plathe: Ich bin seit sechs, sieben Wochen hier. Aber dadurch, dass wir abends und morgens proben, habe ich noch nicht so viel von Jagsthausen gesehen. Aber ein bisschen haben wir die Gegend natürlich schon erkundet. Es ist sehr idyllisch hier. Jagsthausen hat sicherlich seine verborgenen Reize, die ich im Laufe der Zeit erkunden werde.
MORITZ: Aufgrund Ihrer verschiedenen Rollen sind Sie ja oftmals lange Zeit nicht zu Hause. Was hält Ihre Familie davon, dass Sie so viel unterwegs sind?
Walter Plathe: Ich bin momentan ledig, ich habe aber eine große Familie. Meine Kinder und meine Enkelin vermisse ich natürlich, aber sie kommen zur Vorstellung. Und wenn ich frei habe, fahre ich natürlich nach Hause.
MORITZ: Zunächst einmal Glückwunsch zur Hauptrolle. Wie hat sich das Arrangement ergeben?
Walter Plathe: Ich habe die Rolle auf Anfrage der Kammerspiele Hamburg bekommen. Ich stehe seit fast zwei Jahren mit Axel Schneider, dem Intendanten, in Kontakt. Wir haben verschiedene Projekte besprochen. Auch die Rolle des Götz von Berlichingen lag zur Disposition. Ich habe zugestimmt, da es eine sehr interessante Rolle ist. Gerade hier ist die Rolle scheinbar abgegriffen, aber ich glaube, wenn man unvoreingenommen und neu an den Stoff herangeht, ist es ein sehr spannendes Projekt. Ich habe mir mit Absicht die Inszenierung des vergangenen Jahres nicht angesehen und auch keine Videos gesichtet. Stattdessen habe ich versucht, mit einer gewissen Naivität an die Rolle heranzugehen, um eine Brücke nach heute zu schlagen.
MORITZ: Das heißt, Sie werden den Götz nicht streng nach den historischen Fakten inszenieren, sondern haben ihn neu und moderner gestaltet?
Walter Plathe: Ich versuche, die Geschichte klar zu erzählen und aus dem Götz so viel wie möglich herauszuholen. Ich möchte zeigen, dass er nicht nur ein Rebell war. Er war auch ein sehr verletzbarer Mensch mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, der ihn manchmal bis zur Ungerechtigkeit treibt. Götz soll in all seinen Facetten aufgeblättert werden. Nur einen Mythos darzustellen liegt mir fern.
MORITZ: Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet, wenn Sie sich die Stücke der vergangenen Jahre nicht angeschaut haben?
Walter Plathe: Ich habe natürlich die Urfassung von Goethe gelesen und mich gemeinsam mit Peter Dehler, dem Regisseur, mit der neuen Fassung auseinandergesetzt. Viel mehr kann man nicht tun, den Rest muss man bei den Proben finden.
MORITZ: Wie sahen die Proben aus? Wie sind Sie an die Figur herangegangen?
Walter Plathe: Wie bei jeder Theaterrolle ist man auf der Suche. Man sucht eine Figur, ihre Stärken und Schwächen. Man versucht Handlungen durch entsprechende Haltungen zu unterstützen. Es war eine spannende Suche. Eine solche Suche kann man nicht beschreiben, nur empfinden.
MORITZ: Goethes »Götz von Berlichingen« gehört zu den Standardlektüren in der Schule. Haben Sie das Stück in der Schule auch gelesen? Wie hat Ihnen das Stück damals gefallen?
Walter Plathe: Ich war immer sehr an den Klassikern interessiert, aber Goethes »Götz von Berlichingen« hat mich komischerweise überhaupt nicht interessiert, denn dieses Freiheitsgefühl und das Humanismusverständnis kann man im Alter von 14-15 Jahren nicht haben, das ist Quatsch. Ich finde es auch ziemlich unsinnig, den »Götz« so früh zu lehren. Viel wichtiger ist es, an Sprache heranzuführen. Wir haben in der Schule zum Beispiel sehr viele Balladen gelernt und ich kann heute aus dem Stand noch die zehn berühmtesten Balladen der Deutschen Klassik erzählen. Ob es jetzt der »Handschuh«, »Prometheus« oder der »Erlkönig« ist. Es ist wichtig, dass man Kinder und Jugendliche an die Sprache heranführt und sie so vermittelt, dass sie spannend ist.
MORITZ: Wenn Sie am Götz zu Schulzeiten nicht interessiert waren, was hat Sie dann heute daran gereizt, den Götz zu spielen?
Walter Plathe: Das ist eine Frage der Entwicklung. Ich war damals 15 oder 16 Jahre alt, heute bin ich 65 Jahre. Mit 15 Jahren wusste ich auch noch nicht, dass ich einmal Schauspieler werde. Und es gehört ja zu meinem Beruf, neugierig auf die verschiedensten Rollen zu sein.
MORITZ: War die Rolle des Götz eine besondere Herausforderung für Sie? Wenn ja, woraus bestand diese?
Walter Plathe: Auf jeden Fall. Goethe wird ja sehr hochgehalten. Aber er war sehr jung, als er »Götz von Berlichingen« verfasst hat, viele Dinge sind in dem Werk noch nicht richtig ausgereift. Wenn man sich mit dem Stück näher beschäftigt, merkt man einige Schwachstellen. Diese muss man ja nicht bloßlegen, sondern kann sie spielerisch klarstellen und verdeutlichen.
MORITZ: Goethe wollte mit diesem Stück Grenzen einreißen und stellte sich gegen alle bisherigen Theater-Konventionen, so wurde im Stück die Einheit von Ort, Zeit und Handlung aufgehoben. Es gibt über 50 Handlungsorte und mehrere parallel laufende Handlungen. Wie kann das auf nur einer Bühne inszeniert werden?
Walter Plathe: Es gibt drei oder vier verschiedene Ortswechsel und der Regisseur macht es dem Publikum in diesem Jahr auch einfach, indem die Orte, die von Goethe im Stück beschrieben wurden, benannt werden. Der Zuschauer wird also an die Hand genommen und ihm wird aufgezeigt, wo und wer welche Szene spielt, sodass man ganz schnell eine Orientierung hat.
MORITZ: Das heißt, auch diejenigen, die Goethes Schauspiel nicht gelesen haben, können dem Stück gut folgen?
Walter Plathe: Ja klar, das ist das Bestreben gewesen.
MORITZ: Würden Sie sagen, dass es Parallelen zwischen der heutigen und der damaligen Zeit gibt?
Walter Plathe: Durchaus. Götz sagt zum Beispiel »Georg das wäre ein Leben, wenn man seine eigene Haut für die allgemeine Glückseligkeit dransetze«. Das ist ein großer Satz – man sollte sein Eigenes ohne Wenn und Aber für die Allgemeinheit einsetzen. Diese Botschaft scheint mir wichtig.
MORITZ: Sehen Sie Ähnlichkeiten zwischen Ihrem Charakter und dem von Götz?
Walter Plathe: Auf jeden Fall. Dieses ausgeprägte Gerechtigkeitsgefühl hat auch mich ein Leben lang begleitet. Ich kann es nicht ertragen, wenn Kollegen in meiner Gegenwart Unrecht passiert. Da kann ich meinen Mund auch nicht halten. So ist es aber immer im Leben. Eine Entscheidung für eine Sache ist eine Entscheidung gegen eine andere. Das liegt eben in der Natur der Dinge. Wenn man ein solcher Typ Mensch ist, weiß man aber auch, dass man sich damit nicht nur Freunde machen wird.
MORITZ: Den größten Teil des Stückes tragen Sie eine beeindruckende eisernen Faust. Ist die Prothese schwer?
Walter Plathe: Ja, die Eisenhand ist schon schwer, aber man muss sich einfach nur daran gewöhnen. Man kann gut mit ihr umgehen. Es wäre sicherlich unangenehmer, mit einem Holzbein herumzulaufen.
MORITZ: Haben Sie diese Erfahrung schon einmal gemacht?
Walter Plathe: Ja, ich habe den Film »Märkische Chronik« gedreht, der in den Kriegsjahren 1939 bis 1945 spielte. Ich habe einen Großknecht dargestellt, dem sie ein Frankreich ein Bein weggeschossen hatten und der daher mit einem Holzbein rumlaufen musste.
MORITZ: Haben Sie schon Erfahrung mit Freilichtspielen oder ist das Stück in Jagsthausen eine Premiere für Sie?
Walter Plathe: Ich habe bereits bei den Nibelungen-Festspielen in Worms und bei »Das Vermögen des Herrn Süß« mitgespielt. Beides waren Freilichtproduktionen.
MORITZ: Es ist für einen Schauspieler doch bestimmt ein ganz besonderes Gefühl in den Originalgemäuern zu spielen.
Walter Plathe: Also ich bin ganz ehrlich: Der Geist von Götz ist noch nicht zu mir rübergeweht. Es könnte hier auch eine andere schöne Burg sein. Dass wir hier in Jagsthausen in den Originalgemäuern spielen ist schön, es beflügelt mich aber nicht unbedingt mehr.
MORITZ: Verfolgt man Ihren Lebenslauf, stellt man fest, dass Sie immer wieder zum Theater zurückgekehrt sind, auch wenn Sie große Erfolge mit ihren TV-Rollen hatten. Was hat es damit auf sich? War das Theater schon immer Ihre wahre Liebe?
Walter Plathe: Ich habe zeit meines Lebens schon immer Theater gespielt. Ich habe 60-70 Filme gedreht, dabei aber auch immer geschaut, dass ich auch auf Theaterbühnen stehe. Denn wenn ich es ganz profan ausdrücke: Die Mutter des Ganzen ist schon das Theater. Dort lernt der Schauspieler seine Mittel kennen, nur dort gibt es den direkten Kontakt zum Publikum. Was gesagt ist, ist gesagt, was getan ist, ist getan und kann nicht wiederholt werden. Die unmittelbaren Reaktionen des Publikums haben viel für sich. Ein Schauspieler muss einen Vorgang zwischen zwei Figuren herstellen. Die Mittel, derer ich mich bediene, um das transparent zu machen, sind beim Film und beim Theater jeweils andere. Im Film sind sie kleiner und feiner, da reicht es manchmal, eine Augenbraue zu heben. Das sieht auf der Bühne wiederum niemand. Auf der Bühne bedient man sich dann eben anderer Mittel – genau das ist das Reizvolle finde ich.
MORITZ: Das heißt, Sie planen auch in Zukunft sowohl Theater- als auch TV-Rollen anzunehmen? Sind schon nächste Projekte in Planung?
Walter Plathe: Ja, wir werden die ARD Serie »Familie Dr. Kleist« fortsetzen und ich habe gerade einen sehr schönen Kinofilm abgeschlossen. Nach dem Götz werde ich auch in einer Komödie zu sehen sein. Es sind für Hamburg und Berlin in Kooperation mit Axel Schneider auch noch einige Projekte geplant.
MORITZ: Wenn Sie einen Blick zurückwerfen. Wo sehen Sie in Ihrer Karriere Glanzlichter?
Walter Plathe: Glanzlicht ist immer das, womit man sich gerade beschäftigt. Es gibt Schillers schönen Spruch »Dem Schauspieler flicht die Nachwelt keine Kränze«. Was vorbei ist, ist vorbei. Man fragt immer nach dem Jetzt. Insofern ist immer das, womit man sich gerade beschäftigt, das Wichtigste.
MORITZ: Gibt es keine Phase in Ihrem Leben, an die Sie sich besonders gern zurückerinnern?
Walter Plathe: Doch, die schönste Zeit, war meine Studentenzeit. Ich habe an der Berliner Schauspielschule studiert. Wir hatten dort wirklich tolle Dozenten, bei denen ich unheimlich viel gelernt habe.