Mathias Richling
Mathias Richling in Topform wie eh und je. Das bekam auch die Kanzlerin zu spüren.
Mathias Richling begeisterte Unter der Pyramide der Kreissparkasse Heilbronn. Mit (fast) 66 Jahren, da ist bei ihm noch lange nicht Schluss. Er könnte in Rente gehen. Der Vorschlag würde vermutlich einen ungläubigen Blick und ein pikiertes Kopfschütteln mit in die Hüften gestemmten Händen provozieren. Im Rahmen der neuen Veranstaltungsreihe RAMPENlicht der Kreissparkasse Heilbronn startete der begnadete Parodist, Kabarettist und Autor ins neue Jahr. „Richling und 2084“ hat er sein aktuelles Program genannt. Nach dem Roman „1984“ von Georg Orwell. Er versetzt Frau Merkel ebenso 75 Jahre in die Zukunft wie die Königin von England. Und da die Zeit für aufwändige Kostümwechsel bei seinem gut anderthalbstündigen Auftritt nicht reicht, projiziert Richling die Konterfeis der von ihm karikierten Prominenz aus Politik, Kirche und Gesellschaft im Großformat an die Wand.
Und er rennt. Von links nach rechts. Von rechts nach links. Hält inne. Rennt weiter. Unentwegt. So wie er unentwegt redet, ins Publikum guckt, einzelne laute Lacher aufgreift und sagt: „Sie verstehen, wovon ich rede, gell?“ Dann rennt er wieder. Setzt sich, liest was vor, springt auf, rennt weiter. Verschwindet in der mitgebrachten Kulisse. Kommt wieder vor. Rennt. „Red' ich zu schnell?“, fragt er im Laufen. „Sie brauchen gar nicht alles zu verstehen. Ich versteh' ja auch nicht alles, was ich sage.“ Dann erzählt er, dass die Leute ihm beim Buchsignieren nach der Vorstellung immer erzählen, was sie verstanden haben. Abrupt hält er inne. Schaut ins Publikum. Dann nickt er solange, bis es auch der Letzte im Saal kapiert hat. Dann rennt er weiter.
Mathias Richling Autogramm
Er schreibt noch schneller, als er spricht: Mathias Richling beim Signieren seines Buchs.
Zwischendurch bekommt die mental versammelte Politprominenz ihr Fett weg. Frau Nahles. Ein Brüller. Der Papst. Göttlich. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU), gebürtiger Heilbronner und auch noch dort beheimatet, ist auch dabei, in genialem Schlagabtausch mit seinem Chef, dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Himmlisch. Richling rechnet vor, dass Stuttgart21 ja in Wahrheit eine Goldgrube ist. Je länger es dauere, desto geringer würden die Kosten pro Tag, man müsse nur die Summe durch immer mehr Tage teilen. Es klappt. Er schaut und nickt. Der Groschen fällt schnell und der Saal tobt. Für die Queen wirft er sich den Umhang um, den er schon als Papst trug, und setzt sich eine goldene Pappkrone aufs Haupt. Für Putin hält er sich eine Korsettattrappe mit dessen nacktem Oberkörper vor die Brust.
Dann rennt er wieder. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen lässt er bei der Bundeswehr ausmisten und den alten Krempel bei Bares für Rares verscherpeln. Selbstredend bekommt sie von Lichters Horst die Händlerkarte. Erdogan lässt er aufmarschieren. Auf Frau Merkel und die Deutschen schimpfend, flucht der von der Bühne, steigt herab in die Niederungen des ungeliebten deutschen Volks, rennt die Gänge entlang, schimpfend, mahnend, drohend. Teuflisch echt. Fehlt noch Macron. Er kniet in der berühmten Balkonszene auf dem Boden und bekniet flehend und bei Vollmond seine Angela, die an der Brüstung steht. Von dem fließenden, ebenfalls rasend schnell gesprochenene Französisch bleibt selbst bei frankophilen Sprachtalenten maximal „Mousse au Chocolat“ hängen. Par excellence.
Und so sehr das Zwerchfell auch zu tun hat nach einem Richling-Abend, so angestrengt ist gleichsam der Geist. Denn was so flaspig und urkomisch daher kommt, ist ein treffendes Abbild der Gesellschaft und des Weltgeschehens. Wie kein anderer versteht es Mathias Richling, die Machtbesessenen zu entblößen – im Großen wie im Kleinen. Optisch, mimisch, durch Gesten und verbal. Intelligent, hintersinnig, klug und lebensnah. Das macht ihm niemand nach. Das ist phänomenal. Möge er auch 2084 noch über die Bühnen der Republik rennen. Simone Heiland