Foto: Fabian Schellhorn
Armin Petras
Armin Petras, Intendant des Schauspiel Stuttgart, kämpft in der Landeshauptstadt zunehmend gegen Windmühlen. Jetzt hat er bekanntgegeben, dass er sein gerade eben erst bis 2021 verlängertes Engagement bereits 2018 beendet – eine verfrühte Kapitulation? Nicht wenn es nach seiner neuen Stuttgarter Premiere geht. Die ist kraftvoll-subversives Performance-Theater, wie man es von Petras gewohnt ist.
Eine Auszeichnung hat die jüngste Stuttgarter Inszenierung von Armin Petras schon mal sicher: »Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969« ist locker der längste Theatertitel des Jahres! Rund ein halbes Jahr nach seiner Premiere an der Berliner Schaubühne ist die Bühnenfassung von Franz Witzels preisgekröntem Romanspektakel jetzt auch an Stuttgarter Spielstätte Nord zu sehen – mit demselben spielwütigen Ensemble, derselben Kaufhaus-Deko und derselben lauten, nagenden, dräuenden Live-Musik der Stuttgarter Post-Punk-Helden Die Nerven. In Berlin gab es dafür nicht nur Lob, aber das ist Petras gewöhnt. Ja, er hat es sogar zu einem Grundsatz gemacht, zu polarisieren. Zu verschrecken.
Ein Stück mit RAF-Hintergrund in Stuttgart zu inszenieren, birgt Sprengkraft
Die literarische Vorlage ist ein fragmentarisches Psychogramm, die Auseinandersetzung eines labilen jungen Mannes mit der Welt der späten Sechziger. BRD-Muff unter den Talaren hier, reaktionäre Gedanken dort. Hippie-Ideale, Drogen, Rock‘n‘Roll versus politischen Aktionismus. Für Petras ein ganz und gar unbekanntes Szenario. »Ich bin zwar in Westdeutschland geboren, jedoch in Ostdeutschland aufgewachsen. Dieses Buch ist für mich eine Kindheit, die ich nie hatte. Ich kannte all das nicht, wusste nichts von den Vorgängen und lernte erst ab 1989, was sich damals im Westen alles zugetragen hat.« Ein Stück mit RAF-Hintergrund in Stuttgart zu inszenieren, birgt Sprengkraft. Aber auch Möglichkeiten. In keiner anderen Stadt der Republik ist das Stigma des roten Sterns und seiner blutigen Taten derart präsent. »Stuttgart ist für den gesamten Themenkomplex RAF natürlich extrem prädestiniert«, weiß auch Petras um die Chancen. »Bei Stadtbezirken wie Stammheim denkt man ja eigentlich an nichts anderes als an die RAF.«
Zwei seiner Vorlieben kommen somit zusammen: Die Auseinandersetzung mit schwierigen politischen Ereignissen und das Durchleuchten lokaler Stoffe. Aus dem gewaltigen 800-Seiten-Wälzer von Franz Witzel macht Petras ein fragmentarisches Parforce-Theater, das den fünf Akteuren alles abverlangt und sie regelrecht entfesselt. »Klar ist natürlich, dass es sich nicht um eine Nacherzählung des Romans handelt. Wir heben bestimmte Themen, bestimmte Figurenkonstellationen und bestimmte Kapitel hervor, lösen sie aus dem alten Kontext heraus und setzen sie in einen neuen.«
Und weil das Buch eben auch eine Auseinandersetzung mit subversiver Jugendkultur ist, kann man Petras für die Verpflichtung der Stuttgarter Post-Punk-Größe Die Nerven nur gratulieren. Ohne direkt in die Handlung einzugreifen, verstehen sie es doch, die aufgeladene, fiebrige Stimmung mit ihren schroffen musikalischen Grenzgängen messerscharf zu akzentuieren. Das tut bisweilen weh. Aber das soll es auch. Die Jugend, die Politik und all das dazwischen sind schließlich kein Zuckerschlecken. Auch so etwas, das Petras gerne mag. Umstimmen wird er seine Gegner gewiss auch mit diesem Stück nicht. Er hatte es aber von Anfang an nicht vor. Und das wird bei aller Kritik gern mal übersehen. Björn Springorum