Ab Oktober 2021 stand auf dem Stuttgarter Schlossplatz für drei Monate ein 54 Meter hohes Riesenrad als „Ersatz“ für das ausgefallene Volksfest und als Zeichen für die covidbedingt seit 2020 stillstehende Kulturbranche. Für Bettina Meister ein schönes und zugleich trauriges Zeichen, denn als Fotografin für Konzert- und Veranstaltungsfotografie war sie direkt betroffen. Kurze Zeit vor dem Aufbau des Riesenrads durften Veranstaltungen zwar unter strengen Auflagen wieder stattfinden, doch am 1. November 2021 kam ein erneuter Stillstand.
Bei einem Stadtspaziergang auf den Höhenlagen des Stuttgarter Westens, den die Fotografin zufällig am ersten Tag der Inbetriebnahme des Riesenrads machte, beeindruckte sie ein ganz besonderer Augenblick. Der Moment, in dem die Stadtmitte des Kessels schon trostlos dunkel in der Dämmerung lag. Einzig das Riesenrad leuchtete bunt und hell in der Stadt. In diesem Moment erschien es übergroß. Es dominierte die Dunkelheit, erhob sich wie ein Mahnmal und gleichzeitig wie ein Zeichen der Hoffnung. Als wolle es sagen: „Schaut her! Ich leuchte für euch und bringe wieder Freude in euer Leben.“
Das gab Bettina Meister die Idee, dieses Hoffnungszeichen für die Branche fotografisch festzuhalten, und zwar von möglichst allen bekannten, jederzeit öffentlich zugänglichen Aussichtspunkten auf die Stadt aus. Von Ost und West, von Süd und Nord. So entstand eine einzigartige Serie mit Riesenrad-Stadtansichten von 18 Standorten in der Zeit vom 6. Oktober bis 13. November 2021. Immer zur goldenen und blauen Stunde am Abend fotografiert. Mal von weiter weg, mal von ganz nah dran. Mit Ausnahme von zwei Nahansichten stets von einem erhöhten Standort aus – im Stillstand. Mit stehenden Gondeln, bewusst ohne Bewegung. Denn die Veranstaltungsbranche musste lange Zeit stillstehen. Und diesen Stillstand wollte die Fotografin festhalten.
Wer die 18 Standorte aufmerksam betrachtet und Stuttgart kennt, wird feststellen, dass ein paar beliebte Aussichtspunkte fehlen: das Teehaus/Bopser, die Karlshöhe und die Uhlandshöhe. Dort verdecken Bäume das Riesenrad, sodass kein Foto möglich war.
Die 18 Ansichten steigern sich von der Ferne zur Nähe, der „Höhe“-Punkt ist das Riesenrad. Die Ansicht zeigt die Stadt aus dem Riesenrad von oben fotografiert. Und zwar so, dass der Betrachter sich fühlt, als ob er im Riesenrad sitzt und auf die Stadt blickt. Dieses Bild soll symbolisieren, wie uns die Kultur – und Veranstaltungsbranche zu Höhepunkten verhelfen kann. Highlights, auf die wir nicht verzichten sollten, da sie uns wunderbare Ansichten schenken. Und wie passend erschien doch zeitgleich die Beschriftung auf dem „Cube“ Kunstmuseum Stuttgart: „Jetzt oder nie“.
Die Bilder entstanden an den folgenden Aussichtspunkten:
• Santiago-de-Chile-Platz
• Birkenkopf
• Zeppelinstraße
• Bismarckturm
• Birkenwaldstraße/Hermann-Kurz-Straße
• Budapester Platz/Milaneo
• Birkenwaldstraße/Im Kaisemer/Züblin
• Chinesischer Garten
• Panoramastraße/Relenbergstraße
• Heinrich-Heine-Höhe/Villa Reitzenstein
• Emil-Molt-Staffel/Haußmannstraße
• Eugensplatz
• Konrad-Adenauer-Straße/Stadtpalais/Kulturmeile
• Dorotheenstraße/Stauffenberg-Platz/Altes Schloss
• Pulitzweg/Landtag
• Kleiner Schlossplatz
• Schlossplatz/Pavillon
• Riesenrad
Über die Fotografin Bettina Meister (Stuttgart)
Bettina Meister ist in Stuttgart aufgewachsen. Über ihre Fotografie sagt sie: „Peoplebilder sind meine Leidenschaft. Bei der Konzertfotografie und Bühnenfotografie faszinieren mich zusätzlich das Licht und die Stimmung. Auch in meiner Freizeit bin ich jede freie Minute mit der Kamera unterwegs. Und an Stellen, an die andere Menschen nicht mal hinschauen, entdecke ich oft die interessantesten Motive.“
Bei einer Foto-AG kurz vor dem Abitur wurde sie von der Fotografie gepackt. Mit der geliehenen analogen Spiegelreflexkamera ihres Großvaters zog sie los und entwickelte im Anschluss in der Dunkelkammer ihres Cousins die Schwarz-Weiß-Abzüge. Sie entdeckte schon damals Motive in der Innenstadt, von denen viele Betrachter nicht mal ansatzweise wussten, wo diese zu sehen waren. Darunter der Palast der Republik, der in den 80-er Jahren noch als Pissoir diente, oder das Zick-Zack-Muster in Schwarz-Weiß auf der unteren Königstraße, das mittlerweile längst einem tristen, grauen Belag weichen musste.
Trotz aller Begeisterung sprang der Funke lange Jahre nicht so richtig über. Erst 2012 erlebte Bettina Meister mit einer digitalen Spiegelreflexkamera wieder diese Begeisterung, die Liebe zur Fotografie.
Sie durfte als Second Shooter mit einer geliehenen digitalen Profi-Spiegelreflexkamera bei den Stuttgarter Jazzopen-Konzerten direkt aus dem Fotograben heraus Musiker fotografieren. Die Leidenschaft packte sie. Während der Konzertsaison konnte sie es immer kaum abwarten, die nächsten Musiker zu fotografieren. Stets auf der Suche nach dem besten Konzertfoto.
Der Fotograf Wolf-Peter Steinheißer sagte 2017 zu ihr: „Gib die Fotografie nicht auf, wenn sie deine Leidenschaft ist.“ Dieser Satz spornte Bettina Meister an, neben ihrer Werbe- und PR-Agentur auch als Fotografin professionell zu arbeiten. In Workshops, Coachings und mit Fachliteratur eignete sie sich als Autodidaktin die Kenntnisse der Fotografie an, kaufte sich eine eigene professionelle Kameraausrüstung mit lichtstarken Objektiven sowie Blitzköpfe und Lichtformer für Studiofotografie.
Ihr erster bezahlter eigener Auftrag als Fotografin war - wie könnte es anders sein - eine Jazzband, die im Stuttgarter Jazzclub Bix spielte.
Menschen zu fotografieren und zu porträtieren, Zeitgeschehen zu dokumentieren, auf ungesehene Details aufmerksam zu machen, darin liegt ihre große Begeisterung in der Fotografie. Die Person so herauszustellen, wie sie ist, sie im richtigen Moment mit der Kamera einzufangen, bleibt für sie immer faszinierend.
Eckdaten:
Fotoausstellung „STILLSTAND“ der Fotografin Bettina Meister in der Galerie Nieser Vernissage: Samstag, 14.01.2023, 20 Uhr Ausstellung: 14.01. - 03.02.2023 (Öffnungszeiten auf Anfrage) Ort: Galerie Norbert Nieser, Große Falterstrasse 31/3, 70597 Stuttgart Alle Infos zur Ausstellung und der Fotografin.