Nur noch die Finalrunde trennt den HC Oppenweiler/Backnang vom Aufstieg in die zweite Handball-Bundesliga. In einem dramatischen Handball-Thriller gewann die Mannschaft von Trainer Matthias Heineke das Zwischenrunden-Rückspiel der Aufstiegsserie gegen den TuS Vinnhorst mit 31:29. 18 Sekunden vor dem Ende warf Marcel Lenz sein Team per eiskalt verwandeltem Strafwurf in die Finalrunde.
Das Zwischenrunden-Duell zwischen dem Sieger der Vorrundengruppe Süd und dem Vierten aus dem Norden bot Dramatik pur, im Hinspiel und noch mehr im Rückspiel. Viel Kampf, viel Leidenschaft, ein die Nerven stark beanspruchendes Auf und Ab, aber auch spielerische Glanzlichter. 120 Minuten warf kein Teams einen größeren Vorsprung heraus. Es war weder Wunder noch Zufall, dass das Duell in der Crunchtime entschieden wurde. Die Führung in der Gesamtwertung wechselte mehrmals. Ohne den goldenen Siebenmetertreffer von Marcel Lenz hätte sich der HCOB über einen 30:29-Sieg nicht gefreut: er hätte aufgrund der weniger erzielten Auswärtstore (nur 26) das Ausscheiden bedeutet. Die Vinnhorster bedauerten, dass ein letzter Wurf von Florian Freitag im Tor einschlug, die Sirene aber um Bruchteile einer Sekunde zuvor das Ende der Begegnung signalisiert hatte. So jubelte der HCOB und erntete die Früchte einer bemerkenswerten Leistung. Vinnhorsts Handballer hatten Feierabend. Aber der Reihe nach…
HCOB-Kapitän Philipp Maurer eröffnete die Begegnung mit einem Kontertreffer. Das war ganz nach dem Geschmack der Hausherren, die ein hohes Tempo gehen wollten. Allerdings hielt Vinnhorst dagegen und legte gleichfalls eine flinke Gangart vor. Die Gäste machte kaum technische Fehler und überzeugten durch eine zielsichere Chancenverwertung. Nach einer Viertelstunde lagen sie mit drei Toren vorn, 10:7. Die Gastgeber ließen sich aber nicht weiter abschütteln. Vor allem Marcel Lenz hatte daran großen Anteil. Der Linksaußen nahm sich auch Würfe mit einem kleinen Winkel und traf nach Belieben. In den Minuten vor der Pause arbeitete sich der HCOB heran. Felix Raff erzielte einen wichtigen Treffer, Marcel Lenz verwandelte zwei Strafwürfe, dann traf Kevin Wolf Sekunden vor der Sirene zum 17:18. Für den HCOB war alles drin. Angesichts der hohen Trefferzahl war zur Pause aber klar: aufgrund der Auswärtstorregel musste ein Sieg mit zwei Toren Vorsprung her.
Nach dem Seitenwechsel sorgte Ruben Sigle mit dem 20:19 für die erste Führung nach langer Zeit – die Murrtaler meldeten damit ihre Ambitionen an, klopften nun vehement ans Tor zur Finalrunde. Aber die Niedersachsen wussten immer eine Antwort. Ein Doppelschlag von Henrik Pollex – wieder lagen sie vorn, 23:22. Dann gab es einen schlechte Moment für die Mannschaft von Trainer Davor Dominikovic: Keeper Mustafa Wendland verletzte sich am Knie, konnte nicht weiterspielen. Seine Mannschaftskameraden wollten die Partie nun für ihren Goalie gewinnen. Kreisläufer Milan Mazic traf zur erneuten Führung.
HCOB-Coach Matthias Heineke beschloss, Grundlegendes zu ändern. Er nahm nun in allen Angriffen seinen Torwart vom Feld und agierte mit einem siebten Feldspieler. Alles oder nichts. Die Maßnahme funktionierte. Die Niedersachsen mussten ihre in den Minuten zuvor gut funktionierende Abwehr defensiver ausrichten. Dennoch ergaben sich für den HCOB nun mehr Überzahlsituationen. Kevin Wolf erzielte zwei Treffer. 26:24 – nach 48 Minuten war der HCOB zum ersten Mal zwei Tore vorn. Und der Optimismus bei den Hausherren wuchs, weil Torwart Stefan Koppmeier aufdrehte. Der Keeper hielt großartig und gab seinem Team enormen Auftrieb. Er parierte einen Siebenmeter und fischte einen direkt aufs Tor ausgeführten Anwurf mit einem waghalsigen Sprung aus dem Winkel.
Aber noch war nichts gewonnen. Rückraumspieler Tim Otto hielt Vinnhorst im Spiel. Beim 27:27 hatten die Gäste die Nase vorn. Und es waren nur noch zehn Minuten auf der Uhr. In denen schien es aber, als hätten die Murrtaler die größeren Reserven. Sie verteidigten klasse und nutzen vorne weiter konsequent die Überzahl. Felix Raff, Tim Buck und Marcel Lenz trafen, 30:27. Drei Minuten vor dem Ende war der Finaleinzug zum Greifen nahe. Doch es passte zu diesem Match, dass das Ding nicht durch war. Henrik Pollex brachte die Niedersachsen heran. Dann gab es Siebenmeter für den TuS. Maurica Lungela traf zum 29:30. 66 Sekunden vor dem Ende sprach der Gesamtscore für Vinnhorst.
Der HCOB benötigte ein Tor. Wieder übernahm Marcel Lenz Verantwortung. Er suchte aus spitzem Winkel den Abschluss. Abwehrmann Matheus Costa Dias wusste sich nur mit einem Foul zu helfen. Er bekam dafür eine Zeitstrafe – und Marcel Lenz seinen sechsten Siebenmeter. Er täuschte an, Keeper Colin Räbiger machte die Finte mit, ging zu Boden. Über ihn hinweg warf der Torjäger den Ball zum 31:29 in die Maschen. Euphorie pur bei Mannschaft und Trainer. Aber noch hieß es Zittern. Vinnhorst hatte 18 Sekunden. Die Gäste versuchten es mit einem Zuspiel an den Kreis, Jakub Strýc fing den Ball ab. Eine wichtige Aktion. Allerdings warf er den Ball nicht weit genug weg. Florian Freitag schnappte ihn sich, setzte zum Wurf an, der Ball landete im Netz – aber bereits in der Wurfbewegung hatte die Sirene das Spielende signalisiert. Die HCOB-Handballer hatten gewonnen. Die Anspannung löste sich in schier grenzenlosen Jubel auf – mit dem Einzug in die Finalrunde haben die Murrtaler eine riesige Handball-Überraschung geschafft.
Stimmen zum Spiel
HCOB-Trainer Matthias Heineke: „Das ist ein ganz krasser Tag heute, für den ganzen Verein. Beide Mannschaften waren in Hin- und Rückspiel 120 Minuten auf Augenhöhe. Vinnhorst hat auch ein richtig tolles Spiel gemacht, sie hätten den Sieg auch verdient gehabt. Am Ende hat ein Quäntchen den Ausschlag gegeben. Vielleicht war es auch das Glück, das wir uns über acht Wochen erarbeitet haben. Auf jeden Fall war es eine Sensationsleistung meiner Mannschaft.“
Torwart Stefan Koppmeier: „Wir haben einen riesigen Schritt gemacht, das ist ein Riesenerfolg für unseren Verein. Wir haben gemacht, was uns auszeichnet: Wir haben Tempohandball gespielt und 31 Tore erzielt – und dann willst und musst du zuhause auch gewinnen. In der Abwehr haben wir uns einen Tick schwerer getan als in Vinnhorst, aber im Endeffekt war sie trotzdem die Grundlage, dass wir dran geblieben und Tor für Tor wieder vorbei gekommen sind. Mit der Euphorie, die wir jetzt aufgebaut haben, können wir in die nächsten zwei Wochen gehen und haben alle Möglichkeiten.“
Marcel Lenz: „Es stand alles auf dem Spiel, wir wollten unbedingt weiterkommen. Es hat niemand erwartet, dass wir Vinnhorst hier deutlich schlagen können. Wir haben genau mit so einem Spiel gerechnet. Jede Aktion hätte es kippen lassen können. Vinnhorst hat uns einen super Kampf geliefert. Wir hatten am Ende ein bisschen mehr Abgezocktheit und ein bisschen mehr Glück. Dann gab es kein Halten mehr. Jetzt freuen wir uns auf die letzte Aufgabe, erst in Hagen und in der Woche darauf in unserer Gemeindehalle. Da legen wir alles rein und schauen, was dabei herauskommt.“
Rund ums Spiel
14 Teams waren angetreten, um sich eines der beiden Tickets für die zweite Liga zu sichern. Vier sind noch im Rennen. Dass der HCOB zu diesem erlesenen Zirkel gehört, war nicht zu erwarten und ist eine bemerkenswerte Leistung. Nun geht es in der Finalrunde gegen den absoluten Topfavoriten, den VfL Eintracht Hagen. Für den Traum vom Aufstieg müssen die Handballer aus dem Murrtal noch einmal über sich hinauswachsen. Aber klar ist auch: Der Druck liegt bei den Südwestfalen.
Der Termine für die Finalrunde stehen bereits fest: Der HCOB tritt am kommenden Samstag um 19 Uhr in der Hagener Krollmann-Arena an. Das Rückspiel ist für Samstag, 12. Juni um 20 Uhr in der Gemeindehalle Oppenweiler vorgesehen. Die Spiele werden live auf Sportdeutschland.TV übertragen.
Nach dem Chaos am Vinnhorster Kampfgericht ging im Rückspiel alles einen ganz entspannten Gang. Dietmar Brunn und Jürgen Walter aus Neckarsulm, die vom DHB als Sekretär und Zeitmesser eingeteilt waren, hatten die Sache im Griff. Auch die Schiedsrichter Thomas Kern und Thorsten Kuschel waren mit ihrer Erfahrung aus rund 400 Bundesligaspielen ruhige und besonnene Spielleiter.
Livestreaming macht es möglich: Zuschauer auf der ganzen Welt jubelten mit dem HCOB. Matthias Kolb, aufgewachsen in Oppenweiler-Wilhelmsheim, sah in Australien zu. Und das nicht zum ersten Mal. Seit Wochen steht der Wochenend-Biorhythmus des früheren Handballers auf dem Kopf. Auch diesen Sonntagmorgen klingelte der Wecker wieder um 3.50 Uhr gestellt, um pünktlich um 4 Uhr mitzufiebern.
Der VfL Pfullingen hat es trotz eines Fünf-Tore-Vorsprungs aus dem Hinspiel nicht in die Finalrunde geschafft. Die Mannschaft von Trainer Daniel Brack unterlag gegen den HC Empor Rostock in der Kurt-App-Halle mit 26:32. Ein Tor mehr für den VfL, und es hätte ein Siebenmeterwerfen gegeben. So jubelten die Hansestädter, sie treffen im anderen Finalspiel nun auf den 1. VfL Potsdam.
Durch den Einzug in die Finalrunde hat sich der HCOB für den DHB-Pokal der kommenden Saison qualifiziert – zum ersten Mal seit 23 Jahren. Ende August kommt es zu einem Duell mit einem Club, der aktuell in der zweiten Liga spielt. Mögliches Traumlos: Traditionsverein VfL Gummersbach.