Abstrakte Kunst ist heute ganz selbstverständlich. Dabei kann man sich gar nicht mehr vorstellen, was es für ein riesiger Schritt für die Kunst Anfang des 20. Jahrhunderts war, abstrakt zu werden. Klar: Impressionisten hatten in ihren Bildern schon gezeigt, welchen Sinnenrausch die Farben erzeugen können, auch wenn sie nur banale Gegenstände z.B. einen Heuhaufen oder einfache Blumenwiesen darstellen. Aber weder Monet noch van Gogh, nicht einmal der geniale Picasso, hatten den Mut, sich ganz vom Gegenstand zu lösen und der reinen Farbe und den freien Formen die Bildfläche zu überlassen, den Mut, ein Bild zu erschaffen, das nichts mehr abbildete. So ist es kein Wunder, dass später ein regelrechter Streit um die Erfindung der
Abstraktion entbrannte. Jeder wollte der Held sein, der die Kunst vom Gegenstand befreit hatte. 1913 soll Wassily Kandinsky sein erstes gegenstandsloses Aquarell geschaffen haben, Kasimir Malewitsch zeigte 1915 sein legendäres »Schwarzes Quadrat«, und auch in Stuttgart begab sich zu dieser Zeit der Maler Adolf Hölzel auf den Weg zur Abstraktion. Einen Höhepunkt erlebte die Abstraktion in Deutschland jedoch nach dem zweiten Weltkrieg als Befreiung vom figurativen Ballast der
Naziästhetik. Vor allem im Westen bildete sich eine große Vielfalt ungegenständlicher Kunstströmungen heraus: vom abstrakten Expressionismus und dem Informel über diverse Spielarten des Konstruk- tivismus bis zur Minimalart. Auch der Südwesten hat hervorragende Künstlerinnen und Künstler der gegenstandslosen Kunst hervorgebracht, die heute in wichtigen Museen und Sammlungen zu finden sind, z.B. Georg Karl Pfahler, Erdmut Bramke, Anton Stankowski oder Lothar Quinte.
Eine der bedeutendsten Sammlungen südwestdeutscher Nachkriegskunst beherbergt die Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen. Sie engagiert sich seit über 40 Jahren mit Ausstellungen in der Kunstförderung und schreibt einen der ältesten Kunstpreise im Land aus. Mit der gegenstandslosen Kunst ist die Kreissparkasse eng verbunden, nicht nur weil sie wichtige Werke dieser Art in ihrer Sammlung hat, sondern auch weil sie über Jahrzehnte vom Jahrhundertgrafiker und konstruktiven Künstler Anton Stankowski in Gestaltungsfragen begleitet wurde. Aus diesem Grund widmet sie ihren aktuellen Kunstpreis unter dem Motto »Abstraktion.Expression.Konkretion« der gegenstandslosen Kunst. Als Hauptpreis winken 10.000 Euro. Mit dem Preis stellt sie die Frage, wo die gegenstandslose Kunst aktuell steht. Tatsächlich gehört heute kein Mut mehr dazu, ein gegenstandsloses Werk zu schaffen. Die Herausforderung ist es, bewusst und innovativ mit der reichen Tradition der abstrakten oder gegenstandslosen Kunst umzugehen und dabei Werke zu erschaffen, die sich in der Bilderflut unserer Gegenwart durchsetzen.
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4. Südwestdeutschen Kunstpreis: www.ksk-es-kunstpreis.de