Seit einem guten halben Jahr hat die Tonne Reutlingen ihre neue Heimat in der Jahnstraße gefunden. Die Bauzäune sind mit leichter Verzögerung verschwunden, die erste Frühjahrssaison erfolgreich gespielt und das erste große Gastspiel beim Privattheaterfestival in Tübingen ist absolviert. Grund genug für unseren Redakteur Alexander Hinssen, bei Intendant Enrico Urbanek nach einem ersten Resümee zu fragen. Er berichtet von der Freude über die neue Technik, den Chancen eines kleinen Hauses und Tapetenphobien.
Anfang Juni hat die Tonne das 13. Privattheaterfestival in Tübingen eröffnet. Wie fanden Sie dieses erste große Gastspiel?
Es ist immer etwas Besonderes auch auswärts zu spielen. Aber wir kennen das Tübinger Theaterpublikum ja durchaus gut. An das Theaterfest habe ich sowieso nur positive Erinnerungen. Mit Anna Karenina sind wir sogar zu den bundesweiten Festspielen nach Hamburg eingeladen worden. Das schwierige an einem solchen Festival ist allerdings der Begriff »Privattheater«, denn da sind die Grenzen selten klar. Auch die Tonne ist streng genommen eher ein Stadt-Theater, jedenfalls wenn man dem deutschen Bühnenverein folgt. Entscheidend ist vor allem die Größe der einzelnen Theater. Die bietet natürlich verschiedene Chancen und Herausforderungen für Theaterschaffende.
Welche Unterschiede wären das?
Naja alles. Die Staatstheater haben oft an die 1.000 Mitarbeiter, da warten teilweise zehn Techniker während einer Aufführung darauf etwas zu tun zu bekommen und natürlich ist es ein Unterschied, ob ich ein Ensemble mit 30 Schauspielern habe, oder nur sechs Planstellen zur Verfügung stehen. Das sind ganz andere Dimensionen. Das beeinflusst die Stückauswahl wie die Räumlichkeiten und alles weitere. Staatstheater haben größere Räume, die auch erstmal gefüllt werden müssen. Da haben kleine Häuser es einfacher, gerade was die Spielplandisposition und die Experimentierfreudigkeit angeht. Die künstlerischen und auch marktwirtschaftlichen Gegebenheiten, denen Staatstheater ausgesetzt sind, erfordern eine recht konstant bleibende Stückplanung. Da müssen die Klassiker fast in jeder Spielzeit mitgenommen werden, ein kleines Haus ist in der Planung deutlich flexibler. Zum Beispiel sind die Techniker hier Allrounder und dort Spezialisten.
Seit Januar ist das neue Tonne-Gebäude eröffnet. Wie kommen die Allrounder in der neuen »Tonne« zurecht?
Das neue Gebäude ist schon toll. Positiv überrascht mich vor allem das große Zuschauerinteresse. Auch das Konzept der Gastspiele gerade im Kinder– und Jugendtheaterbereich funktioniert hervorragend. Da spielt uns sicher auch der Standort direkt umgeben von drei Schulen in die Karten. Und natürlich sind auch unsere Techniker ziemlich begeistert von den vielen Neuerungen, egal ob beim Sound-System oder bei der Beleuchtung. Aber vieles ist noch in der ersten Erprobungsphase. Es geht darum, die Möglichkeiten und neuen Dimensionen der Spielstätten nach und nach kennenzulernen, auszuprobieren und die technischen Neuerungen zum Einsatz zu bringen. Dazu kommt, dass das Foyer jetzt eine großzügigere Raumaufteilung besitzt. Der größere Stufenabstand von 30 Zentimetern erlaubt im großen Saal deutlich mehr Sitzkomfort und bessere Sichtverhältnisse. Auch die Akustik ist eine absolute Überraschung, die mit Live-Instrumenten und Toneinspielungen prima funktioniert. Das hat sich vor allem für das unverstärkte Sprechtheater schon als sehr gut erwiesen. Durch die bessere technische Ausstatttung, wie einen größeren Fahrstuhl, können wir natürlich auch aufwändigere Bühnenbilder verwenden. Leider kommen wir mittlerweile, was den Lagerplatz angeht, durchaus an unsere Grenzen. Da lagert alles vom Kostüm über den Tanzteppich bis hin zu Stühlen. Im neuen Tonne-Gebäude ist vieles einfach kompakter geworden, als in der Planie.
Wie bewerten Sie im Rückblick die erste Spielzeit im neuen Tonne-Gebäude?
Die Schlagzahl ist schon deutlich größer geworden, auch vom internen Personalbedarf gesehen. In diesem Haus ist rund um die Uhr Betrieb, die einen kommen die anderen gehen. Das gilt auch für Proben und Aufführungen. Aber natürlich gab es auch schon einige Highlights zu erleben. Bei »Weimar bis Merkel« waren alle Vorstellungen schon drei Wochen vorher ausverkauft. Durch die neuen Möglichkeiten der Räume konnten wir bei »Through Roses« eine gänzlich neue Theatererfahrung mit interaktiven Elementen bieten.
Was steht als nächstes an?
Nun ja, erst einmal beginnt im Juli unser großes Sommertheater Open Air im Spitalhof. Die Aufführung von »Cyrano de Bergerac« wird mit Fechteinlagen und großer Romantik unterm Sternenhimmel begeistern. In den warmen Monaten und bei gutem Wetter ist das Theaterspiel unter freiem Himmel ein echter Genuss. Aber, da ich seit der Neueröffnung oft danach gefragt werde, möchte ich es an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich anmerken: Wir tapezieren auch über den Sommer nicht! Der Werkstatt-Charakter, den der Neubau aus der Planie übernommen hat, soll unbedingt beibehalten werden.