Stimmen zur Corona-Krise »Wir Probieren nun alles aus«
Die Corona-Krise hat mittlerweile jeden getroffen – insbesondere die Kulturszene und die Gastronomie leiden erheblich unter der Pandemie und stehen vor leeren Hallen und Restaurants. MORITZ lässt die Betroffenen selbst zu Wort kommen und gibt einen Überblick über die Stimmung in dieser Krisenzeit. Dabei zeigt sich neben einer großen Verunsicherung auch eine ungeheure und ungebrochenen kreative Energie.
Tamas Detrich (Stuttgarter Ballett):
»Während der häuslichen Isolations-Zeit haben Ballettintendant Tamas Detrich, geschäftsführender Intendant Marc–Oliver Hendriks und das Sozialreferat der Staatstheater Stuttgart die TänzerInnen zunächst mit Lebensmitteln versorgt und anschließend – nach Ende der Quarantäne – mit sogenannten Tanzböden ausgestattet, da sie aufgrund der behördlichen Bestimmungen nicht mehr in den Ballettsälen trainieren durften und das tägliche Training
Zuhause verrichten mussten. In der letzten Aprilwoche kam dann der erste Fortschritt: die Compagnie darf wieder in kleinen Gruppen und unter der Einhaltung aller behördlichen Auflagen in den Ballettsälen trainieren! Für uns besonders wichtig, da das tägliche Training für die TänzerInnen unabdingbar ist. Wir können es zwar kaum erwarten, auf die Bühne zurückzukehren, aber die Gesundheit unseres Publikums sowie der Künstler und Künstlerinnen hat oberste Priorität.«
Timo Steinhauer (Friedrichsbau Varieté):
»Die Krise ist eine große Herausforderung, aber ich bin sehr zuversichtlich für die Zukunft. Wir haben viele treue Fans und gerade nach schweren Zeiten hat man Lust auf Ablenkung und Fröhlichkeit. Ab September haben wir eine sehr positive Artistik-Show mit dem Titel ‚Utopia‘ geplant und ab Mitte November geht es dann mit ‚WHITE – Die große Wintershow‘ voller Energie weiter! Sich mal wieder aus dem Alltag entführen und bezaubern lassen tut nach der schweren Zeit allen gut! Wo geht das besser als im Varieté?«
Sabrina Volkmann (Stadtpalais Stuttgart):
»Wir probieren nun all die digitalen Formate aus, für die im normalen Museumsalltag zwischen Ausstellungseröffnungen und Veranstaltungen keine Zeit war. Unter dem Motto »StadtPalais Digital - online für euch« zeigen wir Live-Führungen, digitale Rundgänge, Online-Workshops für Kinder und Familien, Live-Gespräche und vieles mehr. Wir lernen gerade jeden Tag sehr viel dazu und probieren neue Formate aus. Das alles macht uns viel Spaß. Wir freuen uns aber auch riesig, wenn endlich wieder Leben im StadtPalais ist. Das Online-Angebot bleibt auf unserer Website. Und auch nach der Öffnung des Hauses werden wir weiterhin digitale Formate anbieten und das Online-Programm des Museums ausbauen.«
Helga Huskamp (Staatsgalerie Stuttgart):
»Die Staatsgalerie hat schon 2009 begonnen, ihre Sammlung zu digitalisieren. Das hat uns jetzt ermöglicht, die Werke aus den zwei Ausstellungen ‚Drucksache Bauhaus‘ und ‚Ida Kerkovius. Die ganze Welt ist Farbe‘ digital zeigen zu können. Soweit es geht, arbeiten wir im Homeoffice bzw. so, dass in jedem Büro nur eine Person sitzt. Um als Museum sichtbar zu bleiben, haben wir begonnen, neue Konzepte im digitalen Raum anzubieten. Das klappt sehr gut. Mein Eindruck ist, dass das Publikum die digitale Kultur, ob Oper, Schauspiel, Musik, Literatur oder gestreamte Museumsführung, sehr gut annimmt. Da entsteht gerade eine eigene Qualität und Szene, die in Zukunft sicherlich weiter ausgebaut wird. An sich aber fürchte ich mich ein wenig, dass die Krise die Kultur in all ihrer Vielfalt wirklich existentiell bedroht. Die Hochkultur in den großen Städten wird wieder anlaufen, aber sehr schwierig wird es in mittelgroßen und kleineren Städten und für die Off-Szene.«
Moritz Neubert (Reutlinger Gastro Initiative):
»Zeitnah wurden verschiedene Konzepte vom Abholservice mit Vorbestellung über Liefer- und Abholservice sowie Lieferung der Speisen mit Kochanleitung umgesetzt. Die Stadt Reutlingen war in diesem Zusammenhang sehr unterstützend tätig. Insgesamt sollte den Gastronomen Optimismus zurückgegeben werden. Bei der Schließung Ihrer Betriebe haben sie ohne großes Klagen alles mitgetragen und möchten jetzt insbesondere von der Politik ernst genommen werden und eine Wertschätzung erhalten. Dazu gehören ‚alle‘; die Gastronomen, die Selbstständigen, die Konzerne, aber eben auch die Mitarbeiter der Gastronomie.«
Fotios Anastasiou (Joe Peña’s):
»Da niemand absehen konnte wie sich die Situation entwickelt, haben wir mit ‚Joe Peña’s at Home‘ zuerst eine Online-Plattform ins Leben gerufen. Quasi den mexikanischen Lifestyle des Joe Peña’s für zu Hause. Da wir neben Stammkunden auch viele Gäste begrüßen dürfen, die seit Jahren eng mit dem Joe Peña’s verbunden sind, lag uns dieser Kontakt besonders am Herzen. Noch wichtiger war aber die Einrichtung unseres Liefer- und Abholdienstes, der aktuell von unseren Filialen in Stuttgart, Ludwigsburg, Esslingen und Backnang angeboten wird. Hierzu haben wir einen eigenen Online-Shop unter www.joepenasathome.de mit unseren Joe Peña’s Klassikern auf die Beine gestellt.«
Franziska Helmer (Schlosshotel Monrepos):
»Wir mussten, wie alle gastronomischen Betriebe, unser Restaurant Gutsschenke, das Hotelrestaurant und unsere Gartenwirtschaft schließen. Daher konzentrieren wir uns aktuell stärker auf die beiden Kiosks im Monrepos Park die wir auch in diesen Zeiten bewirtschaften dürfen. Hier öffnen wir früher und haben ein größeres Angebot zur Corona Zeit. Wir hoffen natürlich, dass die Corona Epidemie so schnell als möglich eingedämmt werden kann und die Gesellschaft gesund in die Normalität zurückkehrt.«
Dr. Wolfgang Epp (IHK Reutlingen-Hauptgeschäftsführer):
»Betriebe wie Händler, Gastronomen, Reisebüros oder Veranstalter mussten schließen und für zahlreiche Branchen gibt es aktuell weiter keine greifbaren Perspektiven. Die Lage ist für etliche Unternehmen existentiell bedrohend. Das sieht man auch an der starken Nachfrage nach den Corona-Soforthilfen. Wir haben als IHK, die ja regional die Prüfung der Anträge für IHK-Mitglieder und freie Berufe übernommen hat, in wenigen Wochen fast 19.000 Anträge bearbeitet. In der Zeit verzeichnete die IHK Reutlingen über 25.000 Anrufe. Beide Zahlen zeigen die Tragweite der Krise. Die Öffnung für den Handel war richtig. Der Wiedereinstieg anderer Branchen wie Gastronomie und Hotellerie oder Freizeitwirtschaft muss bald erfolgen, natürlich vorsichtig, mit entsprechenden Hygienekonzepten und unter Berücksichtigung von Abstandsregelungen. Für Branchen, die noch nicht wieder öffnen dürfen, werden weitere finanzielle Hilfen nötig werden. Sonst werden viele Unternehmen nicht überleben.«
Jürgen Ott (Calwer Klostersommer):
»Der Calwer Klostersommer 2020 wird komplett ausfallen. Wir sind derzeit aber dabei, gemeinsam mit unseren Technikern und anderen Dienstleistern, neue Formate zu entwickeln. Ich bin grundsätzlich ein optimistischer und positiv denkender Mensch. Allerdings gehe ich nicht davon aus, dass in diesem Jahr noch Großveranstaltungen stattfinden werden dürfen. Ich bin eigentlich der Letzte, der ‚nach dem Staat ruft’. Aber in diesem Fall hoffe ich, dass der Staat bei der Erstellung von Rettungsschirmen auch an die Veranstalterbranche denkt!«
Elisabeth Schedensack (StuttgartKonzert):
»Terminverschiebungen in die kommende Spielzeit sind nur in manchen Fällen möglich, nämlich wenn auch die Künstler zur Verfügung stehen, z.B. kann ein international gefragtes Ensemble wie Kodo nur alle zwei Jahre aus Japan nach Europa kommen. Positiv ist, dass wir ein paar Vorstellungen auf Anfang 2021 verschieben konnten. Die Kunden haben bei abgesagten Konzerten einen Anspruch auf Erstattungen bzw. Gutschriften des Kartenpreises. Gleichzeitig sind seit Mitte März unsere Einnahmen mit einem Mal weggebrochen. Nachdem in diesen Tagen klar wurde, dass alle weiteren Termine der laufenden Saison obsolet sind, können wir nur auf einen Neustart von Konzerten ab Herbst hoffen.«