Die Nerven
Die Nerven aus Stuttgart haben 2016 viel erreicht und waren ganz schön unterwegs. MORITZ-Redakteur Thomas Moegen sprach mit dem Bassisten Julian Knoth über die Band-Chemie mit Max Rieger und Kevin Kuhn, das süße Nichtstun, den Medienhype, politischen Widerstand, die Fans, die Israel-Tour und 2022.
Moritz: Was macht ihr gerade?
Die Nerven: Im Moment machen wir eigentlich gar nichts. Pause. Wir hatten jetzt am 5. Januar unser letztes Konzert. Bis zum Konzert in Reutlingen (franz.K, 10. märz, 20 Uhr) haben wir nur noch eine Theatervorstellung im Februar hier in Stuttgart.
Moritz: Ihr spielt den Soundtrack zu "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion". Wie läuft es am Theater?
Die Nerven: Das lief und läuft gut. Wir haben das Stück ja so vor einem Jahr mitentwickelt. Es sitzt alles ziemlich gut und jeder weiß, was er zu tun hat. Deswegen macht es auch Spaß.
Moritz: Ihr musstet doch öfter etwas umwerfen.
Die Nerven: Bis zur Premiere wurde ständig etwas geändert. Aber es ist mit weniger Aufwand verbunden als Konzerte zu spielen oder auf Tour zu gehen.
Moritz: Bastelt ihr gerade an einem neuen Album?
Die Nerven: Dafür nehmen wir uns gerade Zeit. Wir werden in diesem Jahr wahrscheinlich weniger Konzerte spielen. Im Sommer wollen wir das neue Album dann auf jeden Fall aufnehmen. Wir schon auch recht weit. Es stehen nur noch ein paar Songwriting-Sessions an.
Moritz: Machen Glitterhouse Records Records Druck?
Die Nerven: Nein, überhaupt nicht. "Out" ist ja auch schon eine Weile her, im Dezember 2014 haben wir dieses Album aufgenommen. Seitdem waren wir nicht mehr im Studio. Für unsere Verhältnisse haben wir uns schon lange Zeit gelassen. Wir haben im letzten Sommer schon mit dem Songschreiben angefangen und dann kamen immer mal wieder neue Stücke dazu. Wir sind zwar noch nicht fertig, aber das neue Album soll ja auch abwechslungsreich werden. Bei "Out" haben wir alle Songs innerhalb von einer Woche geschrieben und jetzt haben wir es uns aufgeteilt.
Moritz: Zum einen sagt ihr, dass der Medienhype schon krass ist, zum anderen lebt ihr den Traum von Profis, die von ihrer Musik leben können. Seid ihr schon zu bekannt?
Die Nerven: Der Medienhype hat natürlich viele Vorteile. Mit den Nachteilen muss man halt leben. Ich hatte nie den Traum, Berufsmusiker zu sein. Ich musste mich damit eher arrangieren. Es war ein schwieriger Schritt zu akzeptieren, dass es nicht mehr nur Hobby ist, sondern eben auch irgendwie mein Beruf. Ich hatte alles irgendwie nur aus Spaß gemacht. Das Gefühl, so bekannt zu sein, habe ich auch nicht unbedingt. Wir sind noch nicht bekannt genug, um ständig erkannt zu werden. Ich bin ja auch viel in Berlin, Hamburg, Köln und München unterwegs. Wir sind normale Menschen, die sich bewegen, vielleicht erkannt werden, aber selten angesprochen werden. In Stuttgart kennt man ja die meisten, die in der Szene unterwegs sind. Um erkannt zu werden, muss man schon in andere Sphären kommen. Wenn wir im Fernsehen sind, dann bei Rockpalast und das läuft spät in der Nacht. Wir sind bisher keine bekannten Gesichter. Wahrscheinlich werden die beiden anderen auch öfter erkannt als ich, weiß ich nicht.
Moritz: Aber ihr habt viele Verbindungen. Im Video zu "Angst" spielen Tocotronic euren Song.
Die Nerven: Verbindungen und Kontakte haben wir ja viele. Ich habe auch manchmal das Gefühl, dass wir eine Lieblingsband von Musikern sind. Viele Musiker, die wir gut finden, finden uns auch gut. Man bekommt immer viel Lob. Das ist was Schönes, aber ich will nicht zu viel drauf geben, obwohl mich das sehr freut.
Moritz: Kann man Euch überhaupt einem Stil zuordnen? Neo-Post-Punk, Noise-Rock etc...
Die Nerven: Ne, ich glaube nicht. Wir sind drei völlig unterschiedliche Typen sind, die zusammen Musik machen und das funktionier auch sehr gut. Wir springen immer zwischen Kompromissen hin und her. Das klingt negativ, ist es aber nicht, weil jeder verschiedene Einflüsse, Vorlieben und Soundgeschmack hat. Es ist sehr spannend, da wir uns trotzdem auf etwas einigen können. Jeder Song geht entweder in die Richtung von Max, Kevin oder mir. Oder in die Richtung, die wir alle drei mögen.
Moritz: Was mögt ihr drei denn alle gleich?
Die Nerven: Es gibt ein paar Platten, die wir gerne mal gemeinsam im Bus hören. Auch Musik aus unserem Umfeld. "The Argument" von Fugazi, Deserters, gerne auch mal Krautrock-Sachen halt, die super sind zum Autofahren. Es bringt jeder mal was Neues mit, man hört es gemeinsam an. Manchmal finden wir es nicht alle gut, reden dann darüber. Wir sind eine Band, die viel über Musik redet, auch über unsere eigene. Wir reden mehr über Musik als im Proberaum zu stehen. (lacht)
Moritz: Vielleicht seid ihr dadurch schneller im Proberaum fertig?
Die Nerven: Wir sind eigentlich kaum im Proberaum.
Moritz: Viel Kreativität, Jamming, Improvisation?
Die Nerven: Sehr viel Kopfarbeit von allen drei. Wie man ein Stück weiterentwickeln kann. Wir halten uns nicht mit Probieren auf. Wir lassen auch Sachen liegen, greifen sie vielleicht wieder auf oder nehmen nur die Sachen, die gleich funktioniert haben.
Moritz: Seid ihr Widerständler? Kämpft ihr gegen das System?
Die Nerven: Ich würde es nicht so hochtrabend sagen. Der Ausdruck Widerständler klingt ganz schön und jeder Mensch ist politisch. Wir bekennen uns auch dazu. Vielleicht machen wir den Soundtrack für die Leute, die nicht damit zufrieden und einverstanden sind, dass die Gesellschaft nach rechts rückt. Auch vielleicht für einzelne Leute, die sich nicht in einer Gruppe organisieren wollen und aus unserer Musik Kraft schöpfen.
Leute schreiben uns manchmal ,Danke, dass ihr mir das Jahr gerettet habt mit eurer Musik', ich finde, dass ist auch politisch. Wir hängen das ungern an die große Glocke, dass wir politisch sind. Unsere Fans, das habe ich jetzt schon oft gehört, fühlen sich bei unserer Musik unbesiegbar. Die hören das auf ihrem MP3-Player, wenn sie durch die Straßen laufen und denken, dass die ganzen Leute halt irgendwie komisch sind und man alleine ist. Dann hört man Die Nerven und fühlt sich unbesiegbar. Das ist ein schönes Bild.
Moritz: Ziellose Generation X, hinterfragende Generation Y?
Die Nerven: In unseren Texten hinterfragen wir viel, eher subtil und nicht deutlich. Max und ich schreiben Texte, die sich von der Welt-Sichtweise her unterscheiden. Manchmal beschreibend, manchmal hinterfragend. Ich tue mir schwer mit dem Einordnen in Generationen. Keine Ahnung welche Generation wir sind. Millenials habe ich schon gehört, vielleicht Y. Es finden sich viele Leute in unserer Musik wieder. Wir haben ein heterogenes Publikum. Kinder mögen unsere Musik, Zwischen 20- und 40-Jährige und Ältere, die sich an die 80er erinnert fühlen. Beim RAF-Theater waren viele über 70, denen unsere Energie und Musik sehr gut gefallen hat. Wir haben nicht nur eine Fan-Gruppe, die unsere Musik gut findet. Es ist ein bestimmter Schlag Mensch, die sich damit identifizieren können. Unsere Trumpfkarte ist die gute Energie. Wenn wir zusammen Musik machen, passieren zwischen den Bandmitgliedern magische Dinge, die wir nicht erklären können. Es fügt sich alles zusammen. Auch die, die unsere Musik nicht mögen, können uns trotzdem gut finden. (lacht)
Moritz: Im Moment habt ihr Freizeit. Geht ihr feiern, trinkt Bier und hängt vor der Glotze rum?
Die Nerven: Eigentlich nicht feiern und Bier trinken. Eher das Gegenteil. Ich habe keinen Fernseher. Einfach mal runterkommen, nicht so viel unterwegs sein. Wir feiern alle eigentlich nicht. Die Touren und die Konzerte sind unsere großen Feiern. Da trink ich immer Bier. Jetzt, wo ich frei habe, versuche ich mal eher kein Bier zu trinken. 2016 waren wir viel unterwegs. Ich freue mich mal Ruhe zu haben, daheim zu sein und mich um andere Sachen zu kümmern. Ich habe auch überlegt, ob ich mir so einen kleinen Job suche. Hab ich aber noch nicht gemacht. Jeder von uns hat Sachen zu tun. Ich habe auch Lust, mich um andere musikalische Sachen zu kümmern, weil das bei mir in den letzten Jahren immer recht wenig war. Die anderen beiden haben da viel gemacht und andere Projekte gehabt.
Moritz: All diese Gewalt?
Die Nerven: Ja, und Wolf Mountains, Karies. Der Kevin spielt ja auch noch in ein paar anderen Bands mit. Ich hatte da so Flaute, obwohl ich immer viel gemacht habe. Ich will wieder Musik für mich selbst machen oder mit anderen Leuten. Einfach so aus Spaß wieder Musik machen. Die Nerven machen mir natürlich auch Spaß, aber es ist sehr viel Arbeit mit dabei. Es ist schon Musik zu machen ohne daran denken zu müssen, eine Rechnung zu schreiben.
Moritz: Was konntet ihr aus der Israel-Tour rausziehen?
Die Nerven: Israel war wichtig, um zu sehen, dass unsere Musik auch funktioniert, auch wenn die Leute unsere Sprache nicht verstehen. Unsere ersten Auftritte im nicht-deutschsprachigen Raum. Die persönlichen Sachen waren auch wichtig. Das war wahrscheinlich so ein erster Härtetest für uns. Organisatorisch war das krass. In der Rush-Hour in die Stadt zu fahren, im Stau zu stehen und alle fahren wie Idioten. In Jerusalem wären wir fast vom Bus überfahren worden. Wir haben in kurzer Zeit viele extreme Erlebnisse mitgenommen und in diesem verrückten, faszinierenden Land Konzerte gespielt. Nachmittags Schwimmen im Toten Meer, abends einen Auftritt. Die Szene in Israel funktioniert, denn die jungen Bands sind über das ganze Land miteinander vernetzt. Da gibt es Bands, die spielen die ganze Zeit live, sehen aber nie einen Schekel dafür. Das hat uns beeindruckt. Wir sind große Fans von Israel, weil wir uns da wohlgefühlt haben. Aber wir haben auch gesehen, dass die jungen Musiker dort nichts verdienen. Sie wirken, obwohl sie zum Teil jünger waren, älter und erwachsener als wir. Sie leben ja in einem Kriegsgebiet und wir als deutsche Kids, die alles haben, machen Musik aus einer Luxus-Situation, aus Hobby heraus. Für die ist nichts selbstverständlich und sie müssen sich alles erkämpfen und organisieren. Dass denen dann Geld egal ist, ist krass.
Moritz: Was willst Du den Fans sagen?
Die Nerven: Das ist schwierig. Jeder sollte den Mut haben, er oder sie selbst zu sein. Wenn unsere Musik dazu beiträgt, dass es Menschen, die es nicht so einfach haben, dann besser geht und sie sich stärker fühlen, dann ist alles gut.
Moritz: Wo seht ihr euch in fünf Jahren?
Die Nerven: Mhhhh...2022...da haben wir in der Zwischenzeit hoffentlich zwei Langspieler rausgebracht. Da bin ich ja schon ganz schön alt. 32. Das ist so abstrakt, sich vorzustellen über 30 zu sein. (scherzend) Hoffentlich sind wir dann das Non-plus-Ultra in der deutschsprachigen hochwertigen Musik-Szene. Nein, ich hoffe einfach, dass wir oder das, was wir machen nicht langweilig werden. Das glaube ich auch nicht. Wir könnten uns immer neu erfinden und trotzdem die alten bleiben. Ein schwieriger Balance-Akt. Ohne abzuheben. Mir wäre es lieber, die Fans vor den Kopf zu stoßen als langweilig zu werden. Vielleicht bringen wie 2022 ein unschätzbares Free-Jazz-Album raus. Die Fans würden uns für verrückt erklären. Das wäre mir lieber als langweilig zu werden. Ich hoffe, dass uns noch mehr und viele andere Leute gut finden. Das ist dann ein Gesamtwerk. Jeder kann sich dann ein Album gutfinden und die anderen nicht so. Es muss nichts stringent sein.
Moritz: Hauptsache eins von fünf Alben gut finden.
Die Nerven: Oder keins. Wurscht.
Moritz: Und trotzdem zum Konzert kommen.
Die Nerven: Es gibt in der Szeneforschung so ein Wort für Leute, die zum Konzert mitgenommen werden, obwohl sie gar nicht hinwollen. Das gibt es ja auch. Mir fällt das Wort jetzt nur nicht ein.
Moritz: Ja, mir auch nicht. Wir danken für dieses Gespräch.
Die Nerven: Aber bitte, wir danken.