Die Kulturkneipe Gleis 1 in Waldenburg ist inzwischen eine Institution in der Region. Im April 2024 wird sie 25 Jahre alt. Zu diesem Anlass berichtet Hans A. Graef , Gründer und 1. Vorsitzender des zugehörigen Vereins, über die Entstehung und Entwicklung des Kunstbahnhof.
Wie kam es zur Gründung des Gleis 1? Gab es Startschwierigkeiten?
Alles begann 1997, ich saß im Auto und der damalige Bahnchef hat im Radio von den Metropolbahnhöfen geschwärmt und wie viel Geld da reingesteckt wurde. Damals habe ich in Bretzfeld gewohnt und dachte mir dabei: Was ist eigentlich mit unseren Provinzbahnhöfen? Da kam die Erkenntnis wie ein Blitz über mich: Ich muss irgendetwas mit den Bahnhöfen machen. 1998 habe ich dann über die Medien und die Presse ausgeschrieben, dass ich eine Kunstausstellung in zwölf Bahnhöfen zwischen Heilbronn und Hessental veranstalte. Mit diesem Vorhaben bin ich auch zum damaligen Bahnchef gegangen, der dann später Mitglied im Gleis 1 wurde, und er hat gesagt: »Das machen wir.« In diesen zwölf Bahnhöfen haben wir dann ein schönes Projekt mit ca. 30 Künstlern verwirklicht. 1998 habe ich mich in Waldenburg mit ein paar Künstlern getroffen und wir hatten die Idee, im Waldenburger Bahnhof eine Künstlerkneipe zu eröffnen. Im Frühjahr 1999 haben wir den zugehörigen Verein gegründet. Bei der Eröffnung waren über 100 Leute da; so haben wir gemerkt, dass das schon Menschen anzieht. Das hat sich dann weiter aufgebaut. Wir haben uns auch Unterstützung von Reinhold Würth und der Bürgerinitiative pro Region geholt und im Jahr 2000 ein weiteres Großprojekt gestartet, die Aktion »KunstBahnRegion 2000« an 30 Bahnhöfen in der Region mit über 80 Künstlern. Damit haben wir die Bahnhöfe in die Öffentlichkeit gerückt, was ja auch das Anliegen war. Zur Eröffnung fuhr ein Sonderzug vom Heilbronner Hauptbahnhof über Schwäbisch Hall, Crailsheim, Lauda und Bad Mergentheim. Sogar das Fernsehen war da. Das kam alles sehr gut an, auch dank der Unterstützung durch die Medien. Ich habe mich immer als politischen Künstler gesehen und hier hatte ich die Gelegenheit, Kunst und Kultur mit gesellschaftlichen Fragen wie der Bahnhofsfrage zu verbinden.
Wie hat sich das Gleis 1 über die Jahre entwickelt? Hat sich am Konzept etwas geändert?
Am Anfang waren wir nur 20 Vereinsmitglieder, inzwischen sind wir bei 140 und haben sogar ein eigenes Museum im früheren Warteraum. Dort präsentiere ich meine eigene Ausstellung »Die Ordnung der Dinge«, zusätzlich zu unseren anderen Ausstellungen. Als Beuys-Schüler ist für mich dieser Kunstbahnhof eine Soziale Plastik, mit Kultur den alten Bahnhof reanimieren.« Ich bewerte das als erfolgreiches Projekt. Das Konzept war von Anfang an, dass wir einen unabhängigen, freien Platz schaffen in einem alten Bahnhof, der sonst wirklich verlassen war. Nach wie vor ist der Spirit der Mitglieder das, was uns am Leben erhält. Gerade bei den kleineren Krisen hat sich immer wieder gezeigt, dass wir ein Vertrauen und einen Teamgeist haben, auf den wir stolz sein können. Ich denke, unser Programm über die vielen Jahre hinweg kann sich wirklich sehen lassen. Wir bieten eben auch vielen Musikern und Künstlern aus der Region, die sich bei uns melden, die Möglichkeit, zu spielen oder auszustellen. Ein paar Anpassungen gab es schon, ursprünglich hatte ich eine Kunstkneipe im Sinn, jetzt ist es aber eher eine Konzertkneipe mit Kunst. Und inzwischen auch mit Vorträgen bei »Noras Kultur-café«, dort spricht unser Vereinsmitglied Nora Lettau über verschiedene Themen, am 21. April geht es zum Beispiel um Hygiene. Das ist nagelneu, zum Jubiläum sozusagen. Außerdem kann man bei uns auch Räume mieten und Party machen.
Nach welchen Kriterien erfolgt die Auswahl der Musiker?
Wir sind inzwischen bekannt in der Künstlerszene und haben auch einen guten Ruf erworben. Das Gleis 1 gilt als intimer Ort, ein Ort der Begegnungen, nicht so wie in einer Konzerthalle. Bei uns passen nur etwa 70 Leute rein, bei 100 Besuchern ist es wirklich übervoll. Aber das zieht die Künstler an und sie melden sich bei uns. 20 Jahre war ich meistens im Alleingang der Hauptverantwortliche. Inzwischen habe ich aber wunderbare jüngere Leute gefunden, die mich unterstützen, sodass wir jetzt ein Programmteam haben. Eine wirkliche inhaltliche Selektion betreiben wir nicht, uns kommt es vor allem auf die Vielfalt an, und natürlich auf eine gewisse Qualität. Ich muss aber auch sagen, es melden sich fast nur gute Künstler. Unsere Programmanagerin ist Cläre Esche, die bei der Band »Witches‘ Brew« als Keyboarderin spielt und mit den Künstlern und Musikern die Termine festmacht. Das nächste Jahr ist programmtechnisch schon wieder fast voll. Wir haben unsere Gruppen, die immer wieder kommen, gemischt mit neuen Musikern. Jetzt hat sich zum Beispiel eine finnische Gruppe gemeldet, es waren auch schon drei Mal mongolische Musiker da. Und im Sommer kommt die kubanische Band »Los Capitanes del Son« wieder. Weltmusik läuft eigentlich immer gut.
Wie finanziert sich der Verein?
Unsere Musiker bekommen von uns eine Mindestgage, wenn das Haus voll ist bekommen sie aber dann natürlich auch mehr. Übernachtung und GEMA-Gebühren übernehmen wir ebenfalls. So ist das Risiko für uns überschaubar. Die sonstige Finanzierung erfolgt primär über den Eintritt. Das hat nicht immer geklappt, während der Pandemie hatten wir zwar auch verhältnismäßig gute Besucherzahlen, aber eben nicht so viele wie sonst. Infrastruktur- und Fixkosten bezahlen wir mit dem Verkauf von Getränken, dazu kommen noch die Sponsoren, die auch immerhin einen Teil beitragen. Unser Hauptsponsor ist zum Beispiel die Firma RTS Gebäudereinigung und Dienstleistungen. Wir haben natürlich das Problem, die nötigen Arbeitskräfte zu finden, wir sind ja alle ehrenamtlich tätig, aber immer voll beschäftigt. Der Kneipendienst dauert bis 12 Uhr nachts. Das ist schon ordentlich Arbeit, besonders, wenn das Haus voll ist, ist man die ganze Zeit in Bewegung. Theoretisch könnten wir noch mehr machen, aber wir haben nur Kapazität für etwa sechs Konzerte im Monat. Den Kneipendienst erledigen immer Dreierteams, das ist durchorganisiert, mit sechs Konzerten erreichen wir aber unsere Grenze.
Was ist für das Jubiläum geplant?
Wir haben unsere Festschrift, ganz traditionell, das musste sein, und am 26. April machen wir einen Jubiläumsfestabend, da wird einfach gefeiert. Bernd Herzog, der Bürgermeister von Waldenburg, wird da sein und die beiden Gitarristen von »String Sensation« aus Schwäbisch Hall sorgen für die Musik. Ein paar Ehrungen sind auch geplant und ich werde sicher noch ein paar Worte sagen. Ich denke, was uns besonders auszeichnet, ist unsere offene Clubatmosphäre, unser Vereinsfeeling. Die Leute kommen einfach rein und es gibt keine Steifheit. Auf dem Plakat zu meiner Ausstellung habe ich das Zitat »Mysterien finden im Bahnhof statt« von Joseph Beuys verwendet. So sehe ich den Waldenburger Bahnhof: Als Ort der Kunst und Mysterien.
Jubiläumsfest 25 Jahre Gleis 1
Fr. 26. April, 19.30 Uhr, Gleis 1, Waldenburg
Kunstbahnhof Gleis 1, Am Bahnhof 25, 74638 Waldenburg, Fon: 07942-94 09 22