Was Stuttgart sehr besonders macht, ist seine kulturelle Vielfalt, denn diese Stadt bietet unzählige Möglichkeiten, am kulturellen Leben zu partizipieren. Dieses hat sich in den letzten Monaten drastisch verändert. Zum Glück gibt es Institutionen, die dafür einstehen, den Menschen ein gutes Gefühl zu geben, indem sie zeigen, dass Kunst, Theater, Kabarett, Comedy und vor allem Freude zurückkehren. MORITZ Redakteurin Arta Dibrani sprach dazu mit Sebastian Weingarten, dem Intendanten des Renitenztheaters.
Verlangt die aktuelle Situation im Theaterwesen Improvisation und Flexibilität?
Ich arbeite zurzeit nur auf Sicht, ich musste mich von meinem Spielplan, den ich eigentlich zwei Jahre im Voraus erstelle, lösen und mich anpassen. Jetzt gerade bin ich dabei, den November und Dezember in den Griff zu bekommen. Neben unserem Sommerprogramm spielen wir in diesem Jahr auch die gesamte Schließzeit über. Wir sind trotzdem froh, dass es durch die Krise auch zu besonderen Kooperationen gekommen ist, zum Beispiel mit dem Hospitalhof.
Wie kam es denn zu dieser Kooperation?
Wir sind ja hier in der Nachbarschaft. Der Hospitalhof befindet sich gegenüber des Renitenztheaters. Als wir nach einer Lösung gesucht haben, um unsere Veranstaltungen zu realisieren, kam der Gedanke zwangsläufig, auch den Hospitalhof miteinzubeziehen. Dort gibt es den Paul-Lechler-Saal, in dem man unter Einhaltung der Abstandsregelung zurzeit bis zu 200 Personen unterbringen kann. So kam es zu der Kooperation und in guter Nachbarschaft hat man sich da unter die Arme gegriffen. Dadurch sind sowohl der Hospitalhof, aber auch das Renitenztheater als kultureller Veranstaltungsort in der Innenstadt präsent.
Ist es Ihnen gelungen, Präsenz zu zeigen?
Naja, das Renitenztheater ist eine Institution, die es nächstes Jahr schon seit 60 Jahren gibt. Also hoffe ich, dass wir nicht so schnell vergessen werden (lacht). Während des Lock Down haben wir eine »Froggy Night Viral Spezial« mit Thomas Fröschle, alias TOPAS, sehr aufwendig für die digitalen Kanäle, produziert. Nachdem wir dann wieder die Möglichkeit hatten, unter Einhaltung der Abstandsregeln, Veranstaltungen vor Publikum zu präsentieren, war uns das Risiko schon bewusst, in geschlossenen Theaterräumen zu spielen. Das meiste waren ja Open-Air Veranstaltungen. Aber unsere Erfahrungen sind jetzt, dass die Leute dankbar sind, dass überhaupt wieder etwas stattfindet, und sie nach vier Monaten (Zwangs-)Pause wieder Kabarett und Comedy erleben dürfen. Das kulturelle Leben ist zum Glück in Bewegung gekommen, auch wenn es teilweise Open-Air ist. Stuttgart war und ist immer stolz auf seine kulturelle Vielfalt. Hoffen wir, dass wir sie nach dem Ende der Pandemie erhalten können und wir keine Krise nach der Krise erleben.
Welches Ereignis war in der Krisenzeit besonders für Sie?
Wir mussten ja am Anfang, nach dem ersten Schockzustand, wie alle anderen Theater, zu machen. Von heute auf morgen ist der Stecker gezogen worden und plötzlich gab es nichts mehr. Die Umsätze sind eingebrochen, der Betrieb mußte heruntergefahren werden und die Frage: was machen wir mit den bereits verkauften Karten der kommenden Gastspiele? Die meisten haben dann umgebucht, die wenigsten wollten ihr Geld zurück und manche haben es sogar gespendet, was eine sehr schöne Reaktion war. Manche haben auch einfach fiktiv Karten gekauft, um es dem Theater zu spenden. Da war eine große Solidarität da, die sehr berührend war.
Sind die Menschen nun zu bequem, um am kulturellen Leben teilzuhaben, weil sie alles digital ansehen können?
Dem würde ich auf jeden Fall widersprechen. Das waren ja im Endeffekt nur Notlösungen, weil man eben den Kontakt zum Publikum gesucht hat. Jeder Künstler, der auf der Bühne steht, unabhängig davon, ob er Kabarett macht, tanzt oder Theater spielt, braucht das Publikum. Diese Kunstformen haben nur durch das Publikum ihre Dynamik. Die Live-
Situation, das ist etwas Einmaliges und das kann digital kaum wiedergegeben werden. Aber es werden bestimmt auch neue kreative Kunstformen aus dieser Notsituation entstehen.
Wie hat die Krise das Theater verändert?
Die Prioritäten müssen teilweise neu gesetzt werden. Ein Aspekt, den wir uns natürlich sehr zu Herzen nehmen, ist das Hygienekonzept. Wir haben im Renitenztheater ein Einbahnsystem entwickelt, dass unseren Gästen u.a. ermöglicht, über den Vordereingang rein-, und am Ende der Vorstellung über die Notausgänge hinten rauszugehen. Das ist uns ganz wichtig, den Zuschauern, die hierher kommen eine gewisse Sicherheit bieten zu können und ihnen die Ängste vor geschlossen Räumen zu nehmen.